von Mathias Iven
Erst wenige Monate ist es her, da hat Albert M. Debrunner im Nimbus Verlag die erste umfassende Biographie zu Hermann Kesten vorgelegt (Blättchen 20/2017). Nun folgt ein Werk von Kesten selbst: Die fremden Götter. Erschienen ist dieser 1948 in New York geschriebene und im Jahr darauf bei Querido in Amsterdam veröffentlichte Roman in der Reihe „Unbegrenzt haltbar“ – zu Recht! Denn das darin behandelte Thema ist einerseits so aktuell und andererseits so zeitlos, dass man denken könnte, das Buch wurde in den letzten Monaten geschrieben.
Worum geht es? Das jüdische Ehepaar Schott hat das Konzentrationslager überlebt. Mit ihrer siebzehnjährigen Tochter Luise wohnen sie in Nizza. Während die Eltern im Lager waren, fanden Luise und ihre jüngere, bereits ein Jahr nach der Befreiung Frankreichs verstorbene Schwester Martha Aufnahme in einem Kloster – und wurden dort katholisch erzogen. Und damit beginnen die Probleme. Luises Vater meint, seine Tochter zum „wahren“ Glauben zurückführen zu müssen. Diese widersetzt sich mit dem Argument „es kommt nicht darauf an, woher wir kommen, sondern wohin wir gehen“. Wäre der Vater, so stellt Kesten es heraus, „nicht im Kriege ein so frommer Jude geworden, so hätte er über den religiösen Eifer seiner halbflüggen Tochter vielleicht nur gelächelt und auf die Zeit gebaut“.
Walter Schott sucht sich Hilfe für seine Überzeugungsarbeit. Da ist zum einen Théodore Bovin, der zwanzig Jahre alte Sohn des Hauptrabbiners von Nizza. Er soll Luise „die spirituelle und moralische Überlegenheit der jüdischen Religion über ihre Tochterreligionen, den Islam und das Christentum“ beweisen. Zum anderen ist da der dreißigjährige Schwager des Vaters Emile Colombe, seines Zeichens – angeblich – Buddhist. Beide scheitern mit ihren Bemühungen.
„Luise, sein Kind“, so der Wunsch des Vaters, „sollte nicht in der Wüste des Unglaubens oder des Irrglaubens verloren gehen.“ Kinder, so redet er sich ein, „haben manchmal seltsame Träume, die sie in ihr Tagleben hinüberführen“. Er greift zu drastischeren Mitteln. Hausarrest scheint der einzige Ausweg zu sein: „Ich habe beschlossen, dich so lange in diesem Zimmer eingesperrt zu halten, bis du schwörst, allen Aberglauben für immer aufzugeben und zur Religion deines Vaters und deines Volkes zurückzukehren.“
Luise ist „nicht geschaffen für häusliche Religionskriege“. Und da ist noch etwas. Sie ist verliebt. Henri Matelotte heißt der Angebetete. Er ist zweiundzwanzig Jahre alt, Photograph mit eigenem Atelier und einem „guten Namen beim Publikum“. Sein Onkel ist der Bischof von Rouen, Henri selbst ist Freidenker. All das offenbart Luise Théodore, zu dem sie Vertrauen gefasst hat und der ihr helfen will …
Es ist ein von Missverständnissen bestimmtes Verwirrspiel, das Kesten vor dem Leser entfaltet. Teils tragikomisch, oftmals zum Nachdenken anregend. Schließlich ist es Théodore, der erkennt, „daß unsere Schicksale nicht nur von gleichgültigen Göttern gemacht wurden, sondern auch von ebenso gleichgültigen oder boshaften Mitmenschen, denen unser ganzes Leben mit allen Bemühungen und Träumen, Idealen und Opfern nicht mehr als ein Streichholz galt“. Und es ist Théodore, der am Ende die Frage stellt: „Ja können denn nicht Menschen miteinander leben und jeder seinem Gott dienen, wenn es nur ein guter Gott ist?“
Die im Anhang des Buches wiedergegebenen und von Debrunner umfangreich kommentierten Dokumente belegen, dass der Produzent Gerhard Born bereits 1950 an eine Verfilmung des Romans gedacht wurde. Warum nicht? Der Stoff würde sich immer noch anbieten.
Hermann Kesten: Die fremden Götter. Herausgegeben und mit einem Fundstück versehen von Albert M. Debrunner, Nimbus – Kunst und Bücher, Wädenswil 2018, 248 Seiten, 28,00 Euro.
Schlagwörter: Albert M. Debrunner, Hermann Kesten, Mathias Iven, Religion