von Bettina Müller
Legendär sind die Wandertouren, die Kurt Tucholsky zum Beispiel mit seinen Freunden Erich Danehl und Hans Fritsch unternahm, im September 1927 erwanderten die drei den Spessart. Es waren Touren, in denen das Zusammensein und die leiblichen Genüsse im Vordergrund standen (zumindest Wein und Gesang, das mit dem Weib weiß man bei Tucholsky ja nie so genau) und nicht das starre Abreißen von möglichst vielen Kilometern, um für den „Iron Man“ zu trainieren … Heutzutage kann ein eigentlich harmloser Besuch im Wald schwerwiegende Folgen haben. Ein Erfahrungsbericht:
Am Morgen bist du noch gemütlich aufgestanden, hast dir dein Frühstück ausgiebig schmecken lassen, noch schnell ein Gläschen Sekt für den Kreislauf und du lässt deine Gedanken schweifen. Ein Blick aus dem Fenster verspricht einen angenehm sonnigen und kühlen Tag und du denkst dir, da könnte man ja ein wenig wandern. Im Wald. Einfach so. Mit Einkehr danach. Und so setzt du den Gedanken in die Tat um, schnappst dir deinen Begleiter, schnell ein paar feste Schuhe angeschnallt, etwas Luftiges zum Anziehen und auf geht’s!
Die Aussicht auf Ruhe, gute Luft, noch mal Ruhe, und anschließend auf ein gemütliches Essen mit ein paar Schoppen Wein (und/oder ein paar zünftige Humpen Bier) zur Belohnung beflügeln dich und lassen dich fast wie von Zauberhand durch den Wald schweben. Du atmest tief ein und genießt die gute Luft. Vor dir erscheint wie eine Vision ein Reh. Die Vögel zwitschern und du denkst dir, ach, ist das schön. Und so ruhig. Das Grün des Waldes wird immer grüner, das Blau des Himmels immer blauer. Auch deiner Begleitung stehen die Tränen in den Augen. Doch dann … Klack … Klack … Klack! … Klack!
Was sich zunächst wie eine zarte Ruhestörung anhört, eine Fata Morgana, die sicher schnell vorbeigehen wird, wird zu einem beunruhigenden dumpfen Grollen, rückt immer näher und näher und artet schließlich in ein ohrenbetäubendes Getöse aus. Klack … Klack … Sie sind da! Die Kampfwanderer. Das Reh staubt davon und verschwindet, wie ein aufgescheuchtes Reh es halt so macht. Doch auch du reißt deine Augen ungläubig und groß auf, bist aber längst nicht so filigran und zart, dass du so schnell im Wald entschwinden könntest wie das traumatisierte Bambi. Und so hältst du inne und lässt sie wie gelähmt an dir vorbeiziehen. Die Kampfwanderer. Klack … Klack …
In feldwebelartigem Ton grüßen sie dich laut und zackig, denn Zeit ist knapp, der Weg noch weit, die Kilometer viel, viel zu viel, und dann rollen sie an dir vorbei, gen Osten an die nächste Front. Ihre Funktionsjacken leuchten grell in der Sonne. Verächtlich schauen sie auf deine armselige und dilettantische Ausrüstung, die ja eigentlich gar keine ist, und bemitleiden dich. Du glaubst, auch ein wenig Gekicher zu hören.
Vor deinem geistigen Auge nimmst du einem der verdutzten Krieger den Nordic Walking Stock ab (der Begriff wurde bereits durch das Deutsche Staatsministerium für Anglizismen patentiert und somit der Gebrauch des Begriffs „Wanderstöcke“ strengstens unter Strafe gestellt. Aufsässige Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis nicht unter drei Jahrzehnten bestraft). Du zerbrichst ihn forsch mit lautem Gebrüll über deinem Knie und wirfst ihn nonchalant hinter dich. Doch der Rest der feindlichen Truppe versteht überhaupt keinen Spaß, will dich entweder meucheln, standrechtlich erschießen oder sofort der Mobilen Wanderpolizei für den Karzer (dreimal lebenslänglich) übergeben. Jedenfalls machen alle, zumeist sind es ältere, in beige gekleidete Leute, wild entschlossene Mienen, und mit den Fäusten wilde Drohgebärden. Die sollten in die Politik gehen, am besten nach Amerika ins Weiße Haus, denkst du dir. Ihre Funktionsjacken glimmen trüb-beige und irgendwie trostlos in der Sonne, die gerade blutrot untergeht. Der Himmel ist schon längst nicht mehr blau.
Du hältst einen Moment inne, entscheidest dich gegen die Zerbrechaktion und lässt sie mitleidig ziehen. Bis zum nächsten Mal. Klack … Klack …
Schlagwörter: Bettina Müller, Kampfwanderer