21. Jahrgang | Nummer 21 | 8. Oktober 2018

Heim und Welt. Ein Alltags-ABC (1)

von Erhard Weinholz

Abfallmanagement: Dieses Wort habe ich neulich auf der Seitenwand eines Kleintransporters gelesen. Es wurde dort auch genauer benannt, was sie mit dem Abfall alles anstellen, wie sie ihn also managen. Wissen würde ich noch gern, ob sich die Mitarbeiter solcher Firmen als Abfallmanager bezeichnen.

Backkompetenz: Die Firma Oe., auch das habe ich neulich gelesen, zeichnet sich durch rezeptorische Backkompetenz aus. Gewöhnliche Backkompetenz reicht nicht mehr, vorbei sind die Zeiten, als es noch hieß Willst Du einen Kuchen backen, musst Du haben sieben Sachen. Die heutigen Rezepte mit ihren fünfzehn, zwanzig oder noch mehr Zutaten zu entwickeln ist bekanntlich Sache sogenannter Rezeptoren. Sie rezeptieren aber nicht einfach vor sich hin, ihre Kompetenz wird gebündelt, und zwar im firmeneigenen Backkompetenzzentrum, kurz BKZ genannt. Ich vermute es jedenfalls.

Carla: Wer heißt denn heute noch Carla? Oder Bärbel, Karin, Ute? Die meisten dieses Namens sind inzwischen wohl in Rente gegangen. Ebenso wie die Simonen, die Grits und Heiken. O diese blonden blauäugigen Heiken, die uns, wenn wir nach Wohnheimfeten nachts im Baggerteich badeten, ihre Schönheiten sehen ließen, doch nicht etwa, um unsere Begierde anzuheizen, sondern weil es das ganz Natürliche war. Zu finden sind ihre Namen auf kleinen Plastelöffeln, die zu DDR-Zeiten den Eispackungen einer bestimmten Firma beilagen und die ich aus irgendeinem Grunde damals gesammelt haben muss. Vielleicht weil sie mir ein Rätsel aufgaben: Ich verstand den Sinn der Sache nicht, und gerade das Sinnlose habe ich gern bewahrt. Später schien mir noch, dass sich mit diesen Namen das eigentümlich Neckische der frühen siebziger Jahre verbindet, das zu jener Zeit längst schon Vergangenheit war.
Diese Firma mit ihren Löffeln gibt es noch immer. Doch was einst naiver Ausdruck des Zeitgeistes war, dient jetzt dazu, unsere Heimatgefühle auszubeuten. So etwas kommt mir nicht in meine Sammlung.

Dummheit, und zwar massenhafte, lässt sich vor allem im öffentlichen Personennahverkehr gut beobachten. Dort wird der Mensch ja zwangskollektiviert und dann vor bestimmte Aufgaben gestellt; man kann auch gleich sehen, wie er damit umgeht. Jetzt im Frühsommer fuhren die von ganz weit draußen kommenden Straßenbahnen der Linie 4 nicht bis zum Alexanderplatz, sondern bogen einige Stationen vorher in eine Querstraße ein, passierten eine Wendeschleife, fuhren darauf zurück und dann wieder auf der Stammstrecke hinaus Richtung Stadtrand. Die Haltestelle direkt vor der Kreuzung, wo sonst die stadtauswärts fahrenden Bahnen hielten, wurde nicht bedient. Dort standen nun allerlei Leute, aber nicht etwa sprachunkundige Ausländer, sondern zumeist Süddeutsche, wie es sich anhörte, standen und warteten. Sie sahen die Anzeige auf der Leuchttafel, sie sahen die Aushänge – und warteten. Sie sahen die Bahnen heranfahren und abbiegen, dachten sich nichts dabei und warteten, warteten immer weiter. Zwar hätte ich ihnen helfen können, doch kamen sie mir nicht hilfsbedürftig vor.

Esso Tank-Post, Nummer 4/1959, sehr hübsch, der Umschlag schon in Farbe, der Rest noch schwarz-weiß, wenigstens die nehme ich mal mit. Alles Übrige, das da neben einem Hauseingang in zwei Kartons lag, alte Landkarten, Stadtpläne, Broschüren, war muffig und nicht mehr zu gebrauchen. Herausgeber: Esso AG Hamburg. Redaktion? Wird nicht erwähnt. Schämten die sich vielleicht? Vor Jahren hatte ich einmal eine Nummer von Ruetz’ Bettenzeitung gefunden und mir gedacht: Feuilletonchef einer Bettenzeitung, das könnte mich durchaus reizen. Aber auch das Esso-Blatt hat allerlei zu bieten: Reisetipps, Neues aus der Forschung und sogar eine kleine heitere Geschichte. Taxifahrer in Neapel: Ein deutsches Ehepaar lässt sich im Taxi durch die Stadt kutschieren, wobei der einheimische Fahrer sich als ausgesprochenes Schlitzohr erweist. Autor war ein gewisser Karl Springenschmid – einer von den vielen wohl, die geschrieben und geschrieben haben, und geblieben ist von alledem nichts. Zu Hause gab ich, ohne auf Erfolg zu hoffen, den Namen am PC ein, doch siehe da: österreichischer Lehrer und Autor, NSDAP, SS, Blut-und-Boden-Ideologe, der Hauptverantwortliche für die Salzburger Bücherverbrennung im April 1938, später als Kriegsverbrecher verurteilt, konnte aber untertauchen, 1951 begnadigt. Und dann bildet er sich zum braven Bürger um und schreibt kleine heitere Geschichten. Während heute aus solchen Bürgern wiederum der Nazi hervorbricht. Wahrscheinlich gehören sie der gleichen Gattung an wie einst Dr. Jekyll und Mr. Hyde.