22. Jahrgang | Nummer 5 | 4. März 2019

Aegis Ashore und INF.
Ein Nachtrag

von Gabriele Muthesius

Zu meinem Beitrag „Aegis Ashore und INF“ in der vorangegangenen Ausgabe erreichte die Blättchen-Redaktion eine Leserzuschrift von Ingolf R. aus Hamburg, der unter anderem anmerkte:
„Auch gute Analytiker können etwas übersehen und dann unter Umständen nicht richtig liegen. In ihrem Beitrag […] hat G. Muthesius ausführlich Bezug auf eine aktuelle Publikation im Bulletin of the Atomic Scientists genommen, dabei jedoch eine zentrale Passage des Autors Theodore Postol zu recht ausgespart, in der der MIT-Experte möglicherweise irrt. Postol schreibt nämlich auch: ‚Die technische Bewertung des Aegis-Systems zeigt, dass es nur geringe oder gar keine wirkliche Fähigkeit hätte, iranische Raketen abzufangen, für die es angeblich vorgesehen war. […] Aufgrund der begrenzten Leistung und physikalischen Größe des Aegis-Radars ist es für das System grundsätzlich unmöglich, Langstrecken-Raketensprengköpfe in einer Reichweite zu erkennen und zu verfolgen, die erforderlich wäre‘, um sie erfolgreich abzufangen. Das hätten er und sein Kollege George Lewis bereits vor Jahren nachgewiesen, und sie seien durch einen Report des Defense Science Boards (Science and Technology Issues of Early Intercept Ballistic Missile Defense Feasibility, 2011) bestätigt worden.
Postol weiter: ‚Da die Aegis-Systeme so wenig Nutzen haben, um iranische Langstreckenraketen abzufangen, wäre es für ausländische Militärplaner und politische Führer sinnvoll, sich zu fragen, warum die USA die Entscheidung getroffen haben, sie in Osteuropa zu stationieren. Könnte diese Entscheidung auf eine strategische Absicht der USA hindeuten, das System im Laufe der Zeit zu erweitern und zu modifizieren (was jetzt geschieht)?‘
Das ist zweifellos eine Fragestellung von erheblichem strategischen Gewicht, mindestens für Russland.
Allerdings haben die USA seit 2012 zum Ausgleich der Schwächen des Aegis-Radars in der Türkei ein mobiles AN-TPY-2-Radar stationiert, das speziell für die Früherkennung ballistischer Raketen und zur Flugbahnerfassung sowie -verfolgung ausgelegt ist. Dieses Radar soll offenbar die erforderlichen Angaben von iranischen Langstreckenraketen an die Aegis-Station in Rumänien wie auch an Aegis-Kriegsschiffe im Mittelmeer und im Schwarzen Meer liefern. An den technischen Voraussetzungen zur Bekämpfung iranischer Raketen mangelt es also wahrscheinlich nicht, solange dieses Radar in der Türkei im Einsatz ist.
Das muss ja nicht unbedingt bedeuten, dass Postols Hinweis an ‚ausländische Militärplaner und politische Führer‘ nicht trotzdem berechtigt wäre.“
Die Blättchen-Redaktion hat darauf Theodore Postol direkt gefragt: „Wie verhält es sich mit dem AN-TPY-2-Radar, das die USA seit 2012 in der Türkei stationiert haben? Zielt das nicht darauf und ist es nicht dazu in der Lage, Angaben über iranische Langstreckenraketen zu liefern, um diese sowohl mit see- wie mit landgestützten Aegis-Systemen erfolgreich abzufangen?“
Bereits wenig später ging eine ausführliche Antwort zu, an deren Beginn Postol einräumt, dass er das angesprochene Problem in seinem Bulletin-Beitrag wohl besser gleich hätte mitbehandeln sollen. Weiter heißt es: „Die kurze Antwort auf Ihre Frage lautet, dass keines (Hervorhebung – T.P.) der mit dem European Phased Adaptive Approach (EPAA) verbundenen Radare über ausreichende Fähigkeiten verfügt, um als Raketenabwehr […] zu fungieren.“ Das gilt Postol zufolge nicht nur für die Aegis-Radare in Rumänien und Polen, von ihm als „Einsatzradar“ bezeichnet, sondern auch für das „Überwachungs- und Datenerfassungsradar“ AN-TPY-2 in der Türkei. Dafür liefert der Autor eine ausführliche wissenschaftlich-technische Begründung, die im Einzelnen hier nachgelesen werden kann: Zum Volltext: klicken!
Vor diesem Hintergrund unterstreicht Postol die Feststellung aus seinem Bulletin-Beitrag: „Damit haben wir jetzt das landgestützte Aegis-System, das eine Angriffsbedrohung für Russland darstellt, während es im Grunde nicht in der Lage ist, die Raketenabwehrfähigkeiten bereitzustellen, die für dieses System behauptet werden.“
Postols Antwort enthält schließlich noch folgende aufschlussreiche Passage: „Im Gegensatz zu vielen Akademikern habe ich sehr umfangreiche Erfahrungen in der Regierung und meine Nase sagt mir, dass Obama nicht richtig über die Besonderheiten des EPAA-Systems informiert war. Als Berater des Chefs für Marine-Operationen während einer meiner Positionen in der US-Regierung kann ich mit absoluter Sicherheit sagen, dass es im Pentagon Menschen gab, die wussten, dass die landgestützte Komponente von Aegis […] in der Lage sein würde, Marschflugkörper zu starten und damit eine offensive Bedrohung für Russland darstellen würde. Was ich nicht mit Sicherheit sagen kann, ist, ob diese Informationen an Obama und seine Berater im Weißen Haus weitergegeben wurden. Mein Verdacht ist, dass Obama und seine Berater im Weißen Haus nicht über dieses Problem informiert wurden. Die beiden Hauptverantwortlichen für das mögliche Versäumnis, Obama angemessene technische Informationen zur Verfügung zu stellen, sind Ash Carter, der damals der Unterstaatssekretär für Akquisition, Technologie und Logistik war, und Robert Gates, damals der Verteidigungsminister und Carters direkter Chef.“