von F.-B. Habel
Auch in diesem Jahr haben wir viele Menschen verloren, die zumindest eine Zeitlang im Blickpunkt der Öffentlichkeit standen. Einige waren so wichtig, dass das Fernsehen sein Programm änderte. Von diesen Verehrten – wie Rolf Hoppe oder Morten „Benny“ Grunwald – soll hier nicht die Rede sein.
Es gab die anderen kaum Gewürdigten, wie Horst Schulze, einen der ganz Großen von Bühne, Film und Fernsehen in der DDR. Er war eine Bühnengröße an Dresdner Theatern, sang dort den Henry Higgins in „My Fair Lady“ und in der Staatsoper Unter den Linden Mozarts Papageno. Schulze, in erster Linie Schauspieler, trat vor der Kamera vor allem in Literatur-Adaptionen hervor, in Fontanes „Effi Briest“ neben Angelica Domröse, mit ihr auch in F.C. Weiskopfs „Abschied vom Frieden“, dann in Feuchtwangers „Die Brüder Lautensack“, in Ludwig Renns „Adel im Untergang“ oder auch in Falladas „Altes Herz geht auf die Reise“. Von seinem Tod im Alter von 97 Jahren nahm im Herbst nicht einmal der Teletext Notiz. Liegt es an seinem alltäglichen Namen? Liegt es daran, dass er sich schon (!) mit Anfang 90 aus der Öffentlichkeit zurückzog? Oder daran, dass er mit großer Überzeugungskraft Kommunisten wie Karl Liebknecht, Hans Beimler und Ernst Schneller spielte?
Vielleicht ist der Grund auch einfach darin zu finden, dass niemand die Agentur dpa informierte – anders als bei dem 96-jährigen Kabarettisten Otto Stark, dessen Tochter (und gelegentliche Mitspielerin) Miriam die Information weitergab. So kam es wenigstens zu einer dürren Meldung, die ihm nicht ganz gerecht wurde. Immerhin ging mit dem Wiener der wohl letzte Schauspieler von uns, der bei seinem Debüt im Londoner Exil noch vom legendären Alfred Kerr gelobt wurde.
Horst Schulze, der auch häufig in Gegenwartsfilmen wirkte, spielte zum Beispiel in der „Polizeiruf“-Folge „Die letzte Kundin“ unter der Regie von Hubert Hoelzke. Der war ein Pionier des Fernsehens in der DDR, kam nach Theaterstationen 1954 in seine Heimatstadt Berlin, wo er sich dem Fernsehen verschrieb – erst als Schauspieler, bald schon als Regisseur und Drehbuchautor. Hoelzke beherrschte alle Genres vom Lustspiel und Boulevardstück über den Kriminalfilm bis zum Fernsehroman. Die 18 Teile über die Entwicklung eines Dorfes von der Kaiserzeit bis in die DDR nach Bernhard Seeger, „Märkische Chronik“, wurden zu Hoelzkes Hauptwerk. Seine ganz eigene Handschrift blieb immer erkennbar, eine gewisse Leichtigkeit, die aus der präzisen Arbeit mit den Schauspielern resultierte. Im September konnte er noch seinen 93. Geburtstag feiern und starb wenige Wochen danach.
Das Ansehen von Spielfilmregisseuren steht zu Unrecht viel höher als das der Fernsehleute, obwohl sie mindestens eine ebenso große kreative Arbeit leisten. Das bäuerliche Lustspiel „Alwin der letzte“ mit Gerhard Bienert war 1960 Hoelzkes einziger Kinofilm – bei seinem Kollegen Helmut Krätzig war es 1964 der Krimi „Pension Boulanka“ mit der Wienerin Erika Pelikowsky als Wirtin. Das Krimi-Genre blieb Krätzigs Hauptwirkungsfeld: „Blaulicht“ und die „Geheimkommando“-Reihe der sechziger Jahre, seit den Siebzigern etwa zwei Dutzend Filme der Reihe „Polizeiruf 110“, die er 1971 mit der ersten Folge aus der Taufe hob. In Serien konnte er sich noch in den 90er Jahren verdingen. Während Hubert Hoelzke oft als Schauspieler bei seinen Kollegen kleine Rollen übernahm, hat der Nicht-Schauspieler Krätzig immer in den eigenen Filmen Mini-Parts gespielt – vielleicht, um seinem Vorbild Alfred Hitchcock wenigstens darin zu folgen. Mal war er Markthändler, mal Psychiatrie-Patient, und in „Treibjagd“ mit Henry Hübchen konnte man ihn 1985 gleich dreimal entdecken. Krätzig inszenierte auch heitere Alltagsfilme mit Erwin Geschonneck, und in seinem gern wiederholten Film „Die Weihnachtsklempner“ spielte er selbst natürlich einen Weihnachtsmann. Im Sommer starb er 84-jährig.
Noch zu dieser Jahreszeit hatte Hartmut Ostrowsky in Winterthur Neil Simons „Ein seltsames Paar“ inszeniert. Nach seinem 74. Geburtstag im Herbst war er verschwunden und wurde schließlich tot in seiner Wohnung gefunden. Der gebürtige Königsberger hatte Dramaturgie studiert, wurde Oberspielleiter in Plauen und wechselte schließlich zur Regie. Sein Refugium wurde das Studio Halle mit dem Fernsehtheater Moritzburg, und er verstand es besonders, beliebte Komikerinnen wie Ingeborg Nass, Ingeborg Krabbe (zweimal auch mit den „Reizenden Schwestern“) und Ursula Staack (deren Bühnenprogramme er inszenierte) in Szene zu setzen.
Der Dramaturgenberuf wird häufig unterschätzt, etwa mit dem ignoranten Spruch „Der Dramaturch, der Dramaturch, der liest und liest die Bücher durch“. Dabei kann er sehr wesentlich für die Entstehung und die praktische Umsetzung dramatischer Werke sein. Dieser Tage wurde eine Dramaturgin zu Grabe getragen, der wir vor allem die Entstehung großer Hörspiele zu verdanken haben. Christa Vetter, die 86 Jahre alt wurde, hatte in Weimar-Belvedere bei Maxim Vallentin studiert, der sie nach Berlin ans Maxim Gorki Theater mitnahm. Damals lernte sie auch ihren Mann kennen, den 2003 verstorbenen Film- und Theaterdramaturgen Klaus Wischnewski. Nach kurzer Zeit wechselte sie zum Rundfunk, von 1962 bis 1970 schließlich zum Fernsehfunk. Nachdem sie zum Rundfunk zurückkehrt war, leitete sie bis 1990 die Hörspielabteilung. Sie arbeitete besonders eng mit Günter Kunert und Günther Rücker zusammen, im Fernsehen auch mit Kurt Bortfeld.
Dramaturgen hatten allerdings nicht nur die Ehre für ihre Arbeit, sondern mussten auch den Kopf hinhalten, wenn der politische Wind wechselte. So wurde 1965 Christa Vetters Film „Köpfchen, Kamerad“ nach einer Vorlage von Franz Fühmann um 20 Minuten gekürzt, und ein geplanter zweiter Teil kam nicht zustande.
Langjähriger DEFA-Filmdramaturg war Hans-Joachim Wallstein, der im August, vier Wochen vor seinem 90. Geburtstag, starb. Er hatte seit Mitte der fünfziger Jahre an Filmen von Martin Hellberg, Konrad Wolf, Kurt Maetzig und dem ebenfalls im Herbst 90-jährig verstorbenen Günter Stahnke mitgearbeitet. Ihr gemeinsamer Film „Der Frühling braucht Zeit“ kritisierte 1965 schludrige Leitungsmethoden von Genossen und machte einen parteilosen Ingenieur (Eberhard Mellies) zum moralischen Sieger. Gleich nach dem Kahlschlag-Plenum vom Dezember 1965 wurde der Film zurückgezogen. Stahnke, der mit seiner eigenwilligen Filmsprache schon mit den Fernsehfilmen „Monolog für einen Taxifahrer“ und „Fetzers Flucht“ angeeckt war, durfte fortan nur mehr für die heitere Fernsehdramatik arbeiten. Als er in den siebziger Jahren kritische Elemente in seine leichten Stoffe einbaute, lobte ihn der RIAS, und Stahnke bekam wieder „eins auf den Deckel“.
Auch Wallstein sollte nur Unterhaltung machen, konnte sich aber im Western-Genre Meriten verdienen. Er wurde der Dramaturg von neun der erfolgreichsten Indianerfilme der DEFA. Ihm war es wesentlich zu verdanken, dass diese Filme ebenso spannend wie historisch genau waren, dass die Traditionen unterschiedlicher Stämme in Kleidung und Riten getreu wiedergegeben wurden, so dass die zwischen 1965 und 1975 entstandenen Filme seit den neunziger Jahren auch in den USA Anerkennung fanden.
Wird fortgesetzt.
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