von Gertraude Clemenz-Kirsch
Alors, machen wir uns auf den Weg in das spannende Intellektuellen-Viertel Saint-Germain-des-Prés. Es war das letze Quartier, das im Erlass von 1702 festgeschrieben wurde, ein Quartier mit reichen historischen Orten und geschichtsträchtigen Gebäuden. Da, wo sich die großen Boulevards Saint Michel und Saint-Germain kreuzen, steht einer der imposantesten Paläste der Stadt, das Musée Cluny. Früher logierten hier die Äbte von Cluny, heute beherbergt das Haus die wertvollste Sammlung des mittelalterlichen Frankreich.
Man kann es gut erkennen an den gelben Mauerresten der gallo-römischen Thermen, die sich an den Palast anschließen. Der Sammler Alexandre du Sommerard, der eine große Schwäche für mittelalterliche Kunst hatte, trug mit seinem Sohn die wertvollen Stücke zusammen. 1844 wurde die Gründung des Museums beschlossen, 1907 wurde es der Verwaltung der Nationalmuseen unterstellt.
Alles hier sind höchst seltene Funde aus alten Zeiten: Elfenbeinschnitzereien, Kästchen, Schatullen und Futterale, Truhen aus Eichen- oder Ebenholz, Glasfenster und Heiliges aus der Sainte-Chapelle und unendlich vieles mehr. Aber der Saal Dreizehn!
Dort erblickt man einen der größten Schätze des Cluny: die Bildteppiche Die Dame mit dem Einhorn. Eine Legende rankt sich um diese sechs Teppiche des Spätmittelalters, die hier schon ein Jahrhundert hängen und Künstler aus aller Welt anziehen:
Die Schriftstellerin George Sand hatte sie1844 an den Wänden in der Wohnung des Unterpräfekten im Schloss von Boussac gesehen und war überwältigt von den Farben. Kurz zuvor aber war der Dichter Prosper Mérimée, der den Posten eines Inspektors für Denkmalschutz innehatte, nach Boussac gefahren und hatte den beklagenswerten Zustand der Tapisserien festgestellt. Er informierte seine Verwaltung und empfahl dringend, diese Stücke anzukaufen. Vierzig Jahre sollten vergehen, ehe sie das Musée Cluny erwarb. Diese Kostbarkeiten zu betrachten ist ein unbedingtes Muss, ehe man weiter zur Place Jean-Paul Sartre – Simone de Beauvoir schlendert.
Hier hatte der berühmte Romancier, Dramatiker und Philosoph gewohnt, als man ihm im Juli 1961 eine Plastikbombe in die Wohnung warf, die danach nicht mehr bewohnbar war. Seit 1955, als der Algerienkrieg tobte und die Temps modernes ihre Unterstützung für den Kampf um die Unabhängigkeit dieses Landes gab, beschuldigte man Sartre und die Beauvoir anti-französisch zu sein. Die meisten Franzosen konnten diese Haltung nicht verstehen und es erhob sich sogar die Frage, ob man Sartre verhaften solle. Doch de Gaulle habe angeblich verfügt, so wusste es die Kardorff, dass man einen Voltaire nicht verhaftet.
Kein Geringerer als Sartre war es auch, der die ersten vier Texte ausgesucht hatte, mit denen die Gréco ihre Karriere begann. Bald sollte sie zur Personifizierung des Rive gauche, des linken Seine-Ufers werden mit dem Quartier Latin und Saint-Germain-des-Prés. In legendären Künstlercafés war sie zu Hause und den vielen kleinen Cabarets, wie sie in der Rue Saint-Jacques schon zu Zeiten Villons existierten.
Die jungen Intellektuellen rotteten sich zusammen und richteten sich in Kellern ein, die sie aus eigenen Kräften zu Theaterchen und Imbissstätten umfunktionierten. Dort hielten sie sich ganze Nächte hindurch auf und diskutierten über ihre künstlerischen Ambitionen. Man trank Kaffee und aß Croissants. Am 1. April 1947 öffnete das Tabou in der Rue Dauphine seine Pforten, in dem sich der Trompeter Boris Vian zum Kellerfürsten des Saint-Germain avancierte und die Lunge aus dem Leib blies. Heute ist aus dem Tabou ein vornehmer Partykeller geworden, fernab jedweder Erinnerung an Sartre und die Beauvoir, an Camus, Gaston Gallimard, Marcel Duhamel, François Mauriac, Yves Montand und Simone Signoret oder Jacques Prévert. Sogar Gertrude Stein, die die Stufen zum Keller hinunterstieg erinnerte sich, dass dort, in diesem feuchten Keller, ein köstlicher Schwefelgeruch aufstieg und seufzte, Gott, wie himmlisch war doch diese Hölle!
Hinter der Kirche Saint-Germaine-des-Prés, deren Seitenwände des Glockenturms noch aus dem Mittelalter stammen, kann der Flaneur im einstigen Klostergarten die Mauerreste der Abtei von Saint-Germain-des-Prés betrachten. Es war eine Stätte der Bildung und ein Zentrum der Geschichtsschreibung, wo 576 Germain, ein sehr beliebter Bischof von Paris, dem man wundertätige Eigenschaften nachsagte, im Kloster bestattet wurde. Weite Wiesenflächen umgaben den heiligen Ort, so dass recht bald Prés – (les Prés – die Wiesen) – dem Namen hinzugefügt wurde. Bald pilgerten die Pariser zu Scharen zum Grab des Bischofs. Ein guter Grund für die Händler, Schreiber, Gaukler, Seiltänzer, Marionettenspieler und Schausteller, sich hier niederzulassen. Hermann Schreiber schildert, dass so gut wie alles verkauft wurde, was man nur haben wollte; lediglich Waffen und Bücher bildeten eine Ausnahme, die einen aus Gründen der Sicherheit für die Marktbesucher selbst, die anderen, weil Gepflogenheiten und Ansehen der auf dem linken Ufer besonders stark vertretenen Studentenschaft und des ganzen gelehrten Betriebes eine Vermengung mit Jahrmarktsartikeln verboten war.
Seinen Höhepunkt erlebte der Bau im Mittelalter. Die Fundamente, auf denen man im Jahre 900 die neue Kirche errichtete, stammen noch aus der Merowingerzeit. Benediktiner waren es, die im 17. Jahrhundert Saint-Germain-des-Prés zu einem intellektuellen Zentrum Europas entwickelten. Die 1789er Revolution aber zerstörte nicht nur sämtliche Klostergebäude und beschlagnahmte 50.000 Bände der Bibliothek, sie richtete auch die meisten der Ordensleute grausam hin. Die Klosteranlage gibt es nicht mehr, doch die Kirche und der Abtpalast sind in den Jahrhunderten restauriert wurden.
Der Trubel auf den Wiesen hingegen hielt sich über viele Jahrhunderte. So weiß Hermann Schreiber aus einem Brief des Königs an seinen Finanzminister Sully zu berichten, dass Heinrich IV. allein am 28. Februar 1607 dreitausend Taler an den Spieltischen verloren hatte und dass 1749 die Pariser Bevölkerung das erste Nashorn besichtigen konnte, was jeden Besucher etwa so viel kostete wie zehn Tassen Kaffee. Besonders einträglich aber war das Viertel für die leichten Mädchen, die sich an die schweren Geldkatzen der Neugierigen aus der Provinz hängten. Erst 1805 soll dem Trubel durch Napoleon ein Ende gesetzt worden sein, das Marktgelände wurde an die Stadt verkauft.
Heute ist das Saint- Germain-des Prés einer der wichtigsten Touristenhöhepunkte und das wusste man zu nutzen. War das Viertel einst Zentrum des französischen Verlagswesens, haben sich in den 1990er Jahren Buchkonzerne gebildet deren Verwaltungschefs sich, wie Eric Hazan schreibt, vor jedem Kontakt mit Büchern, Lesern oder Buchhändlern schützen. Und die berühmtesten Modezaren haben sich nicht gescheut, wie Eric Hazan verbittert schreibt, sich in die Saint-Sulpice inmitten von Messgewändern einzulogieren.
Flanieren Sie durch das Quartier und suchen sie die Gedenktafeln derer, die in den Straßen gelebt haben: Balzac, Heine, Racine, Mickiewicz, Oscar Wild, Wagner und Picasso in der Rue des Grands-Augustins, in dem er Guernica malte und wo im gleichen Gebäude Balzac sein Unbekanntes Meisterwerk geschrieben hat. Übrigens, die Skulptur von Picasso im Klostergarten der ehemaligen Abtei, die er mit Guillaume Apollinaire beschriftet hat, ist Dora Maar, und sie hat ihr bronzenes Aussehen durch eine besondere Behandlung von ihm bekommen. Françoise Gilot verrät es uns: Er hat sie angepinkelt.
Schlagwörter: Gertraude Clemenz-Kirsch, Paris, Saint-Germain-des-Prés