von Clemens Fischer
Gegenüber seinen finsteren Vorgängern Woytila und Ratzinger erscheint der amtierende Papst Franziskus. zu Recht als Lichtgestalt, denn er setzt durch seine bescheidene persönliche Lebensart und seine volksnahen Auftritte in aller Welt deutlich andere Zeichen als diese. Auch hat er seiner Kurie schon zu Beginn seiner Amtszeit in historisch beispielloser Weise die Leviten gelesen und bei ihr so schwerwiegende Leiden wie spirituellen Alzheimer, Terrorismus des Geschwätzes sowie Rivalität und Eitelkeit diagnostiziert. Den verbreiteten sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch katholische Amts- und Würdenträger hat dieser Papst als das gebrandmarkt, was er ist – ein weltlich-juristisch zu ahndendes Verbrechen. Die Aufzählung mehr als nur symbolischer Unterschiede zu vorangegangenen Pontifexen ließe sich fortsetzen.
Doch Vorsicht vor der Brille der Verklärung!
So sagte Franziskus. über sexuell gleichgeschlechtlich Veranlagte zwar dieses: „Wenn jemand homosexuell ist und Gott sucht und guten Willens ist, wer bin ich, über ihn zu richten?“ Klingt nicht verkehrt, ist aber einer Spiegel-Kolumne von Margarete Stokowski zufolge immerhin unentschieden genug, um zu interpretieren, dass der Papst damit lediglich zum Ausdruck gebracht habe, „dass er Lesben und Schwule nicht eigenhändig auspeitschen möchte“. Damit mag Stokowski den Tatbestand der böswilligen Nachrede touchiert haben, aber sie fand auch folgendes – Frauen betreffend, die sich nicht zutrauen, einen schwerkranken Fötus weiter auszutragen: Die Ärzte, zu denen diese Frauen gingen, „stehen für den Papst auf einer Stufe mit den Nationalsozialisten, die zwischen 1933 und 45 etwa 200.000 – wohlgemerkt bereits geborene – kranke oder behinderte Menschen ermordeten: ‚Im vergangenen Jahrhundert war die ganze Welt schockiert davon, was die Nazis getan haben, um die Reinheit der Rasse sicherzustellen. Heute tun wir dasselbe, nur mit weißen Handschuhen.‘“ Auch Franziskus’ öffentlich geäußerte Meinung, dass dem Schlagen von Kindern im Kanon elterlicher Erziehungsmaßnahmen keineswegs entsagt werden müsse, solange nur die Würde der Gezüchtigten keinen Schaden nähme, fehlt im von Stokowski aufgemachten Sündenregister ebenso wenig wie weitere fragwürdige Dicta des amtierenden Bischofs von Rom. Die Autorin befürchtet im Übrigen, ihr Konvolut werde „vermutlich auch nicht ausreichen, um Franziskus den Ruf eines minderheitenfeindlichen Hardliners zu verleihen, denn bei Päpsten scheint alles als fortschrittlich zu gelten, was ohne die Androhung des Scheiterhaufens auskommt“.
Dass die Brille der Verklärung andererseits das gewünschte Mittel der Betrachtung ist, wenn der Vatikan selbst einen PR-Film über den Papst in Auftrag gibt, dürfte hingegen kaum verwundern. Eine solche Idee hatte 2013, Franziskus. war noch kein Jahr im Amt, Dario Viganò, seinerzeit PR-Stratege des Pontifex und, als studierter Theologe, auch Verfasser etlicher Bücher über das Kino. Er lud Wim Wenders zu diesem Projekt ein, den er als „Priester des Zelluloids“ beschwärmt, und er hätte keine bessere Wahl treffen können. Denn Wenders Credo, von ihm selbst formuliert, lautet: „Ich mache keine Filme, um etwas zu kritisieren.“ Oder etwas ausführlicher: „Wenn Sie sich meine Dokumentarfilme angucken, handeln die alle von Menschen, die ich mag und deren Kunst oder Arbeit ich so schätze, dass ich meine Freude oder Begeisterung daran teilen will. Ich bin keiner, der etwas infrage stellen will.“
Das Ergebnis flimmert derzeit über die einheimischen Leinwände – ein Propagandastreifen von hohen Graden, der zwar überhaupt nichts von Riefenstahlscher Martialästhetik hat, aber Bild und Wort auf vergleichbar professionelle wie verführerische Weise in den Dienst seiner verklärenden Botschaft stellt: Dass dieser Papst ganz gewiss die Welt rettete, wenn er es denn vermöchte.
Dabei wird vollständig ausgeblendet, was Franziskus. in den bisherigen fünf Jahren seines Pontifikats realiter bewirkt hat, respektive eben nicht. Die tatsächliche Bilanz ist nämlich eher mager.
Wenn der Kommentar des Films aus dem Off allerdings erklärt, dass die einzige Waffe des Papstes das Wort sei, dann wäre an dieser Bilanz an sich nichts auszusetzen, denn Worte allein sind bekanntlich – nur Schall und Rauch. Dass der Mann über einen weltweiten wirkungsmächtigen Apparat verfügt, der mit Finanzmitteln in kaum vorstellbaren Größenordnungen gesegnet ist – nebbich!
Aber manchmal rührt das Wort wenigstens zu Tränen. Etwa, so lässt der Kommentar ebenfalls wissen, bei einigen hartgesottenen US-Abgeordneten, als der Papst vor beiden Häusern des Kongresses den internationalen Waffenhandel geißelte und dessen Beendigung forderte.
Ist solche – unkommentierte – Mitteilung eigentlich noch naiv oder schon Schlimmeres?
Wenders hat sein Opus übrigens großenteils aus Archivmaterial des Vatikans komponiert. Mit einem Kollateraleffekt, der dem „Priester des Zelluloids“ folgendes Eigenlob eingab: Rein budgetmäßig sei dies „ein armer Film“. Denn: „Mit einem Papst, der eine arme Kirche für die Armen will, darf man keinen reichen Film machen.“
Nur 1,5 Millionen Euro hat der Streifen gekostet. Na, wenn das nichts ist?! Da soll ja mancher Fernseh-„Tatort“ schon teurer gewesen sein …
„Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“, Regie und Buch (Mitarbeit): Wim Wenders. Derzeit in den Kinos.
*
Die Malerin Caroline Weldon, geboren 1844 als Susanna Carolina Faesch in Kleinbasel in der Schweiz, wurde Sprachrohr, Sekretärin, Dolmetscherin und Advokatin des legendären Dakota-Häuptlings Sitting Bull und schuf insgesamt vier Ölportraits von ihm. Zwei davon sind erhalten – je eines heute in der Sammlung der North Dakota Historical Society in Bismarck und im Historic Arkansas Museum in Little Rock.
Der Film „Woman Walks Ahead“ erzählt – in getragenem Duktus, in immer wieder überwältigenden Bildern und frei von jeglichem Pathos – mit künstlerischen Freiheiten, also nicht streng entlang der Historie, wie diese Gemälde entstanden.
Der eigentliche Gegenstand des Streifens aber ist die Vorgeschichte des in Film ab kürzlich schon einmal erwähnten Massakers von Chankpe Opi Wakpala (Wounded Knee), das als letzter großer Akt der Vertreibung der nordamerikanischen Indianer auf dem Territorium der heutigen USA aus ihren angestammten Siedlungsgebieten und ihrer weitgehenden Ausrottung gilt: Am 29. Dezember 1890 schlachtete das 7. US-Kavallerie-Regiment 300 wehrlose Sioux ab, überwiegend Frauen und Kinder. Gegen dieses Regiment unter dem Befehl von General George Armstrong Custer hatten vereinigte Indianerstämme unter Führung ihrer Häuptlinge Sitting Bull, Crazy Horse und Gall im Jahre 1876 ihren letzten großen Sieg in einem von vornherein gegen einen kriegstechnisch weit überlegenen Gegner geführten Ringen erstritten.
Sitting Bull wurde 1890, wenige Tage vor Wounded Knee, auch das zeigt der Film, in jener Reservation in North Dakota, wo er zu diesem Zeitpunkt lebte, im Zuge einer Verhaftung durch die Reservatsverwaltung von einem Indianerpolizisten erschossen.
„Woman Walks Ahead“ („Die Frau, die vorausgeht“), Regie: Susanna White. Derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Clemens Fischer, Film, Franziskus, Indianer, Papst, Propaganda, Sitting Bull, Wim Wenders