22. Jahrgang | Nummer 3 | 4. Februar 2019

Das Jugendstilhaus

von Renate Hoffmann

Als ich es sah, dachte ich zuerst an das Stadtpalais eines gewesenen Direktors des Eisenmoorbades Bad Schmiedeberg. Oder gab es eine verflossene sächsisch-preußische Fürstlichkeit, die sich, begütert, das schlossähnliche Gebäude, zwecks Kuraufenthaltes errichten ließ?
Strahlend weiße Fassade, in Neorenaissance und -barock herausgeputzt und Elemente des Jugendstils versteckt eingefügt. Turm und Türmchen aufgesetzt, Galerien, ein Laubengang, in Wilden Wein gehüllt. Tierszenen zwischen den Fenstern. Der flügelschwingende Schwan, Fischotter, Storch und Fuchs (?). Insekten schwirren, Pflanzen ranken; die Eidechse hat eine Libelle gefangen. Zierrat, wohin man blickt. Und Bleiglasfenster, zumeist als Oberlichte eingesetzt, die dem Bauwerk bunte Leichtheit geben.
Über dem Haupteingang dräut streng eine weibliche Maske. Sie schielt deutlich nach links. Ich gehe rasch unter ihr hindurch, trete ein und bin umgeben vom perfekten Jugendstil des Kurhauses von Bad Schmiedeberg. Dieses Haus darf sich einer gewissen Einmaligkeit rühmen, seiner künstlerischen, wohldurchdachten, zweckmäßigen Gestaltung wegen. Stets mit dem Wohl und Wehe des Badelebens verbunden, und allen Fährnissen zum Trotz, steht es seit seiner endgültigen Bauabnahme im Jahr 1908, in voller Pracht.
Mit Schwierigkeiten war von Beginn an zu rechnen. Die Erfordernis: Seit Eröffnung des Bades im Jahr 1878 stieg die Zahl der Kurgäste kontinuierlich. Geselligkeit und kulturelles Angebot suchte man im alten Kur- und Logierhaus. Die dortigen Verhältnisse seien „unwürdig“, urteilte der Bürgermeister Schniewind. „Wir haben ein einziges Restaurationszimmer, in dem womöglich den ganzen Tag geraucht wird. In denselben Räumen sollen sich nun auch die weiblichen Kurgäste aufhalten, manchmal nicht sehr angenehm durch die oft sehr freien Auslassungen der Herren berührt.“ Und im Nikotindunst solle auch noch gespeist werden. Schniewind fordert energisch den Neubau eines Kurhauses mit dem Hinweis auf die nötigen Gesellschaftsräume: Restaurations-, Lese-, Damen- und Speisezimmer, Saal mit Bühne. Vorschläge, die überzeugen, – jedoch nicht die vorsichtigen Mitglieder der Stadtverwaltung. Das Bauvorhaben wird verschoben, man kennt das …
Endlich im Dezember 1903 erfolgt die Zustimmung. Ausschreibung eines Wettbewerbes, Auswahl eines jungen, doch bereits sehr gefragten jungen Architekten aus Leipzig. Ernst Arthur Hänsch (1876–1947). Er reicht Referenzen ein, lässt Zeichnungen und Kostenvoranschlag folgen und möchte eigentlich umgehend beginnen. Das Spiel beginnt erneut. Der Magistrat wünscht Änderungen, das Bauwerk sei zu teuer! Herr Hänsch ändert. Nun könnte man … nein, man kann nicht. Die höhere Instanz in Merseburg, in Person eines Königlichen Regierungspräsidenten, versagt die Genehmigung. Als gestandener Konservativer konnte er sich vermutlich mit dem aufblühenden Jugendstil nicht anfreunden Außerdem gab es am Turm zu mäkeln. Hänsch löste die verfahrene Lage diplomatisch: „Ihrem Wunsch gemäß habe ich den Hauptturm […] bedeutend niedriger angenommen. Für die Form der Giebel habe ich Barock-Charakter gewählt“ Den suspekten Jugendstil aber nahm er aus dem Blickfeld und verlegte ihn komplett nach innen. – Nachdem die Änderungen der Änderungen im Jahr 1908 ihr Ende fanden, ist ein harmonischer, in sich geschlossener Bau entstanden. Bestaunt und bewundert.
E.A. Hänsch griff die Vorschläge Schniewinds auf und ergänzte sie: Lese-, Damen- und Musikzimmer, Spiel- und Rauchzimmer, Festsaal und Bühne; Gästezimmer, Küche und Speiseraum. Das Interieur – von der Türklinke bis zur Deckenleuchte – huldigte der neuen Kunstrichtung. Die Kultur zog ein mit Theater, Konzerten und festlichen Veranstaltungen. Die Gäste waren begeistert, die Skeptiker entwaffnet.
Zwei Weltkriege gingen über das Haus hinweg. Es wurde zum Lazarett umfunktioniert. Flüchtlinge fanden darin Unterkunft. Ein Betriebserholungsheim etablierte sich. – Das Haus kam in die Jahre. Man entschloss sich zu einer stilgerechten Restaurierung. Sie begann mit Vorbereitungen im Jahr 1976 und erlebte ihren ersten glanzvollen Höhepunkt mit der Einweihung des Festsaales am 10. April 1992.
Der Eintritt verschlägt den Atem. Eine Farbkombination aus Gold, Grün und Beige. Ornamente, Rankenmuster, Figurenschmuck. Oberlichte mit Jugendstil-Motiven, farbenfroh und leicht. Drei Messingkronleuchter, wie sie festlicher nicht sein könnten (man hatte sie, eingelagert und etwas ramponiert, im Rathaus wiedergefunden). Sitznischen, Logen und eine Galerie. Das dunkle Holzpaneel bringt Kontrast und Ruhe in das beschwingte Spiel. Die Bühne den Musen, Festen und Feiern.
Im Foyer ist die Stilrichtung bis ins Detail eingehalten. Hänsch hatte für die Sockel in Eingang, Wandelhalle und Treppenhaus Fliesen vorgesehen. Wie schön sie sich in ihrer dezenten Farbgebung ausnehmen. Die Wandelhalle ist eigentlich ein Spiegelsaal. An den Wänden zwischen den Halbsäulen sind sie angebracht und werfen das Licht von gegenüber hin und her. Im Spielzimmer deutet vieles auf den Zweck des Raumes hin. An der Decke sieht man in Stuckarbeit die Altenburger Spielkarten, von Schellen bis Eichel. Der König posiert gravitätisch und hält die Trümpfe in der Hand. Schachbretter für den geistvollen Denksport sind zu erkennen. Zur Abrundung des Stils hängen Plakate und Panneaux (als Kopien) von Alfons Mucha an den Wänden. Ursprünglich lagen die drei Gesellschaftsräume in einer Flucht. Das ehemalige Damen- und Musikzimmer dient jetzt der Rezeption.
Der Speisesaal zeigt noble Schlichtheit. Doch auch hier schaut der Jugendstil aus jedem Winkel. Eine Galerie alter Bildkarten blättert die Vergangenheit des Hauses auf. Darunter ein Meisterstück der Werbung. Aus Hänschs erster Bauzeichnung von 1904 – zu der keine Genehmigung vorlag – zauberte man in gebührender Eile eine Ansicht voller Fantasie mit der Aufschrift: „Gruss aus Bad Schmiedeberg Das neue Kurhaus.“ Dass es Schwindel war, ahnten die Absender nicht und schrieben auf den geschönten Kurhausgruß: „Lieber Onkel. Deine Karte u. Brief haben wir erhalten, und freuen uns, das du auch einmal an uns gedacht hast! Uns geht es gut, und haben auch viel Arbeit, Richard ist heute in Gommlo da ist Kirschfest, Tanz und Enten auskegeln […] Schreib doch recht bald wieder. Es grüßt Richard und Emma Berg.“
Im überreichen Schmuck des Vestibüls, in dem sich das Auge verliert, entdecke ich vier männliche Porträts im Fliesensockel. Sie blicken heiter, griesgrämig, abwartend und bedrohlich explosiv. Sind es die vier Temperamente? Meine Sympathie gehört dem Heiteren, Quirligen mit der neckischen Zahnlücke. Er lacht über sich und die Welt.