22. Jahrgang | Nummer 2 | 21. Januar 2019

Nekrologe 2018

von F.-B. Habel

Auch in diesem Jahr haben wir viele Menschen verloren, die zumindest eine Zeitlang im Blickpunkt der Öffentlichkeit standen. Einige waren so wichtig, dass das Fernsehen sein Programm änderte. Von diesen Verehrten – wie Rolf Hoppe oder Morten „Benny“ Grunwald – soll hier nicht die Rede sein.

Im ersten abgedrehten Spielfilm der DEFA (der 1946 erst als zweiter zur Premiere kam), dem vom italienischen Neorealismus beeinflussten Umsiedlerfilm „Freies Land“, spielte Elfie Dugall, die – 98-jährig – im April 2018 verstarb, ein Küchenmädchen. Sie wurde Mitglied des DEFA-Nachwuchsstudios und übernahm bis Ende der fünfziger Jahre weitere kleine Filmrollen, so als Dienstmädchen in „Das Beil von Wandsbek“ (1951) nach Arnold Zweig und in dem teilweise in Ostberlin gedrehten Heinz-Rühmann-Film „Der eiserne Gustav“ (1958). Schon mit 50 Jahren beendete sie ihre Laufbahn.
Ihre große Lesergemeinde, die sie bis zuletzt mit neuen Werken begeisterte, hat im Mai den Tod von Rosemarie Schuder im 90. Lebensjahr mit großer Trauer aufgenommen, aber allgemein wurde ihr Lebenswerk eher beiläufig zur Kenntnis genommen. Die Tochter aus großbürgerlichem Haus in Jena zog es nach dem Abitur zum Journalismus. Politisch interessiert, trat sie 1951 in die DDR-CDU ein, deren Hauptvorstand sie später angehörte. Sie heiratete 1958 den jüdischen Schriftsteller Rudolf Hirsch (in der Wochenpost für seine Gerichtsreportagen berühmt) und griff als Autorin oft jüdische Themen auf, mit Hirsch zusammen beispielsweise 1987 unter dem Titel „Der gelbe Fleck“ über Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in Deutschland. Den überwiegenden Teil ihrer etwa 30 Romane und Biografien widmete sie historischen Themen und Personen, wie Paracelsus, dem Meister von Naumburg, Hieronimus Bosch, Botticelli und Michelangelo sowie zuletzt Martin Luther.
Der Schweriner Schauspieler Horst Rehberg (80), der dort seine Laufbahn mit dem „König Lear“ krönte, hatte wenig Zeit, vor der Kamera zu stehen. Als einen der Lieblingsschauspieler von Intendant Christoph Schroth lernte ihn dessen Ziehsohn Andreas Dresen kennen und holte ihn 2008 für die Hauptrolle des Werner in seinen Film „Wolke 9“, für die Rehberg in Cannes und anderswo in der Welt gefeiert wurde. Auch im jüngsten Dresen-Film „Gundermann“ hatte der im Mai verstorbene Rehberg noch einen kleinen, markanten Auftritt.
Die Westberliner Schauspielerin und -lehrerin Maria Körber (87) war Tochter von Hilde Körber und dem Nazi-Regisseur Veit Harlan. Als sie 1955 in ihrem einzigen DEFA-Film „Sommerliebe“ unter Pseudonym auftrat, lobte der ahnungslose Filmkritiker Karl-Eduard von Schnitzler ihre proletarische Ausstrahlungskraft.
Die Palucca-Schülerin Gisela Walther (83) wurde Ballettmeisterin und Choreografin und formte ab 1964 das Friedrichstadtpalastballett zu einer Truppe mit Weltgeltung. Verheiratet mit DEFA-Regisseur Jo Hasler war sie für einige seiner Filme („Heißer Sommer“, „Nicht schummeln, Liebling“) stilprägend.
Der Schönebecker Chemieingenieur Ed Stuhler (73) ging für ein externes Literaturstudium 1976 nach Berlin und wurde freiberuflicher Autor. Er schrieb Hörspiele, Musicals, arbeitete eng mit dem Liedermacher Arno Schmidt, dem Jazzer Thomas Putensen sowie der Diseuse Gisela May zusammen, und veröffentlichte 2005 eine Biografie Margot Honeckers.
Der Schauspieler Heinz Schröder (97) war jahrzehntelanges Ensemblemitglied des Theaters der Freundschaft an der Parkaue. Als er 1956 den faschistischen Lehrer in dem Film „Zwischenfall in Benderath“ spielte, war er außerordentlich überzeugend und damit festgelegt. So konnte man ihn noch oft als Nazi-Offizier oder -Richter sehen.
Von der legendären Dresdner Heroine Antonia Dietrich wurde Winfried Wagner (80) fürs Theater entdeckt. An die Volksbühne kam er 1963 und blieb hier für 43 Jahre als markanter Darsteller, der auch in literarischen Programmen brillierte. Unvergessen sein Philosoph in Diderots „Rameaus Neffe“! Zwei Jahre lang fungierte er ab 1990 als vom Ensemble gewählter Intendant gemeinsam mit Marion van de Kamp.
Im Theater im 3. Stock wirkte Wagner in „Die Axt im Haus“ mit, einem Stück von Paul Gratzik (82), der im Juni – nur zwei Tage nach Wagner – starb. Über seine verschlungenen Lebenspfade hat der Ostpreuße 2011 in dem Film „Vaterlandsverräter“ Auskunft gegeben.
Im Juli starb mit Horst Hartwig (84) einer der erfolgreichsten Produktionsleiter der DEFA. Ihm verdanken wir faszinierende Produktionen der achtziger Jahre wie „Einer trage des anderen Last“ und „Coming out“, aber auch die bei der DEFA entstandenen westdeutschen Filme „Frühlingssinfonie“ und „Caspar David Friedrich – Grenzen der Zeit“.
Mit Jessy Rameik (84) ging im August eine beliebte Schauspielerin von uns, die seit ihrer Hauptrolle in „Das siebente Jahr“ (1969) unzählige Male auf Leinwand und Bildschirm faszinierte, so auch in der Reihe „Das unsichtbare Visier“. Sie konnte sich aber ebenso als exzellente Diseuse beweisen, gewann bereits in den sechziger Jahren einen internationalen Chansonwettbewerb in Sopot.
Ein Lieblingspartner von Jessy Rameik war Armin Mueller-Stahl. Er schrieb im Geleitwort eines Buches mit Fotos von Waltraut Pathenheimer: „Ungeachtet der zum Teil außergewöhnlichen Bildästhetik wirkt die Umsetzung nie formal, sondern geht immer vom Inhalt der jeweiligen Szene und den handelnden Charakteren aus.“ Die blutjunge Waltraut Pathenheimer wurde 1954 die erste Frau unter den Standfotografen der DEFA und setzte sich mit künstlerischer Qualität durch. Sie fotografierte „Nackt unter Wölfen“, später Indianerfilme, und auch Jessy Rameik stand für sie in „Das siebente Jahr“ vor der Fotokamera. Waltraut Pathenheimer starb im Dezember mit 86 Jahren.
1989 besuchte Marceline Loridan das Leipziger Dokumentarfilmfestival, um ihren gemeinsam mit ihrem Mann Joris Ivens gedrehten Film „Eine Geschichte über den Wind“ vorzustellen. Von der kleinen, klugen, freundlichen Frau, die seit den fünfziger Jahren als Autorin und Co-Regisseurin an vielen französischen Dokumentarfilmen mitgearbeitet hatte, wusste man damals nicht viel. Man konnte sich auch ihre Lebensstationen in ihren Backfisch-Jahren nicht vorstellen, die da hießen Auschwitz-Birkenau, Bergen-Belsen, Theresienstadt. Als französische Jüdin wurde sie deportiert, bei Kriegsende auf einen Todesmarsch getrieben. Später hat sie davon als Zeitzeugin berichtet und 2003 Regie geführt für „Birkenau und Rosenfeld“ mit Anouk Aimeé und August Diehl in den Hauptrollen, den ersten Spielfilm, der auf dem Lagergelände gedreht werden durfte. Marceline Loridan wurde 90 Jahre alt.
Bei der DEFA hat Eva Probst (88) nur am Beginn ihrer Laufbahn gespielt, in „Das kalte Herz“ sowie die weibliche Hauptrolle in „Sein großer Sieg“ (1952) über Radrennfahrer. Nach der Mitwirkung in westdeutschen Heimatfilmen und Arbeit für den Boulevard (unter anderem mit Johannes Heesters) trat sie 2014 in „Der letzte Mentsch“ noch einmal als Ex-Geliebte der Hauptgestalt des Marcus Schwartz, verkörpert durch Mario Adorf, vor die Kamera.
Noch kurz vor Eva Probst, wie erst im neuen Jahr bekannt wurde, starb Edwin Marian (90) im November in München. Er hatte seit Beginn seiner Karriere – in der Rolle als Sohn von Stummfilmstar Henny Porten im DEFA-Zirkusfilm „Carola Lamberti“ 1954 – immer gut zu tun. Künstlerisch bedeutend waren die beiden Filme über den Spanien-Krieg „Mich dürstet“ (1956) von Karl Paryla und „Fünf Patronenhülsen“ (1960) von Frank Beyer, in dessen Holocaust-Film „Jakob der Lügner“ 1974 ) er ebenfalls mitwirkte. Der Volksbühnen-Schauspieler betätigte sich auch als Autor, schrieb den TV-Mehrteiler „Der Sonne Glut“ (1971) über die frühen Jahre der FDJ. Als er 1982 in der Serie „Retter, Rächer und Rapiere“ auf DDR-Bildschirmen erschien, war er schon in den Westen übergewechselt, wo er sich mehr oder minder erfolgreich in Serien wie „Derrick“ und „Der Fahnder“ verdingte.
Der Dezember brachte weitere Abschiede: Mit der Historikerin Annelies Laschitza (84) verliert die Forschung eine erstklassige Kennerin nicht nur des Werkes von Rosa Luxemburg. – Die ungarische Sopranistin Sylvia Geszty wurde ebenfalls 84 Jahre alt. Zwischen 1959 und 1970 war sie mit zahlreichen Partien wie Mozarts Königin der Nacht Zugpferd der Deutschen Staatsoper Unter den Linden und wurde hier Kammersängerin und Kunstpreisträgerin der DDR, ehe sie ab 1970 vor allem im Westen auftrat. Auch an der Komischen Oper gastierte sie damals. – Zum von Walter Felsenstein begründeten Ensemble dieses Hauses gehörte von 1959 bis 2008 der lyrische Tenor Hans-Otto Rogge (80). Der Kammersänger trat auch in Felsensteins Filmadaptionen seiner großen Inszenierungen auf, so als Alvarez in „Ritter Blaubart“ (1973).
Erst im neuen Jahr wurde bekannt, dass der Thüringer Autor Martin Stade (87) am 11.12. gestorben ist. Er arbeitete als FDJ-Funktionär, als Dreher, als Kranführer und gewann hier die Lebenserfahrung, die ihn befähigte, nach einem Literaturstudium in Leipzig erfolgreiche Romane und Erzählungen zu schreiben, von denen einige auch verfilmt wurden: in der DDR 1974 „Der erste Urlaubstag“ mit Madeleine Lierck und 1979 „Vetters fröhliche Fuhren“ mit Fritz Marquardt, und im Westen adaptierte Frank Beyer 1981 Stades Gundling-Roman „Der König und sein Narr“ mit Götz George und Wolfgang Kieling.
Nach den Würdigungen von Prominenten des deutschsprachigen Raums nun noch ein paar Worte über einen Künstler, dessen Tod bei uns nur kurz gemeldet wurde, während ganz Russland um ihn trauerte. Der aus Saratow stammende Chef des Moskauer Tschechow-Theaters, Oleg Tabakow, starb im März mit 82 Jahren. Seit seiner Rolle in Tschuchrais „Klarer Himmel“ (1961) war der Schauspieler in der DDR bekannt, spielte in großen Filmen wie „Krieg und Frieden“ (1966), „Moskau glaubt den Tränen nicht“ (1980), „Schwarze Augen“ (1987), wurde 1972 auch als Gast zum Deutschen Fernsehfunk geholt, wo er in der Dostojewski-Adaption „Die Ballade von der Geige“ die Hauptrolle übernahm. Unsterblichkeit erreichte er jedoch schon 1970 mit seiner Rolle des Iskremas in Alexander Mittas „Leuchte mein Stern, leuchte!“ Er spielte einen leidenschaftlichen Künstler, der auf dem Thespiskarren durch die Wirren des Bürgerkriegs von 1920 zog, und dessen Ideal es war, den Massen das Theater nahezubringen, um sie besser zu machen. Dieser unbedingte Glaube an die Kraft der Kunst auch unter widrigen Bedingungen riss die Zuschauer nicht nur in der DDR, sondern in der halben Welt hin.
Vielleicht hat er, vielleicht haben all die Dahingegangenen die Welt mittels der Kunst ein kleines Bisschen besser gemacht?

Schluss.