21. Jahrgang | Nummer 7 | 26. März 2018

Der grausame Tod des Lippold ben Judel Chluchim

von Frank-Rainer Schurich

Gegenüber der Gaststätte „Zur Gerichtslaube“ im historischen Nikolaiviertel in Berlin-Mitte befinden sich in der Poststraße 4-5 die „Kurfürstenhöfe“. Eindrucksvoll ist die schmiedeeiserne Gestaltung von Eingangstür und Eingangstor des Büro- und Geschäftshauses.
An dieser Stelle, in der Poststraße 5, befand sich von 1565 bis zu ihrem Umzug 1585 in den Apothekerflügel des Schlosses die kurfürstliche Münze. Münzmeister war der aus Prag gekommene, dort der Münzfälschung verdächtigte Lippold ben Judel Chluchim, der schon um 1550 beim Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg eine wichtige Vertrauensstellung erlangte.
Bereits 1556 war Lippold von Kurfürst Joachim II. zum „Obersten aller märkischen Juden“ ernannt worden. Als kurfürstlicher Münzmeister hatte er, bei aller Abhängigkeit von seinem Herrscher, weitreichende Kompetenzen und großen Einfluss. Er überwachte Ein- und Ausfuhr, legte die Steuern der jüdischen Gemeinden an die kurfürstliche Kasse fest, war kurfürstlicher Schatullenverwalter und übte teilweise sogar polizeiliche Gewalt aus.
So konnte er Hausdurchsuchungen und Verhaftungen säumiger Zahler anordnen und Gold und Silber zugunsten der kurfürstlichen Münze beschlagnahmen. Auch 1567, als die Häuser wohlhabender Berliner Kaufmannsleute besetzt, ihre Waren, Gelder, Wertsachen und Schuldscheine sichergestellt und dem Kurfürsten direkt, teilweise aber auch seinem Münzmeister zugeführt wurden. Eingezogene Geschäftspapiere wurden genutzt, um wegen Wuchers oder Münzfälschung Betroffene weiter zur Ader zu lassen.
Lippold, ein Mann mit Geschäftssinn und ohne Skrupel, lieh sich selbst bei anderen hohe Summen, die er nur widerwillig zurückzahlte – oder gar nicht. Verlieh er aber Geld, berechnete er den Schuldnern Zinssätze bis zu 54 Prozent.
Lippold war für den verschwenderischen und genusssüchtigen Kurfürsten zum unentbehrlichen Geldbeschaffer, zum „lieben, getreuen Lippold“ geworden. Und das schuf Neider und Feinde, von letzteren wohl der gewichtigste, der kurfürstliche Sohn Johann Georg.
Kurfürst Joachim II. starb in der Nacht vom 2. auf den 3. Januar 1571 auf Schloss Köpenick. Er hinterließ einen ungeheuren Schuldenberg, insgesamt 4,7 Millionen Taler. Schuldige an der kurfürstlichen Misswirtschaft mussten gefunden werden. Der neue Kurfürst Johann Georg ging gegen die Günstlinge des hochverschuldeten Kurfürsten vor, womit des Juden Lippolds Schicksal besiegelt war. Er versuchte zu fliehen, wurde aber festgenommen und als „Hofjude“ diffamiert, der sich wie ein „Tyrann“ am „unschuldigen christlichen Blut“ vergangen habe.
Wenn auch die Prüfung der kurfürstlichen Finanzbücher keine Unregelmäßigkeiten, vielmehr Schulden des Kurfürsten an seinen Münzmeister ergaben, fand man Vorwände, Lippold unmenschlich zu foltern. Schließlich wurde er in der Gerichtslaube wegen Zauberei, Verkehr mit dem Teufel und Vergiftung Joachims II. mit einem durch Folter erlangten Geständnis, aber ohne jeglichen Beweis verurteilt.
Lippold wurde zum Ergötzen der missgünstigen Bürger auf einem Karren durch Berlin und Cölln gefahren, dabei mit glühenden Zangen gemartert und schließlich am 28. Januar 1573 durch Scharfrichter Benedictus Barsch auf dem Neuen Markt an der Marienkirche öffentlich und vor einer großen, keineswegs betroffenen oder gar empörten Menschenmenge gerädert und gevierteilt. Die Eingeweide und das angebliche Zauberbuch wurden anschließend auf dem Neuen Markt verbrannt, der Kopf auf einer Stange hoch über dem Georgentor, dem früheren Oderberger Tor zur Schau gestellt. Dieses Tor der alten Stadtmauer befand sich in der heutigen Rathausstraße kurz vor dem Alexanderplatz.
Es muss noch angemerkt werden, dass der kurfürstliche Leibarzt Leonhard Thurneysser zum Thurn zum handkolorierten Kupferstich über die Hinrichtung Lippolds 209 antijüdische Knittelverse verfasste, in denen die vermeintlichen Verbrechen des „Hofjuden“ in eine Reihe von Untaten anderer Juden eingeordnet wurden. Thurneysser hatte im ehemaligen Grauen Kloster der Franziskaner ein Naturalien- und Kunstkabinett, eine Buchdruckerei und ein Alchimistenlaboratorium.
Vom neuen Kurfürsten Johann Georg wurden alle Juden aus der Mark Brandenburg verbannt. Es war dies nicht das erste und, wie wir wissen, auch nicht das letzte Judenpogrom im Lande und in der Stadt.
Das historische Gebäude Poststraße 5 wurde 1867 abgerissen. Einer der letzten Nutzer war Louis Drucker, der hier ab 1839 eine Weinhandlung und Kellerkneipe betrieb. In das neu errichtete Geschäftshaus wurde 1922 das Grundstück Poststraße 4 einbezogen. Im Nachbarhaus, Poststraße 6, befand sich während des Zweiten Weltkrieges eines der 666 Berliner Zwangsarbeitslager.
Heute befindet sich in den Kurfürstenhöfen in der Poststraße 4-5 auch die Bundesgeschäftsstelle des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.