21. Jahrgang | Nummer 18 | 27. August 2018

Ein Gentleman in Afrika

von Thomas Behlert

Der heutige Reiseberichtschreiberling hat es doch viel einfacher: Er fährt in einer klimatisierten Kutsche an den längst vollständig touristisch erschlossenen Ort und versucht dort, den Ureinwohnern einen noch irgendwie unbekannten Strand zu entreißen und ihn den Lesern seiner Hochglanzpostille zu empfehlen. Nach spätestens zwei Jahren liegt auch dort der Wohlstandsmüll herum und Plastetüten treiben über das ehemals blaue Meer. Oder man fliegt gleich mit der Idee in ein weites Land, dort Fehler und Pannen zu entdecken.
Ganz anders verliefen Reisen in ferne Länder im vorigen Jahrhundert. Der englische Reporter Evelyn Waugh, geboren 1903 in Hampstead und verstorben 1966 in Taunton, war einer der wenigen Journalisten, die im Oktober 1930 nach Addis Abeba aufbrachen, um den Lesern englischer Zeitungen die Hauptstadt Abessiniens (Äthiopiens) näher zu bringen. Etwas Glück hatte er bei der Wahl des Zeitpunktes, denn just in jenem Monat sollte Haile Selassie in Addis Abeba zum König der Könige (Negus Negest) gekrönt werden. Da Vertreter aller bedeutenden Weltmächte ihr Kommen angekündigt hatten und bei der Krönung dabei sein wollten, wurde der Akt zu einem gewaltigen Ereignis aufgebauscht.
Afrika stellte man sich seinerzeit noch als einen Teil aus „Tausendundeiner Nacht“ vor und ignorierte geflissentlich – weil man als Weltmacht Schuld daran hatte – die Barbarei in diesem Teil der Welt. Evelyn Waugh dagegen klärte als englischer Gentleman auf: über Schmutz, Willkür, Hunger, unheilbare Krankheiten und viele ungelöste Probleme. Abgeklärt und mit staubtrockenem Humor gespickt, beschrieb er zunächst für die Zeitungen The Times und Daily Express die langwierigen Vorbereitungen auf die Krönungsfeier. 1931 folgte sein Buch „Remote People“, das jetzt leicht überarbeitet im deutschsprachigen Raum als „Expeditionen eines englischen Gentleman“ erscheint. Bitterböse schildert Waugh das Verhalten europäischer Diplomaten, die das Elend im Lande völlig ausblendeten, sich lieber teuren Vergnügungen hingaben und ausgelassen pompöse Feste feierten. Sie tranken Sekt, aßen seltene Tiere und brachten für den König sinnlose, meist sehr teure Geschenke mit. Waugh entlarvt die Diplomaten und besonders ihre Gattinnen, die als „arme Halbschwestern der hohen Damen in Washington und Rom“ nach Abessinien kamen und plötzlich in Glanz und höfischer Pracht schwelgten, sich an gut aussehenden Uniformen, Hofknicksen und Champagner ergötzten. Die Regierung des Landes sorgte sich, denn sie musste die illustren Gäste unterbringen, die Gastfreundschaft bezahlen und das alles mit einem „ungeordneten Staatshaushalt und einer schwachen Währung“.
Nach langem Warten nahte endlich die Krönung, die Evelyn Waugh böse-sarkastisch schildert, eben wie sie wirklich war. Bei genauem Hinsehen wurde klar, dass kein für die Krönung geplantes Bauwerk, fertig war. Da die Arbeiter nicht gerecht bezahlt wurden, arbeiteten sie langsam und nur unter Zwang. Die Pferde gingen während der Zeremonie durch („Die kaiserlichen Pferde bäumten sich auf, stiegen übereinander her, rissen die vergoldete Vorderseite der Kutsche weg und zerrten am Geschirr.“), eine heruntergekommene Blaskapelle spielte die Nationalhymne mehr als schlecht und die Zeremonie geriet endlos lang. In der ausgestorbenen Kirchensprache Ge’ez wurden Psalmen, Hymnen und Gebete gelesen und endlich als Höhepunkt Kerzen angezündet. Andere Reporter ignorierten, was Waugh da schilderte, und schrieben lieber von Glanz und Gloria, wundervollen Paradeuniformen, Gold und Silber.
Bevor der Autor die langwierige Heimreise mit dem Schiff antrat, begab er sich auf eine Tour über Aden, Sansibar, Kenia, Belgisch-Kongo nach Südafrika. Auf diesem Weg lernte er verschiedene Völker kennen, besuchte Gefängnisse, die in einem schlimmen Zustand waren, sprach mit Siedlern und bewunderte deutsche Weltenbummler, die auf dem Weg nach Indien beim Sultan von Lahedesch als Automechaniker und Staudammbauer arbeiteten und für ihn das einzige WC in ganz Südarabien installierten. Nach sechs Tagen Zugfahrt landete er schließlich in Kapstadt, „einer grässlichen Stadt“, die ihn an Glasgow erinnerte.
Evelyn Waugh gelang mit diesem Werk ein nicht alltäglicher Bericht über eine Reise durch eine bis dahin unbekannte Welt. Der Verlag preist es als „Juwel der Reiseschriftstellerei“. Die scharfsinnigen Beobachtungen in diesem bitterböse-satirischen Text fesseln den Leser bis zum heutigen Tag.

Evelyn Waugh: Expeditionen eines englischen Gentleman, Diogenes Verlag, Zürich 2018, 336 Seiten, 24,00 Euro.