22. Jahrgang | Nummer 4 | 18. Februar 2019

Traun! Da sind wir bass erstaunt

von Henryk Goldberg

Ich denke, einen langen Schlaf zu tun“, sagt Herr Wallenstein, und er hat mehr Recht, als ihm lieb sein kann, sintemalen er aus diesem langen Schlaf nie mehr erwachen wird.
„Deine Limonade war in der Hölle gewürzt“ sagt Ferdinand, und auch er hat – traun! – Recht, denn dieses tödliche Getränk beendet alles Leid und alle Lust um „Kabale und Liebe“.
„Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire“ spricht, nein tönt der der beste Freund des Infanten, Don Carlos, der Marquis Posa, dem die Worte vom Munde fließen wie Honigseim.
So. Manchmal schreibt unsereiner etwas so dahin und wundert sich. Es gibt doch tatsächlich Leser, die derart leichtfertig eingeschmuggelte Zitate, die nicht aus dem deutschen Spruchbeutel, dem „Wilhelm Tell“, stammen, aufgelöst wissen wollen. In der Tat: In den Erklärungen kommen ein paar komische Wörter vor: Sintemalen. Traun . Honigseim.
Kennen Sie die noch? Nicht nur Menschen sterben, auch Wörter. Sintemalen, das sagt mancher vielleicht noch, wenn er sehr betont mit etwas Ironie vielleicht, eine sehr alte, sehr altbackene Sprache sprechen will. Es bedeutet, das erschließt sich vermutlich, so viel wie zumal. Auch „alldieweil“ haben wir damals, und damit meine ich nicht die Schiller-Zeit, gelegentlich gesagt, es klang irgendwie schicker als „weil“ oder „während“.
Auch „Honigseim“ erklärt sich noch selbst, irgendwas mit Honig. Es handelt sich, ich hab es nachgelesen, um den sogenannten ungeläuterten, was wohl meint: unverarbeiteten Honig, so wie er aus der Wabe kommt.
Aber, jetzt mal ehrlich, kennen Sie „traun“? Das kennt einer, der hin und wieder in die Lage kommt, alte Stücke lesen zu müssen oder zu wollen, je nachdem. Jago zum Beispiel, Sie wissen schon, Othellos Schurke, spricht’s: „Mit Absicht morden, traun, mir fehlt’s an Bosheit“. Was natürlich eine Lüge ist, wenn der Kerl an etwas keinen Mangel hat, dann ist’s an Bosheit. Oder dieser andere Schurke, dieser buckelichte Schweinehund, der sich nach dem Winter seines Missvergnügens grad sonnt im glorreichen Sommer, der sagt’s auch: „Was kann sie, traun?“ Nein, ehe Sie jetzt wieder meckern, das ist kein Druckfehler, das heißt nicht wem kann sie traun. Das schöne alte Wort meint so viel wie „tatsächlich“, „wahrhaftig“, „in der Tat“. Es ist in der Regel eine Art von Bekräftigung und, auch das in der Regel, inhaltlich vollkommen überflüssig, es hilft dem Versmaß beim schönen Fließen. Und wäre damit, nicht ganz, wohl so etwas wie die deutsche Entsprechung des englischen „indeed“, die die weiland Kollegin Eva W., kürzlich vermisste. Mit dem Unterschied, dass einer im Englischen jederzeit „indeed“ sagen kann, wohingegen wir uns wohl fragten, ob wir einem, der gelegentlich ein „traun!“ in sein Reden flicht, wirklich traun wollen. Meine jugendlichen Verwandten nennen mich zwar gelegentlich mit freundlichem Spott das „Onkelchen“, wenn ich nun allerdings insistierte, der Oheim zu sein, dann wären sie wohl bass erstaunt.
Das Beruhigende an diesen sterbenden oder schon verblichenen Worten ist, dass sie wohl auch der Generation meiner Eltern nicht mehr geläufig oder doch wenigstens alltagstauglich sind. Andere Begriffe – Sättigungsbeilage, Parteisekretär, Intershop, Westgeld – werden zwar von unseren Kindern noch verstanden, aber nicht gebraucht, es fehlt einfach die Entsprechung im Wirklichen, was man nicht wirklich bedauern mag. Ein klitzekleines bisschen allerdings vermisse ich die Kaufhalle, nicht die Ausstattung, das Wort. Und wieder andere, die lang und mit Gründen als Zombies galten, müssten sorgsam wieder rehabilitiert und vitalisiert werden, so ein Wort ist „Heimat“.
Manche Wörter sterben wie Menschen, sie haben einfach das Alter. Andere wiederum sterben, weil sie, sozusagen, vergiftet sind durch Gebrauch: Neger, Zigeuner, Eskimo gehört wohl auch dazu. Und der Mohammedaner, schließlich ist Mohammed nur Gottes Prophet. „Zinsknechtschaft“ ist ein altes, auch kontaminiertes Wort, das indessen ein verbreitetes zeitgenössisches Empfinden gut beschreibt. Manche Wörter werden zu Grabe getragen, weil es Schickeres gibt. Die „Bundesagentur für Arbeit“ und das „Jobcenter“ klingen, sozusagen, wesentlich relaxter, als die Menschen sind, die sie aufsuchen müssen. Arbeitsamt war kein schönes Wort, dafür war es ehrlich. Aber von Honigseim verstehen sie immer noch was. Traun!