von Renate Hoffmann
An einem Sonntag im Februar, nach einer Frostnacht, entdeckte ich im Garten an geschützter Stelle drei vorwitzige Tulpen. Sie verrieten noch nichts von ihrem künftigen Blütenflor, schoben nur die grünen Blattspitzen aus der Erde, warteten auf steigende Temperaturen und meinen Zuspruch. Den wollte ich ihnen gern geben, den Schönen aus dem Kreise der Lieblingsblumen des Barock. Stillleben jener Zeit bringen sich in Erinnerung.
Balthasar van der Ast (1593 oder 1594–1657) malte eine der seltensten, kostbaren, teuersten Tulpen jener Tage. Sie trägt den vielversprechenden Namen „Zomerschoon“, „Sommerschön“. – Die zartgeschwungene Blüte, rot-weiß gestreift, steht in einer gläsernen Vase, deren Durchsichtigkeit feine aufgesetzte Lichtreflexe betonen. Ein gelber, braungetüpfelter Schmetterling ruht auf „Sommerschön“, und eine Fliege gesellt sich dazu. Poetischer Dreiklang der Natur. Als Einzige aus der Tulpenhochzeit überlebte „Zomerschoon“ die Jahre und wächst gegenwärtig, gehegt und gepflegt, noch in der historischen Abteilung, dem „Clusius-Garten“ des Botanischen Gartens in Leiden. Dort zeigte sie 1594 erstmals ihre Schönheit.
Ambrosius Bosschaert d. Ä. (1573–1621) und Roelant Savery (1576 oder 1778–1639) nahmen die Tulpen als ergänzende Zier ihrer überquellenden Sommersträuße. – Auf dem quirligen Gemälde von Pieter Brueghel d. J. (1564–1638) „Der Frühling“ sieht man, neben dem eifrigen Schaffen der Landleute, die Gärtner graben und pflanzen. Was sie in die Erde bringen sind Tulpen. – Das Aquarell von Georg Flegel (1566–1638) zeigt gleich zwei der Auserwählten. Die Eine geflammt in Orange-gelb, die Andere dunkelrot-weiß gestreift. „Sommerschön“ und „Semper Augustus“? Letztere war unbestritten die Königin unter den Tulipanen, jedoch nun eine vergangene Stolze.
Sie reisten im Diplomatengepäck von Ogier Ghislain de Busbecq (1522–1592) von Konstantinopel nach Wien. Seine Mission: Friedensverhandlungen zwischen der Habsburgischen Monarchie und dem Osmanischen Reich. Von Süleyman I. erhielt Busbecq zum Abschied „einige Tulpen- und Hyazinthenzwiebeln und Fliederpflänzchen“. Zurück in Wien, übergab er die Exoten seinem Freund Carolus Clusisus (Charles de l’Ecluse 1526–1609), zu dieser Zeit Beauftragter der kaiserlichen Gärten. Beide passionierte Botaniker, beide gelehrte Humanisten. Clusius pflanzte und vermehrte die seltenen Gewächse. Im Jahr 1593 erhielt er einen Ruf an die Universität Leiden als Professor der Botanik, nahm ihn an und seine Tulpensammlung mit. So erreichten die Fremdartigen den niederländischen Boden.
Sie wurden bestaunt, begehrt, überall angebaut und rasch verbreitet. Und sie stiegen im Kurs. Drei Zwiebeln „Semper Augustus“ kosteten bis zu 30.000 Gulden; Die Sorte „Viceroy“ erbrachte im Tauschhandel vier fette Ochsen oder zwei Fässer Butter oder 240 Scheffel Roggen. Die Anmutigen avancierten zum Statussymbol.
Im „Neuen Blumenbuch“ der Maria Sibylla Merian (1647–1717) versammelt die Malerin die Schönsten der Schönen. Und in des „Tituls Blumenkrantz“ leuchten Tulpen im Blütengebinde. Ihr Liebreiz ist unwiderstehlich.
Doch dann folgt der große Einbruch. Das Angebot übersteigt die Nachfrage. Am 3. Februar 1637 werden bei einer Auktion in Alkmaar noch Höchstpreise erreicht. Am 5. Februar beginnt in Haarlem der Kurs zu sinken. Beinahe über Nacht stürzen die Preise im freien Fall. Für Wirtschaft und Gesellschaft entsteht schwerer Schaden, der den wilden Spekulationen zuzuschreiben ist. Die „Tulipomanie“ führte demnach zum ersten Börsenkrach.
Die Merian vermerkt in der Vorrede zum „Neuen Blumenbuch“ (1680): „Vom theuren Blumenkauff schreibt Neteranus, daß vom Jahr 1633 bis 37 in einer Holländischen Stadt über eine Million Golds verhandelt worden. Eine Blume / von den Tulpenhändlern Semper Augustus genannt / habe man für 2000 Niederländische Gülden verkaufft; welche ums Jahr 1637 für kein Geld mehr zu kauffen gewest / derweil derer nur zwo / eine zu Amsterdam / die andere zu Harlem vorhanden waren.“
Die Spekulanten trieben ein böses Spiel, von Jean-Léon Gérôme (1824–1904) auf einem Gemälde festgehalten. Er nannte es „The Tulip Folly“, „Der Tulpenwahn“. – Vor den Toren der Stadt Amsterdam, kenntlich durch den hoch aufragenden Turm der Westerkerk, dehnen sich, soweit man blicken kann, prächtige Tulpenfelder. Sie beschämen den grauen Himmel. Es muss wohl früh am Morgen sein, denn die geplante Aktion soll in Eile vonstattengehen, ehe das Geschrei der Bürger den Handstreich stört. Ein Trupp Soldaten, zu Fuß und zu Pferd, zerstampft, zertritt, zerschlägt das Blütenmeer. Vom Wege aus kommandiert der Hauptmann das Unternehmen und bewacht einen Blumentopf. Darinnen eine Tulpe! Welche wahrscheinlich jene, in der Vorrede zum „Neuen Blumenbuch“ genannte „Semper Augustus“ sein dürfte. Flora hab’ sie selig.
Die hochgelobte Wunderblume ist verschwunden, der Börsenkrach verschmerzt, aber die Tulpen leben. Ihre Beliebtheit bleibt ungetrübt. Eine alte holländische Gärtnerregel lautet deshalb folgerichtig: „Wenn du mich liebst, schenk mir eine Tulpe.“ – Den klangvollen Namen „Tulipa“ erhielt sie vermutlich von O. G. Busbeqc. In abgewandelter Form entspricht er dem türkischen Wort „tülbent“, es bedeutet Turban. Betrachtet man ein Konterfei von Süleyman I., so balanciert er ein hohes, wahrhaft tulpenartiges Gebilde auf seinem sultanischen Haupt.
Die Formen- und Farbenvielfalt der anmutigen Blumen überwältigt. Zudem tragen sie – außer ihrem gleichbleibenden Vornamen „Tulipa“ – interessante Bezeichnungen. Man kennt sie gefranst, gefüllt und von eleganter klassischer Form; ein- und mehrfarbig; gestrichelt, gestreift, gerändert, gesprenkelt. Mit und ohne Duft. – Die Weiße mit dem rosafarbenen Rändchen heißt „Meissner Porzellan“. Eine Hommage an Beethoven trägt den Namen „Für Elise“ und ist ein zartes Gebilde aus Rosè, Weiß und Gelb. Wie eine Pfingstrose, gefüllt und strahlend rot, glüht „Miranda“. Und die Dunkle in vornehmem Violett taufte man „Queen of Night“. – Meine drei Vorwitzigen im Garten heißen „Rosamunde Huykman“ (rosa mit gelblich-weißem Farbverlauf). Sie sind zwar etwas jünger als „Semper Augustus“, aber gewiss, so hoffe ich, ebenso attraktiv. Also, Schwestern, strengt euch an!
Mit so viel natürlicher und züchterischer Schönheit ausgestattet, finden die Edlen auch Eingang in die Literatur. Nichts ohne Goethe: „Tulpen, ihr werdet gescholten von sentimentalischen Kennern; / Aber ein lustiger Sinn wünscht auch ein lustiges Blatt.“ – Doch im Sommerlied von Paul Gerhardt (1607–1676) „Geh aus / mein hertz / und suche freud …“, sind sie am besten aufgehoben: „Die bäume stehen voller laub / Das erdreich decket seinen Staub / Mit einem grünen Kleide. / Narcissus und die Tulipan, / Die ziehen sich viel schöner an / Als Salomonis seyde.“
Schlagwörter: Amsterdam, Maria Sibylla Merian, Renate Hoffmann, Tulipomanie, Tulpen