21. Jahrgang | Nummer 17 | 13. August 2018

Querbeet

von Reinhard Wengierek

Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: diesmal scharfe Scherze übers Essen, Stadtreinigung als Mitmachtheaterspaß, Statistik der Spielplanspitzen, Erinnerung an einen Zauberkönig als Bühnenmeister …

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„Es ist angerichtet!“ – Schon im Doppelsinn des Titels dieser Ausstellung steckt ihr ganzer Witz. Es geht ums gute und schlechte Essen, um gute und schlechte Nahrungsmittel samt ihrer guten oder schlechten Herstellungsweise. Und schließlich darum, was nun gut ist und was schlecht – mithin gesund oder krank machend: den Menschen, die Tiere, die Natur und letztlich unsere eine ganze Welt.
Klingt erst mal schrecklich nach trockener Lehrveranstaltung. Doch die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung in der Potsdamer Heinrich-Mann-Allee hat sich eine höchst originelle Art der „Aufbereitung“ dieses überlebenswichtigen Themas einfallen lassen. Die für Ausstellungen zuständige Kuratorin Martina Schellhorn nutzte ihre guten Kontakte zur einschlägigen Künstlerszene und lässt ein Dutzend berühmte Karikaturisten (darunter Henninger, HOGLI, Mette, Sakurei, Stuttmann, Wurster) den umfänglichen, dabei in aller Munde befindlichen Problemkatalog unterhaltsam aufblättern. Sensationelle Sache, so noch nie erlebt! – Nebenbei bemerkt: Die Fülle der von Schellhorn zusammengetragenen Arbeiten liefert en passant eine feine Übersicht über die ästhetische Vielfalt der Kunstform Karikatur hierzulande.
Natürlich steuert die Kuratorin auf knapp gefassten Tafeln diverse Sachinformationen bei. So werden in Brandenburg fast 45 Prozent der Bodenfläche landwirtschaftlich genutzt; wobei das Land einen Spitzenplatz im Ökolandbau einnimmt. Doch weil es an weiterverarbeitenden Betrieben fehlt, verlassen viele Bio-Rohstoffe die Region, um nach längeren Transporten in anderen Bundesländern verarbeitet zu werden. Übrigens, die Deutschen verwenden ein Zehntel ihres Einkommens für Lebensmittel (im Schnitt 350 Euro monatlich pro Haushalt), Tendenz steigend. Dabei stehen Fleisch (60 Kilo pro Jahr) und Fisch an erster Stelle, erst dann kommen Obst und Gemüse. Der Alkohol- und Tabakverbrauch ist rückläufig (zuletzt 42 Euro pro Monat). Dabei gilt aber noch immer: Die Deutschen sind (wie der Autor dieser Zeilen) viel zu dick – liegen aber trotzdem noch im EU-Schnitt, was kein Trost sein soll.
Dennoch, bei allen aufs Nötigste beschränkten Hintergrundinfos spricht die reiche Bilder-Schau mit ihrem Spott und Sarkasmus, ihren frappierenden Pointen und dem kompakten Hintersinn für sich. Die originellen Bildideen verdichten überzeugender als manche Fachvorträge komplexe Sachverhalte wie Bienensterben, Dioxin, Verschwendung, Pestizide oder Gentechnik. Die elegant präsentierte Ausstellung gliedert sich übersichtlich in 24 Themenfelder von „Kükentöten“, „Vegan“ bis zu „Antibiotika“, „Armut“, „Hunger“ oder „Schwein und Mensch“. Da gibt es viel zu Grinsen oder erstaunt mit dem Kopf zu schütteln. Genauso oft jedoch hält man erschrocken inne. Was haben wir nicht alles angerichtet! – Aber auch: Guten Appetit beim köstlich Aufgetischten!

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Eine seltsame Truppe in blauen Arbeitsklamotten, mit roten Mützen, Besen und Schippe tobt neuerdings, Trillerpfeifen zwischen den Lippen, durch Berlin. Genauer gesagt: durch die Ausgeh-Areale zwischen Oranienstraße (Kreuzberg) und Weserstraße (Neukölln). Um das allerorten ziemlich verdreckte Stadtbild wenigstens etwas aufzuhellen an jenen Ecken, wo der Partybetrieb besonders hingebungsvoll mit seinen Hinterlassenschaften schmuddelt.
Es ist aber eben nicht die Firma BSR, die längst überfordert ist im ordentlich öffentlichen Dreckwegräumen. Es ist vielmehr die interaktive Straßentheatertruppe „Müll & The Gang“, die da – pädagogisch originell & wertvoll – unter der phantasievollen Regie von Andrea Bittermann und mit hinterhältigem Spaß das staunende Volk auf den einschlägigen Straßen animiert, nicht alles, was man da so mit sich schleppt und nicht mehr braucht (beispielsweise alle Arten Verpackung) einfach fix fallen zu lassen, sondern endlich (wenigstens einmal) korrekt zu entsorgen. Auch die notorischen Sperrmüll-Vandalen unter den Einheimischen werden energisch, aber mit hinterhältigem Charme, aufs Korn genommen in dieser amüsanten Aktion jeweils an den August-Wochenenden. Motto: „Die Ratten kommen!“ – Was für eine verdienstvolle Spaß-Veranstaltung für Mitmach-Enthusiasten in Richtung „Unsere Stadt soll schöner werden“. Gewiss könnte eine derartige Müll-Gang auch andernorts identitätsstiftend den Kollektivgeist stärken und zugleich verschmuddelte Stadtbilder putzen. Im Osten hieß so was einst „Subbotnik“. – Nachmachen!

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Sie wollen wissen, was das Publikum hierzulande sehen wollte? Hier die Spielplanspitzen der Saison 2016/2017 in den drei deutschsprachigen Ländern: Ferdinand von Schirachs Gerichtsdrama „Terror“ ist mit 36 Inszenierungen mit großem Abstand Spitzenreiter im Schauspiel. Auf dem zweiten Platz liegt Goethes „Faust“ (27 Inszenierungen), gefolgt von Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ (24). Unter den Top Ten befinden sich „Frau Müller muss weg“ von Lutz Hübner, „Geächtet“ von Ayad Akhtar, die Houllebecq-Bearbeitung von „Unterwerfung“. Der Autor mit den höchsten Zahlen beim Gesamtwerk im Schauspiel bleibt Shakespeare mit insgesamt 111 Inszenierungen.
In der Oper führt Humperdincks „Hänsel und Gretel“ (24 Inszenierungen), gefolgt von Bizets „Carmen“ (24) und Mozarts „Zauberflöte“ (23). Mozart bleibt mit 98 Inszenierungen der Komponist mit den meisten Inszenierungen, bezogen auf alle seine Werke.
Die jüngste, soeben veröffentlichte Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins beruht auf Angaben (Autoren, Inszenierungen, Aufführungs- und Zuschauerzahlen) von 461 Theatern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz.

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Mit siebzehn macht er seinen Traum wahr, verlässt das Elternhaus in Remscheid und will Maler werden. Sechs Jahre später, 1927, nach Akademien in Kassel und Weimar, entschied sich Theo Otto fürs Bühnenbild. Es war der Start in eine erstaunlich steile Hochleistungskarriere (800 Ausstattungen in 40 Arbeitsjahren), die leider viel zu früh endete. Otto starb mit 64 Jahren im Sommer 1968, so dass wir jetzt seines 50. Todestags gedenken.
Schon mit 24 war er, nach kurzer Assistenz an der Staatsoper Unter den Linden, Chefausstatter der Preußischen Staatstheater Berlin. 1933 gab er Intendant Gustaf Gründgens einen Korb, emigrierte nach Zürich und arbeitete am dortigen Schauspielhaus. Otto war Ausstatter der großen Exilstücke Brechts („Courage“ – bei bloß zwei Wochen Probezeit; „Galilei“, „Sezuan“, „Puntila“). Überhaupt waren es die „Brecht-Bühnen“, die Arbeiten für die Salzburger Festspiele sowie die „Faust“-Ausstattungen, die im Zentrum seines reichen Schaffens standen. Allein den Goethe-Klassiker brachte er 15 Mal auf die Bühne, die Hamburger Produktion 1957 mit Gründgens gilt als berühmteste.
Nach 1949 arbeitete Otto für Bertolt Brecht in Ostberlin, lehnte jedoch ein festes Engagement am neu gegründeten Berliner Ensemble ab. Dafür setzte er, zusammen mit Regisseur Harry Buckwitz, Brecht in Frankfurt, im Westen, durch. Und bemerkte bestürzt, der Autor erleide nun das Schicksal seiner Heiligen Johanna der Schlachthöfe: „Das grandiose Ärgernis wird degradiert zum Bijou. Man hat seinen Zobel, seinen Picasso und neuerdings seinen Bert Brecht.“
Friedrich Dürrenmatt nannte Theo Otto einen „Herrn des Hintergrunds“, von einem „Mann der Zauberei“ schwärmte Max Frisch. Denn Otto war Poet und Analytiker zugleich, der die Welt auf der Bühne nicht nur nachahmte, sondern neue Welten erschuf, die er zusammensetzte aus trefflichen Fragmenten. Da existierte stets das nur wirklich Notwendige, was zugleich das Charakteristische, Signifikante war. Und immer hatte er das Verhältnis von Mensch und Welt im Blick; er sah es tragisch. – Dabei bestand er auf eine Art Theater, das dem Publikum packende, nachvollziehbare Geschichten zeige, auf dass jeder, nicht etwa allein der Regisseur, sich einen Vers drauf mache.
Theo Otto war kein Mann der Systeme und Programme, sondern einer des weit Offenen. „Naturalismus als Mittel kann so gut sein, wie er als Programm schlecht ist. Abstraktion als Mittel kann ebenso gut sein, wie sie als Programm tödlich wirken kann.“ Zwei Sätze gegen alle Moden- und Markenmacher der Szene, erst recht heutzutage, da rigoroser Verfremdung nur allzu gern und engstirnig die Dominanz eingeräumt wird.