von Günter Hayn
Der zweifelhafte Ruhm, als erste Berliner Arbeiterviertel bombardiert zu haben, gebührt nicht Piloten der Royal Air Force, sondern deutschen Kampffliegern: „Gegen 8 Uhr früh traten wieder Flieger in Tätigkeit und griffen mit Fliegerbomben in den Kampf ein.“ Diese Meldung brachte die Neue Berliner am 9. März 1919. Es ging gegen Wohnquartiere an der Frankfurter Allee, die seit 6:00 Uhr desselben Tages auch mit 15-cm-Feldhaubitzen beschossen wurden. Die Flieger unterstanden dem General Walther von Lüttwitz – der putschte ein knappes Jahr später mit einem gewissen Wolfgang Kapp gegen die junge Republik –, ebenso wie die berüchtigte Garde-Kavallerie-Schützen-Division unter dem Hauptmann Waldemar Pabst. Der hatte zwei Monate zuvor den Liebknecht-Luxemburg-Mord auf sein Kerbholz gebracht. Am 9. März unterzeichnete Gustav Noske, Sozialdemokrat und Kriegsminister des Kabinetts Scheidemann, einen Schießbefehl: „Die Grausamkeit und Bestialität der gegen uns kämpfenden Spartakisten zwingen mich zu folgendem Befehl: Jede Person, die mit der Waffe in der Hand gegen die Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“ Die „Bestialität der Spartakisten“ war übrigens eine Falschmeldung, die auf Druck des Noske-Ministeriums unter anderem die B.Z. am Mittag vom 9. März verbreitete. Aus 20 in Lichtenberg festgesetzten Polizisten machte die Zeitung 60 gemeuchelte Kriminalbeamte. Aufgeschrieben hatte Noske das Papier der erwähnte Berufsmörder Pabst. Der sollte den Mordauftrag für die ihm unmittelbar unterstellten Truppen noch einmal verschärfen.
Konkret geht es um ein Ereignis, das als „Berliner Märzkämpfe 1919“ in die Geschichte eingegangen ist. Die fanden ihren Höhepunkt in heftigen, vom 10. bis zum 12. März 1919 mit schweren Waffen ausgetragenen Straßenkämpfen in der Stadt Lichtenberg – die gehörte vor 1920 nicht zu Berlin. Diesen mythenumwobenen Ereignissen, es war mitnichten ein „Spartakusaufstand“, widmet das Bezirksmuseum Berlin-Lichtenberg derzeit eine bemerkenswerte Sonderausstellung. Kuratiert von Dietmar Lange werden die Vorgeschichte, der Verlauf und die Nachwirkungen dieser Kämpfe dargestellt. Offensichtlich wurden sie im Auftrage Pabsts (Noskes?) provoziert. Schwer war das nicht. Nach den Berliner Januarkämpfen und den sich zunehmend als Schall und Rauch erweisenden Versprechungen Eberts und Scheidemanns lagen bei vielen Arbeitern und Angehörigen der Republikanischen Soldatenwehr – das wären eigentlich die Regierungstruppen gewesen, zu ihnen gehörte auch die Volksmarinedivision – die Nerven blank. Aber gegen die mit schweren Waffen ausgerüsteten 30.000 Mann der Freikorpsverbände hatten sie keine Chance. Insgesamt kosteten die Märzkämpfe in Berlin etwa 1200 Menschen das Leben. 75 davon auf „Regierungsseite“. Das sind Zahlen, die Noske selbst vorlegte.
Alfred Döblin, dessen Schwester Meta damals von einem Granatsplitter beim Milch holen zerfetzt wurde, schrieb von „grausigen, unerhörten, erschütternden Dinge(n) der Eroberung Lichtenbergs durch die weißen Truppen“.
Das Museum erstellte eine vorzügliche Begleitpublikation „Schießbefehl für Lichtenberg“, die für fünf Euro in der Ausstellung erhältlich ist. Die Autoren zitieren einen der beteiligten Offiziere der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, der nach den Gemetzeln gegenüber einer Untersuchungskommission erklärte: „Wir haben am 9. November beide Augen zugedrückt, jetzt gibt es kein Pardon mehr, jetzt gehen wir durch.“ Wem immer noch nicht klar ist, wie die Mördermentalitäten der späteren SA- und SS-Führer geprägt wurden, sollte sich diese Ausstellung ansehen.
Schießbefehl für Lichtenberg – das gewaltsame Ende der Revolution 1918/19 in Berlin, Museum Lichtenberg, Türrschmidtstraße 24, 10317 Berlin; bis 5. Mai 2019 täglich 11.00 Uhr bis 18.00 Uhr, außer montags und samstags.
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