von Joachim Lange
Nikolaus Bachler, liebt die große Show. Ist ja auch in Ordnung für den Chef der Bayerischen Staatsoper in München. Wenn er auf einem Besetzungszettel die großen Namen der Branche haben will, dann bekommt er sie auch. So gelingt ihm tatsächlich immer wieder das, wofür bayerische Politiker sich in der Regel vergeblich mühen, nämlich Berlin den Rang abzulaufen.
Wenn in München die Opernfestspiele (ein Monat Leistungsschau auf Spitzenniveau, mit Spitzenpreisen für die eigenen Produktionen) eröffnet werden, dann ist auch ein Opernblockbuster wie Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ gerade recht. Das von seinem Schöpfer eigentlich nur für Bayreuth und dann doch den (Wagner-)Erdkreis gedachte Opus ist „Parsifal“ schon längst nicht mehr. Damit war es im Grunde schon vorbei, als der den Grünen Hügel trotz Wagners Gebot und Cosimas Willen doch verlassen durfte. Nach den unrühmlichen diversen Vereinnahmungen bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts haben sich Regisseure wie Harry Kupfer, Peter Konwitschny, Sebastian Baumgarten oder in jüngerer Vergangenheit auch Tatjana Gürbaca mit ihrem szenischen Analyseehrgeiz seiner angenommen. Dass Calixto Bieito in Stuttgart mit einer beklemmend postkatstrophischen Vision aufwartete, lag auch in der Marktlogik des Opernbetriebes. In Bayreuth selbst ließ noch der Wagner-Enkel Wolfgang selbst den inszenatorischen „Sündenfall“ namens Christoph Schlingensief zu. In Stefan Herheims Nachfolge-Inszenierung wurde der „Parsifal“ gleich noch zum Tribunal für die braun kontaminierte Geschichte von Werk, Clan und Nation ausgeweitet. Und auch die aktuelle Version von Uwe Eric Laufenberg ist politisch ambitioniert, weit jenseits weihevoller pseudoreligiöser Erbaulichkeit.
Nichts von alledem jetzt in München.
Da ist der Name des Regisseurs Pierre Audi eher als eine Entwarnung für die Altwagnerianer zu verstehen, während der Bühnenbildner die Kunstfreunde neugierig macht und die Luxus-Besetzung alle Opernfreunde auf die Stuhlkante treibt; schon wenn man die Namen aufzählt, kann einem schwindlig werden: Jonas Kaufmann, Nina Stemme, René Pape, Christian Gerhaher, Wolfgang Koch – alle an einem Abend im gleichen Stück auf der Bühne. Da können sich die Münchner wirklich was drauf einbilden.
Pape ist als Grunemanz denn auch der eloquente, hochsouveräne, zuverlässige Fels in der Brandung. Ohne Fehl und Tadel. Der Tenorstrahlemann und Münchner Jonas Kaufmann ist ein gestaltender Parsifal, der sein manchmal gaumiges Aroma im Griff und in den entscheidenden Momenten genügend Stahlkraft hat, um zu faszinieren. Beim „Amfortas! – Die Wunde!“ beglaubigt er den einen, auch optisch mal dramatischen Augenblick überzeugend. Nina Stemme ist eine grandios gereifte Kundry – hat imponierendes vokales Format, läuft nicht nur in ihrem Rampendialog mit Wolfgang Koch als Klingsor zur Hochform auf und kann ebenso markerschütternd schreien oder stöhnen, wie sie singt. Koch erweist sich wiederum in seinem seltsam aufgeblasenen Kostüm als Meister des Dramatischen, Höhnischen, Zynischen. Da störte das fehlende Quäntchen Diabolik dann auch nicht.
Christian Gerhahers Amfortas ist eine Sache für sich. Der so kluge wie gestaltungswillige Sänger liefert eine Studie des Leidensmannes, die man so noch nicht gesehen hat. Er wechselt buchstäblich in jedem Moment die emotionale Erregung, nimmt jede Sequenz auseinander und für sich und setzt sie zu einer Figur zusammen, die man (ohne Ton) auch für einen King Lear auf der Heide halten könnte. Bei aller Faszination, die dieser autonome Gestaltungswille hat, geht er diesmal allerdings doch einen Schritt zu weit ins Experimentelle, respektive Exaltierte.
Im Graben ist die Eröffnung der Opernfestspiele in München natürlich Chefsache. Also mit Krill Petrenko am Pult. Seit seinem legendären Meininger Ring hat er sich via Bayreuth und München längst als einer der führenden Wagnerdirigenten etabliert. Beim Münchner Publikum hat der kleine, immer bescheiden auftretende Russe einen Stein im Brett. Die lieben ihn, obwohl er ein Berlinticket in der Tasche und den Chefposten der Berliner Philharmoniker auf der Agenda hat. Er versucht bei seinem ersten „Parsifal“ gar nicht erst, den dafür idealen Bayreuther Klang zu imitieren, sondern entfaltet dessen ganze Pracht bewusst, klar, analytisch und durchhörbar. Er kriegt das Kunststück fertig, trotz eines ziemlich flotten ersten Aufzugs – eine Stunde und 36 Minuten – dennoch nicht den Eindruck von bewusst angeschlagenem Tempo entstehen zu lassen. Nicht nur durch die Generalpausen. Natürlich trägt er die Sänger auf Händen, was in dieser Kategorie nicht so schwer ist. Noch dazu, wenn die Bühne und die Regie sie an der Rampe postieren und hinter ihnen ein Hänger dafür sorgt, dass nichts in die Tiefe der Bühne entschwinden kann.
Der Rest war Jubel.
So weit, so gut. Oder zumindest interessant. Der große Name, den Bachler dieser Truppe hinzugefügt hat, ist der von Malerstar Georg Baselitz. Der bleibt bei seinem erneuten Ausflug auf die Opernbühne (er hatte in Chemnitz schon mal den großen Makabren von Ligeti ausgestattet) zumindest sich selbst treu. Ein verkohlter Wald für die Ritter. In der Mitte archaische zusammengebundene Stelen – anstelle der Burg. Bei der Verwandlungsmusik ein paar angeleuchtet Pappengel mittendrin. Wer hier die Optik bestimmt, zeigt sich dann im vorhersehbaren Bild des dritten Aufzugs. Da steht der Wald Kopf, und die Baselitz-Welt ist ganz bei sich. Nur eben nicht wirklich bei Wagner. Im zweiten Aufzug gibt es nur einen Zwischen-Vorhang (mit für sich genommen imponierenden Baselitz-Figuren im XL-Format) und dann eine Mauer-Skizze mit Riss. Dass der Wald am Ende des ersten Aktes in sich zusammensinkt, weil aus den Bäumen die Luft raus ist, und auf dem alles diffus schluckenden Gazevorhang zum Finale eine (bei Wagner vorgesehene) Taube erkennbar ist, mag ein Anflug von Selbstironie des Malers sein. Die albtraumartigen Nacktkostüme unter den Uniformen der frühen Baselitzschen „Helden“-Ritter oder die ebenso verknautschten Blumenmädchen mögen ein Hieb gegen den Jugend- und Schönheitskult sein. Dass sich am Ende alle um sich selbst drehen die Andeutung eines Statements zum Glauben. Aber das bleibt sehr blass.
Baselitz hat sich vor allem nur selbst hinzugefügt und nicht wirklich auf Wagners Werk eingelassen. Dieser Art von Verweigerung setzt Pierre Audi keinerlei Widerstand entgegen. Der über drei Jahrzehnte als Intendant der Amsterdamer Oper äußerst erfolgreiche Audi nimmt als Regisseur Baselitz hin und kapituliert vor der Macht seiner Bilder. Immerhin muss niemand im Kopfstand singen. Das Produktionsteam kassiert denn auch kräftige, ziemlich gut nachvollziehbare Buhs.
Schon im nächsten Monat zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele wird der nächste Malerstar für die Ausstattung verantwortlich sein: Neo Rauch wird das Bühnenbild für den neuen Lohengrin dort gestalten. Und der junge Amerikaner Yuval Sharon wird Regie führen. Was man davon bislang so hört, haben sie (zusammen mit Christian Thielemann im Graben und auch einer Starbesetzung) gute Chancen, den Münchner Parsifal als Gesamtkunstwerk zu übertreffen.
Nächste Vorstellung am 31. Juli 2018.
Dr. Joachim Lange, Jahrgang 1956, studierte an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg Volkswirtschaft. Er forschte, promovierte und lehrte dort am Wissenschaftsbereich Politische Ökonomie. Seit Mitte der 1990er Jahre als freier Autor tätig. Lebt in Halle an der Saale.
Schlagwörter: Georg Baselitz, Joachim Lange, München, Nikolaus Bachler, Parsifal, Wagner