21. Jahrgang | Nummer 15 | 16. Juli 2018

„Wirtschaftspolitische Geisterfahrt”

von Hubert Thielicke

Die jüngsten US-Sanktionen gegen Russland erschweren auch die Tätigkeit deutscher Unternehmen. Dass diese am Russlandgeschäft außerordentlich interessiert sind und große Chancen durch die Mitwirkung bei der Modernisierung der russischen Wirtschaft wittern, zeigen jüngste Diskussionen unter den im Ostgeschäft tätigen Firmen. Sie konnten erst jüngst ihre Schlagkraft wesentlich erhöhen. Im März schlossen sich die Wirtschaftsvereinigungen Ost-Ausschuss und Osteuropaverein zum „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft” (OAOEV) zusammen. Die neue einheitliche Regionalinitiative soll die Kompetenzen ihrer fast 400 Mitgliedsunternehmen bündeln und die deutsche Wirtschaft in den 29 Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropa, des Südkaukasus und Zentralasiens fördern. Immerhin umfasst dieser Osthandel ein Fünftel des gesamten deutschen Außenhandels und ist damit größer als der Handel mit den USA und China. Wie Wolfgang Büchele, Vorsitzender des OAOEV, erklärte, soll damit eine Antwort gegeben werden, „auf eine veränderte Weltlage, in der die Ost-Beziehungen selbst innerhalb der EU starken Schwankungen ausgesetzt sind, multilaterale Institutionen wie die WTO unter massivem Druck stehen und regelbasiertes Handeln von immer mehr willkürlichen Entscheidungen abgelöst zu werden droht“.
Während der deutsche Handel mit der Region Osteuropa weiterhin überdurchschnittlich wächst, hat sich das Russlandgeschäft nach Angaben des OAOEV seit Beginn des Jahres schwächer entwickelt. Dabei wirke sich die wachsende Unsicherheit aus, welche die aktuelle US-Politik für in Russland tätige Unternehmen mit sich bringe, so Michael Harms, Vorsitzender der OAOEV-Geschäftsführung jüngst auf einer Pressekonferenz. Die im April eingeführten neuen Sanktionen der USA gegen russische Unternehmen und Regierungsfunktionäre könnten auch Nicht-US-Bürger betreffen, die mit den sanktionierten Unternehmen zusammenarbeiten. „Die angekündigte Anwendung von US-Sanktionsrecht auf europäische Unternehmen widerspricht den Regeln der Welthandelsorganisation und des Völkerrechts. Es kann nicht sein, dass von Abgeordneten in Washington darüber entschieden wird, welche Geschäftspartner deutsche Unternehmen haben dürfen und welche nicht”, so Harms. Die USA würden damit eine „wirtschaftspolitische Geisterfahrt mit ungewissem Ausgang” einleiten. Deutsche Unternehmen seien mit der Frage konfrontiert, ob sie oft langjährige Geschäftsbeziehungen abbrechen. Befürchtet werden kurzfristig der Ausfall von Geschäften in dreistelliger Millionenhöhe und langfristige Verluste in Milliardenhöhe.
Im Hinblick auf die wieder eingeführten US-Sanktionen gegen Iran, so Harms weiter, habe die EU-Kommission mit der Aktivierung eines „Blocking-Statuts“ reagiert, das europäischen Unternehmen verbiete, US-Sanktionen zu beachten. Wenn das die grundsätzliche Rechtsauffassung der EU zu extraterritorialen Sanktionen sei, dann müsse das Statut auch im Falle der US-Maßnahmen gegen Russland gelten, forderte Harms.
Der OAOEV wendet sich im Übrigen gegen Überlegungen in den USA, das europäisch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2 zu sanktionieren. Die Arbeiten an dem Projekt haben begonnen. Es schafft zusätzliche Kapazitäten für den Erdgastransport und würde damit die Energiepreise stabil und die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähig halten. Der Erdgas-Transit durch die Ukraine soll, wie auch von russischer Seite, konkret von Präsident Putin selbst, unterstrichen worden ist, durch Nord Stream 2 nicht ersetzt werden. Begrüßt wird seitens des OAOEV, dass die Bundesregierung und die EU hier vermitteln wollen. Nachdrücklich spricht sich der OAOEV dafür aus, die Pipeline fertigzustellen, was aber eine entschlossene Haltung gegenüber den USA erfordere.
Während die wirtschaftlichen Effekte der Fußball-WM als eher begrenzt eingeschätzt werden, hätte, so der OAOEV, das Ereignis eine erhebliche psychologische Wirkung: die positiven Bilder über Russland, die ausgezeichnete Organisation, die modernen Stadien. Das könne dazu beitragen, die in letzter Zeit gegenüber Russland eingetretene Entfremdung zu überwinden. Insgesamt haben sich nach Einschätzung des OAOEV in jüngster Zeit die Rahmenbedingungen für deutsche Unternehmen in Russland hinsichtlich Rechtslage und Institutionen wesentlich verbessert; gewisse Probleme bereite allerdings weiterhin die Bürokratie auf örtlicher Ebene.
Unabhängig von der schwierigen Situation durch die Sanktionen hält die übergroße Mehrheit der deutschen Unternehmen in Russland an ihrem Engagement fest. Im Interesse der Effizienzsteigerung zeigt die russische Seite besonderes Interesse an Kooperationen zur Nutzung von Technologien zur Verbesserung der Arbeitsproduktivität, der Modernisierung industrieller Anlagen und generell an dem „Industrie 4.0“ genannten Komplex. Der OAOEV unterstützt die Zusammenarbeit durch solche Projekte wie eine Digitalisierungsinitiative mit dem russischen Industrieverband und eine Kooperationsvereinbarung mit der russischen Mittelstandsagentur. Durch ein weiteres Projekt zur technischen Regulierung soll die Vereinheitlichung von Normen nach deutschem und europäischem Maßstab gefördert werden. Das könnte auch ein wichtiger Schritt in Richtung einer Zusammenarbeit zwischen Europäischer Union und Eurasischer Wirtschaftsunion (EAWU) sein. In einem auf dem  5. east forum Berlin im April 2017 vorgestellten Memorandum, das inzwischen viele Verbände und Unternehmen unterzeichneten, wird gefordert, der EU-Kommission und der Kommission der EAWU das Mandat zu direkten Verhandlungen über die Harmonisierung von Regeln und technischen Normen zu übertragen. Bisher blockieren vor allem Polen und baltische Länder solche Gespräche, während die Bundesregierung ihnen positiv gegenübersteht.