von Bernhard Romeike
Mit der Präferierung des Freihandels blieb US-Präsident Barack Obama in der Clinton-Tradition. Präsident Bill Clinton hatte – ähnlich Kanzler Schröder in Deutschland – in den 1990er Jahren dem Neoliberalismus erst so recht zum Durchbruch verholfen. Das Instrument im Falle der USA waren die Freihandelsabkommen. Sie ermöglichten dem Großkapital, ihre Güterproduktion ins Ausland zu verlagern. Das sparte Lohnkosten in den USA und bescherte den Aktienbesitzern zusätzliche Dividenden. Gut bezahlte Jobs in den USA verschwanden. Das reduzierte zugleich das Steueraufkommen der Städte und Bundesstaaten und schwächte die Rolle der Gewerkschaften. Diese Wirtschaftspolitik der USA begünstigte zugleich die Industrialisierung von Ländern wie China und Mexiko. Und gegen die richtet sich jetzt die Schutzzoll-Politik der Trump-Regierung im Streben nach einer Re-Industrialisierung der USA.
All dies liegt in der Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems begründet. Der Wirtschaftshistoriker Immanuel Wallerstein hatte in seinem vor zwanzig Jahren erschienenen Buch „Utopistik“ die innere Logik dieses Prozesses beschrieben. Die Lohnkosten in der Region, in die die Produktion verlagert wird, müssen beträchtlich niedriger liegen als in jener, in der diese Produktion bisher erfolgte. Die Gruppen von Arbeitern dort, die in der Regel aus ländlichen Zonen kommen und Arbeiter der ersten Generation sind, verdienen nach dem Weltstandard wenig, im Vergleich zu ihren bisherigen Einkommen jedoch relativ viel. Sie sind in der Regel politisch und organisatorisch – gewerkschaftlich gesehen – schwach, überwinden diese Schwäche jedoch in dreißig bis fünfzig Jahren.
Damit ist der Vorteil des Ortswechsels für das die Produktion verlagernde Unternehmen zunächst vorhanden, letztlich aber zeitlich begrenzt. Um den Vorteil zu bewahren, muss jeweils der nächste Ortswechsel ins Auge gefasst werden. In der Europäischen Union war dieser Prozess mit der Verlagerung von Produktionen aus dem Westen nach Ostdeutschland oder Tschechien und dann weiter nach Rumänien oder Slowenien zu besichtigen. Wallerstein machte jedoch darauf aufmerksam, dass im Ergebnis dieses Wanderungsprozesses eine Entagrarisierung der Welt stattfindet und die industrialisierte oder modernisierte Zone wächst. Das führt jedoch zu einer weltweiten Zunahme der Verhandlungsmacht der Arbeiter und damit zu einem globalen Trend ansteigender Löhne oder aus der Sicht der Kapitalisten: der Lohnkosten.
Donald Trump, der die außenwirtschaftliche Situation der USA vor allem unter einer realwirtschaftlichen Perspektive und in bilateralen Saldierungen betrachtet – die Riesenprofite der in den USA beheimateten Internet- und Medienkonzerne wie Google, Facebook und Apple kommen bei ihm nicht vor –, hatte nach seinem Amtsantritt zunächst das Nordatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) kassiert und das Pazifische Abkommen (TPP) aufgekündigt. Zugleich hatte er das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA), das seit Clinton 1994 die Wirtschaften der USA, Mexikos und Kanadas verbindet, durch ein anderes ersetzen wollen. Das löst sich jetzt offenbar in zwei bilaterale Abkommen der USA mit den beiden anderen auf. Die Verhandlungen mit Kanada gestalten sich schwierig, während mit Mexiko ein Ergebnis vorzuliegen scheint.
Die meisten Details werden noch unter Verschluss gehalten, einiges wurde jedoch in Umlauf gebracht. So gibt es eine Verständigung, die insbesondere die Autoproduktion betrifft.
In der Liste der weltgrößten Exporteure liegt Mexiko inzwischen auf Platz 13 – mit einem Exportvolumen von 409,5 Milliarden US-Dollar. 80 Prozent davon gehen in die USA. Dabei erzielte Mexiko einen Überschuss von 71 Milliarden US-Dollar. Ein beträchtlicher Teil der mexikanischen Exporte entfällt auf die Automobilindustrie, auf Personen- und Lastkraftwagen sowie Zubehörteile. 3,77 Millionen Fahrzeuge liefen in Mexiko 2017 vom Band. Zu den Autobauern gehören auch die deutschen Firmen VW, Audi, BMW und Daimler, deren Kalkül vor allem war, unter Nutzung der vergleichsweise niedrigen Löhne von Mexiko aus günstig den nordamerikanischen Markt zu beliefern.
Das neue Handelsabkommen der USA mit Mexiko legt fest, dass nunmehr 75 Prozent der Autoteile innerhalb der Freihandelszone (also bisher NAFTA) produziert sein müssen, statt bisher 62,5 Prozent. Das richtet sich vor allem gegen billige Zulieferer, darunter aus China. Zugleich sollen künftig 40 bis 45 Prozent der hier beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter einen Stundenlohn von mindestens 16 US-Dollar erhalten.
Ob dadurch in der Autobranche wegen der Verringerung des Vorteils der niedrigen Lohnkosten Industriearbeitsplätze nun zurück in die USA wandern, wie manche Beobachter vermuten und Trump wahrscheinlich erwartet, mag dahingestellt sein. Der von Wallerstein prognostizierte Anstieg der Löhne (hier in dem bisherigen Billiglohnland Mexiko) dürfte sich aber beschleunigen – zum „natürlichen“ Druck der Arbeiter und ihrer Gewerkschaften kommt ein zuvor so nicht zu erwartender Druck der US-Regierung hinzu.
So wird Trump vielleicht dereinst als Sachwalter der Interessen der Arbeiter in die Geschichte eingehen.
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