21. Jahrgang | Nummer 6 | 12. März 2018

Antworten

Ricarda Huch, Vorausschauende – Über Ihre Wahrnehmungsfähigkeit und Ihr Vermögen, Erlebtes literarisch und philosophisch zu reflektieren, muss hier kein Wort verloren werden. Unverschuldet komisch mutet indes an, was Sie vor etwa 100 Jahren über eine spezielle Erscheinung dieser Ära verabscheut festgehalten haben: „Besonders widerlich an unserer Zeit und als ein deutliches Zeichen der Entartung unserer Zivilisation erscheint es mir, daß nichts geschehen kann, ohne daß sofort fotografiert und kinematografiert würde. Es ist der äußerste Grad schamlosen Bewußtmachens: Die Menschheit lebt vor einem Spiegel. Vielleicht kommt es einmal dazu, daß die Mörder und Einbrecher es nicht lassen können, ihre Taten gleich kinematografieren zu lassen, und so würde schließlich auch das Verbrechen durch Bewußtheit aufgelöst.” Schwer vorstellbar, dass Sie noch Worte fänden, wenn Sie heutiges Gebaren unserer Zivilisation wahrnehmen könnten.

Anja Maria-Antonia Karliczek, Hotelfach- und Kauffrau – Gefragt nach Ihrer Qualifikation für das Amt der Bundesbildungs- und -forschungsministerin, insbesondere für die Lenkung des Wissenschaftsbetriebs, antworteten Sie wörtlich: „Ich sag’s mal andersrum. Da ich in diesem Bereich ich sag mal wenig Kenntnisse von innen habe, kann ich vielleicht die richtigen Fragen stellen. Ich werde so lange fragen, bis ich ein gutes Gefühl habe, wie der Hase da so läuft. Und ich hoffe sehr, dass diejenigen, die in dem Bereich arbeiten, mich an der Stelle unterstützen und mir auch ein bisschen Einblick in ihre Arbeit gewähren.“
Wir sagen’s mal so: Da werden diejenigen, die in dem Bereich mehr Kenntnisse von innen haben, reichlich zusätzliche Arbeit bekommen. Ein bisschen Einblick wird wohl nicht genügen, um ihnen das Gefühl zu geben, sie wüssten, wie der Hase da läuft.

Jens Spahn, CDU-Nachwuchskader mit Renitenz-Attitüde – Kompetenz ist hierzulande keine conditio sine qua non für die Besetzung eines Ministersessels, wie Ihre Unionsfreundin von der Leyen seit längerem vor Augen führt. Warum also nicht auch Sie als Bundesgesundheitsminister?
Einiges davon, was wir von Ihnen zu gewärtigen haben, erschließt womöglich ein Blick zurück: 2017 publizierten Sie ein Werk zur Digitalisierung des Gesundheitswesens: Patientenakte aufs Smartphone, Patientendaten für die Forschung, das Ganze nach dem Motto „Datenschutz ist nur etwas für Gesunde“.
Da stehen die Signale schon mal auf Fortschritt!
Auch als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion traten Sie schon als forsch bekennender Verfechter eines marktwirtschaftlichen Gesundheitssystems hervor – mit besonderem Faible für die Fallpauschale, jene  grandiose Innovation, in deren Konsequenz Patienten in Krankenhäusern heute möglichst rasch verarztet und wieder entlassen werden. Im Idealfall müssen die künftig bei minimalinvasiver Gallenresektion nur noch wahlweise Bluse oder Hemd öffnen und können anschließend gleich abziehen. Ökonomisierung at its best! Selbst in Psychatrien, meinten Sie, könne man Fallpauschalen zur Anwendung bringen. Wollen Sie sich in Kürze mit einem entsprechenden Projekt in die Stelen neoliberaler Unsterblichkeit fräsen? Hoffentlich wurden Sie als Kind nicht wirklich mal zu heiß gebadet und müssen irgendwann wegen der Spätfolgen dergestalt fallpauschal therapiert werden …

Horst Seehofer, CSU-Chef und designierter Bundesinnenminister – Im Abflug zu Ihrer neuen politischen Bestimmung in Berlin haben Sie gewehklagt, von Ihren Parteifreunden ziemlich demontiert worden zu sein. Dem ist nicht zu widersprechen, verwunderlich ist eher, dass Sie davon überrascht zu sein scheinen. Immerhin sind Wechsel gerade an der Führungsspitze Ihrer Christsozialen eigentlich immer so abgelaufen. Man schlage nur nach, wie sich die Verhältnisse zwischen Streibl, Goppel, Waigel, Beckstein, Huber und Stoiber einst gestalteten, wobei Sie bei Letzterem selbst Protagonist (und Sieger) des bayrischen Stühlesägens waren. Aber wie  das halt so ist: Böse sind immer die anderen …

Sahra Wagenknecht, Rückschauende – Wie zu lesen ist, sehen Sie den Anfang Ihrer Politkarriere heute kritisch. „Ich war damals ein Trotzkopf, hatte das Gefühl, die DDR auf Teufel komm raus verteidigen zu müssen, ohne dafür wirklich einen Grund zu haben. Ich habe damals sicher manchen Unsinn erzählt.” Solche Einkehr ist bei Linken ziemlich ungewöhnlich. Unter vielen gilt möglichst unveränderliche „Prinzipientreue“ ebenso als Wert aller Werte wie die Revidierung von Ansichten als Verrat. Die Begeisterung unter jenen meist älteren Semestern für Sie ist folgerichtig längst der Verächtlichmachung gewichen.

Paolo Flores d’Arcais, italienischer Philosoph und Journalist – Die Italiener, so haben Sie die Ausgangslage der jüngsten Wahlen in Ihrem Land charakterisiert, hätten wählen dürfen zwischen „etwas Widerlichem (die Fünf-Sterne-Bewegung), etwas noch Widerlicherem (Partito Democratico und dergleichen) und dem Allerwiderlichsten (der Mitte-Rechts-Allianz)“. Kein Kommentar.

Ksenija Sobtschak, schillernde russische Präsidentschaftskandidatin – In einer Fernsehdebatte der Bewerber ums Hausrecht im Moskauer Kreml – der Inhaber als Favorit war wie stets abwesend – wurden Sie von Ihrem Konkurrenten Wladimir Shirinowski lautstark als „dumme Gans“, „Dirne“, „hirnlos“ und „schwarzer Dreck“ beschimpft. Sie schütteten dem nicht zu bremsenden Schreihals daraufhin ihr Glas Wasser vor die Hemdbrust. Der Moderator erinnerte daran, dass Sie und Ihre Mitbewerber immerhin um das Amt des Oberkommandierenden der russischen Streitkräfte streiten, der sich derart nicht benehmen sollte. Indes bestand der Sinn der ganzen Runde wohl ohnehin nur darin zu beweisen, dass Sie, Ihr Kontrahent und überhaupt alle Herausforderer Wladimir Putins ganz bestimmt nicht für diesen Posten geeignet sind. Insofern haben auch Sie die Aufgabe, der Shirinowski schon seit vielen Jahren gerecht wird, bravourös erfüllt. Kommentar von KommersantFM: „Der Hauptkandidat arbeitet derweil. Er hat für solche Shows keine Zeit, er ist schließlich für das Land verantwortlich. Er wird mit einem hohen Resultat gewinnen.“

Peter Fischer, Eintracht Frankfurts Präsident – Nach Ihrer unmissverständlichen Erklärung, sie wollten keine AfD-Mitglieder in Ihrem Fußballverein haben, wurden Sie mit Hunderten von Droh- und Hassnachrichten überschüttet, die vor allem „von Hass, Ausgrenzung, Vernichtung und Tod geprägt sind“. Wiewohl Ihre Haltung zumindest unter den Bundesligavereinen noch solitär ist, lassen Sie sich in ihr keinesfalls beirren. „Der Kern unserer Vereinssatzung ist komplett gegensätzlich zu dem, was die AfD fordert“, haben Sie bekräftigt und Personenschutz abgelehnt. „Ich lasse mir von diesen Menschen nicht meinen Lebenswillen und meine Freiheit nehmen. Ich werde auch weiterhin in der ersten Reihe stehen und Präsenz zeigen.“ Respekt!

André Poggenburg, Klagefall – Eben noch zum Chef einer Enquetekommission im Magdeburger Landtag zur Aufklärung von „Linksextremismus“ eingesetzt, hat die AfD-Fraktion, der Sie bislang vorstanden, Sie nun zum Rücktritt genötigt. Anlass waren wohl Rassismen, mit denen Sie sich unlängst über Türken als „Kameltreiber“ und „Kümmelhändler“ geäußert hatten, die in Deutschland nichts zu melden hätten.  Dem war Ihrerseits jedoch bereits eine stattliche Reihe von Hasssprüchen vorausgegangen, wie etwa der von den „linksextremen Lumpen” an den Hochschulen, die es als „Wucherung am deutschen Volkskörper“ endgültig loszuwerden und zu beseitigen gelte. Sehen wir einmal davon ab, dass  dem Schritt Ihrer Fraktion ein innerparteilicher Langmut vorausgegangen ist, der an einer verinnerlichten Überzeugung von Ihrer Nicht-Eignung als anhaltisches Gesicht der AfD zweifeln lässt, sind wir dennoch überrascht davon, dass in Ihrer Partei doch noch so etwas wie ein Peinlichkeitslimit zu existieren scheint.

Süddeutsche Zeitung, zweifelhafte Sphinx – Da schaffte es am 1. März wieder einmal eine zutreffende Einschätzung auf Ihre Seite 1: Wenn nämlich das Netz tobe, weil Lena Meyer-Landrut „öffentlich ein lila Kleid mit Ausschnitt“ trug oder weil ein Kicker für ein Montagsspiel der Bundesliga warb (dieses „Symbol für alles Böse, die Kommerzialisierung, den Mord an der Seele unseres geliebten Sports“), dann bestehe die Ursache meist lediglich darin, „dass viele Leute gerade in unausgeglichener Stimmung sind“ und „andere für ihre Dreckslaune verantwortlich machen, statt ins Bett oder wenigstens an die Luft zu gehen“.
Ebenso zutreffend legten Sie nach: „Viele Deutsche, und nicht nur sie, sind sehr gerne empört; sie sind Meister der Kunst, zwar nichts besser zu machen, aber alles besser zu wissen. Empörung über echte und vermeintliche Probleme verschafft ihnen ein Gefühl moralischer Überlegenheit, zu der sie sonst vielleicht nicht viel Grund haben. Nur ist das mit den Problemen so eine Sache. Die Bewohner von Burundi oder Venezuela oder des Irak würden sich sehr wünschen, ihre Probleme wären jene, über die man in Europa klagt. Von Syrien aus müssen der makedonische Namensstreit, die katalanische Befindlichkeitsstörung oder das Lamento deutscher Mitbürger, ihr Land schaffe sich ab, als Kummer von Leuten erscheinen, denen sonst wirklich nichts mehr eingefallen ist, worüber sie sich Sorgen machen könnten. Innerhalb Europas wiederum betrachten sich eben diese Deutschen als Opfer von Problemen, die ihnen andere Europäer freilich jederzeit abtauschen würden. Und innerhalb Deutschlands fühlt sich dann München von Problemen geschüttelt, welche (sic! – d.d.p.) man in Hagen oder Hellersdorf gar nicht als Probleme erkennen würde. Noch immer kein Tunnel unterm Englischen Garten! Die zweite S-Bahn-Trasse bedroht unsere Gemütlichkeit! In der Philharmonie schwebt das dreigestrichene C nicht filigran genug im Raum! Es ist eben nicht so, dass jeder die Probleme bekommt, die er verdient.“
Allerdings denunzieren Sie das Ganze auf Ihrer Homepage als Glosse. Ja, kann, soll oder gar darf man Sie denn überhaupt nicht mehr ernst nehmen?

Holsteiner Räucherkate, Berliner Leckerbissen-Anbieter – Sie suchen per Zeitungsanzeige Verkäufer und Verkäuferinnen für eine Ihrer hauptstädtischen Dependancen und weisen sich selbst dabei als „Feinkostunternehmen mit Wurstwarenhintergrund“ aus. Wir kennen Sie nicht und vermögen daher nicht zu beurteilen, ob Sie über einen besonders hintergründigen Humor verfügen, der Ihnen die Feder geführt hat. Sofern das zutreffen sollte, gebührt Ihnen ein Orden „Wider den tierischen Ernst“, ansonsten ein Ehrenpokal der political correctness. Preisverdächtig ist diese Anzeige in jedem Falle.