von Heinz W. Konrad
Es war einmal eine Gegenwart. Es war die unsere. Da waren Werte ein sehr hohes Gut. Allen voran die klassischen Tugenden prägten unseren Lebensalltag. Allüberall. Mit beispielloser Konsequenz bebilderte sich das in der Öffentlichkeit durch Höflichkeit. Und noch viel mehr durch Rücksichtnahme. Die Beispiele dafür sind derartig Legion, dass sie hier nur willkürlich und minimiert ausgewählt angeführt werden können.
Menschen, die in gemeinsamen Wohnzusammenhängen lebten wie etwa Mietshäusern oder Wohnanlagen, grüßten einander, so sie sich begegneten. Auch die Jüngeren! Wer eine öffentliche Einrichtung betrat oder verließ, versicherte sich per Schulterblick der zu vermeidenden Gefahr, einem Nachfolgenden die Tür vor der Nase zuzuknallen. Man hielt sie jenen sogar auf. Und diese dankten dann dafür.
Paare, die sich auf den üblich engen Fußwegen gegenläufig begegneten, vereinzelten sich kurzzeitig, um den entgegen kommenden Passanten, die desgleichen taten, diese Passage problemlos zu ermöglichen. Niemand kam auch nur auf die Idee, dies allein den anderen abzuverlangen. Selbst die Jüngeren nicht!
Mobiltelefonierer und -surfer hielten selbst bei intensiver digitaler Kommunikation die Augen für all das offen, was sie profan-analog umgab und reagierten darauf höflich. Sie verzichteten zudem, ganze Bahnabteile mit lautstarken Telefonaten zu belästigen. Allen voran die Jungen!
Radfahrer, so sie dank extrem schlechter Straßen – und nur dann, also notgedrungen! – auf Bürgersteigen fuhren, machten sich den Fußgängern rechtzeitig bemerkbar und überholten diese dann in gefahrlosem Tempo und Abstand. Beim Überqueren von stark fußgängerfrequentierten Ampelkreuzungen stieg ein jeder ab und versuchte nicht, auch diese und andere Engpässe im Sattel zu queren. Auch nicht die Jüngeren!
Dass Radfahrer das Wechseln ihrer Fahrtrichtung den anderen Verkehrsteilnehmern gut sichtbar durch den ausgestreckten Arm anzeigten, um Irritationen oder gar Unfälle zu verhüten, verstand sich von selbst. Selbst bei Mitgliedern des ADFC!
Zudem – man mag es kaum glauben – verfügten alle Räder über eine funktionierende Beleuchtung, die auch sorgsam und bereits bei Einbruch der Dunkelheit zum Einsatz gebracht wurde. Selbst Klingeln!
Eltern unterwiesen ihre kleinen und größeren Kinder durch eigenes Beispiel in Rücksichtnahme, indem sie ihren Nachwuchs zu einem Mindestmaß an Ordnung und vokaler Entäußerung im öffentlichen Raum anhielten, ebenso zum pfleglichen Umgang mit Gemeingut. Selbst die jüngeren Eltern!
Nachbarn verzichteten spätestens ab 22.00 Uhr auf laute und damit störende Feiern und vergnügten sich auch ohne Geschrei und bassgestützte „Musik“, meist sogar schon früher. Vor allem die Jüngeren!
Menschen, die in öffentlichen Verkehrsmitteln wahrnahmen, dass Frauen, Ältere oder Gebrechliche Mühe mit ihrem Stehplatz hatten, boten jenen umgehend ihre Sitzplätze an. Vornehmlich die Jüngeren!
Kunden in Supermärkten nahmen mit ihren Einkaufswagen bei der gründlichen Inaugenscheinnahme der Warenregale nicht die kompletten Gänge in Beschlag, sondern achteten sorgsam darauf, andere Einkäufer nicht zu behindern. Selbst die Älteren!
Kinogänger verzichteten verachtungsvoll darauf, während Filmvorführungen ihre Handys zu betätigen, Popkorn zu knabbern und sich über jede Filmsequenz launisch mit ihrer Begleitung zu verständigen.
Hundehalter führten nicht nur immer Tütchen zur Aufnahme und fachgerechten Entsorgung jener Häufchen mit sich, die Tiere im Freien nun mal hinterlassen. Sie leinten sie ordnungsgemäß an und vermieden so zum Beispiel das – und sei es nur freudvolle – Anspringen oder Belecken von Passanten, die solches halt nicht mochten. Nicht mal durch Welpen!
So war das einmal.
In eben unserer schönen Gegenwart.
Und morgen erzähle ich Ihnen ein anderes Märchen.
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