von Renate Hoffmann
Der Sommer ist gegangen, der Herbst hat angefangen. Und mit ihm beginnt die wunderbunte Jahreszeit. Sie schüttet ihre Farben über Baum und Strauch und Blumenflor, jede Nuance des Regenbogens nutzend. Als sei in den Gärten das große Abschiedstreffen eingeleitet, an dem aber niemand trauert. Sonnenblumen, die Zinnien, Herbstastern, späte Hortensien. Und die Dahlien. Die Farbenfrohen mit der jahrhundertealten mexikanischen Vergangenheit. Blume der Azteken, die es verstanden, prachtvolle Gärten anzulegen. Cocoxochitl hieß die Schöne zu ihrer Zeit. Moctezuma II. (Montezuma um 1465–1520) soll sie zur Lieblingsblume erkoren haben.
Die Spanier sahen sie auf ihren Eroberungszügen in Südamerika. Ein spanischer Arzt beschrieb die Mexikanerin nach zwei ausgedehnten Forschungsreisen im 16. Jahrhundert. Sie gelangte in den Botanischen Garten von Madrid und wurde dort getauft. Auf den Namen Dahlia pinnata nach dem schwedischen Botaniker Andreas Dahl (1751–1789). Zwei weitere Dahlien kommen in Madrid zur Blüte. Knollen der Dahlia coccinea werden voller Stolz nach Paris gesandt. Und was geschieht? Man hält sie für essbar, kostet und verwirft.
Alexander von Humboldt, der geniale Naturforscher (1769–1859), greift ein in die Dahliensituation! – Was hat er nicht alles unternommen, bewegt, beschrieben, erforscht, gezeichnet, gesammelt. Seine Expedition nach Süd- und Zentralamerika in den Jahren 1799 bis 1804, gemeinsam mit dem französischen Arzt Aimé Bonpland (1773–1858) gilt als die bedeutendste Forschungsreise der Jahrhundertwende. Neben vielem anderem beschreibt Humboldt als Erster, nach dem Aufstieg zum Chimborazo, die Folgen der Höhenkrankheit; erforscht Vulkane; macht astronomische Beobachtungen, entdeckt die kalte Meeresströmung an der Westküste Südamerikas. Und er hält den Blick auf die botanischen Besonderheiten der Neuen Welt. Humboldt und Freund Bonpland bringen bei ihrer Rückkehr an die 6000 Pflanzen im Expeditionsgepäck mit. Zum Teil als vermehrungsfähiges Material oder als Naturselbstdrucke und Zeichnungen halten sie Einzug in die Alte Welt. Drei von ihnen gehören nunmehr zum geschätzten Blumenschmuck: Studentenblume, Weihnachtsstern – und die Dahlie. Obgleich sie teilweise in England, Frankreich und Spanien schon angesiedelt war, sorgten die beiden Amerikareisenden durch den eingeführten und versandten Samen für eine rasche Verbreitung der „Herbstkönigin“ in Europa. Der Berliner Botanische Garten genoss den Vorzug.
In einer Übersicht schwedischer Gartenbauschriften der Jahre 1839–1842 wird im Zusammenhang mit der „Georginen-Cultur“ (zeitweilige botanische Bezeichnung der Dahlien – d.A.) ein Schreiben zitiert, in dem „v. Humboldt erwähnt, wie er 1803 mit Bonpland beim Herabsteigen von der Hochebene von Mexico gegen die Südsee, auf e. Art v. Wiese […] östlich vom Vulkane Jorullo unweit Pazcuaro die Georgina variabilis (Synonym für Dahlia pinnata – d.A.) gefunden, blühend, aber nur 4 bis 5 Zoll hoch.“ – Die beiden Wildformen D. pinnata, die Großfiedrige, und D. coccinea, die Scharlachartige, sind die mexikanischen Ureltern der wunderbaren, vielfarbigen, vielgestaltigen, eleganten, königlichen Blume des Herbstes.
Spaziergang im Britzer Garten. Der 90 Hektar große Landschaftspark im Berliner Süden entstand Mitte der 1980er Jahre in Verbindung mit der Bundesgartenschau. Wald, Wiesen, Wasser, Themengärten, jahreszeitliche Sonderschauen zur Erholung, Freude und Erbauung der Berliner und ihrer Gäste.
„Dahlienfeuer“ – Die Herbstschau. Zutreffender hieße sie wohl Dahlienrausch. Denn es sind auch zarte, schüchterne, kleine Pomponartige unter ihnen, die in ihrer Bescheidenheit nichts Feuriges zu erkennen geben. Herbstgemäß fällt feiner Nieselregen. Er lässt das Farbenmeer von über 280 Dahliensorten wie frisch geputzt erscheinen. Die Quartiere der entfesselten Buntheit umrahmen, den Kontrast betonend, dunkelrötliche- oder hellgrüngelbe Blattpflanzen. Eine zärtliche Umarmung. Die farbliche Abstimmung in den Beeten ist perfekt. Sei es Violett – vom tiefen Dunkel bis zum kaum erkennbaren lilafarbenen Überhauch der Blüten geführt; oder leuchtendes Orange, das, abgestuft, bis zu Gold- und Zitronengelb hinüber reicht. Wo soll man in dieser Fülle verweilen? Primadonnen sind sie alle. Santa Claus gibt sich in zurückhaltendem Rosa. Rhea ist eine kecke Rote mit weißen Spitzen; Chat noir hingegen hat verführerisches Rot aufgelegt. Champagnerfarbene sind dazwischen und fast schwarze, auch unschuldig weiße. Hoch oder niedrig gewachsen, gefiedert, gefüllt und einfach in der Blüte.
Sollte ich die Schönste in der Schar auswählen, so wäre es die Dahlie Arabian Night. Sie ist von dunklem warmen Rot, geheimnisvoll und schillernd wie ein Märchen.
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