von Renate Hoffmann
Im Landkreis Prignitz, dem nordwestlichsten Winkel von Brandenburg, an der Autobahn A 24, zwischen Berlin und Hamburg, nördlich von Pritzwalk – dort findet man die Stadt. Und das Schloss. Im Glanz der Neorenaissance nach jahrelanger, umfänglicher Restaurierung wiedererstanden. Durch eine englische Parklandschaft verschönt, und an der Gartenfront vom Flusse Stepenitz begrenzt. Eine Insel der harmonischen Übereinkunft.
Und im Schloss – ein kompaktes Kulturangebot:
- Das Schlossmuseum, welches Auskünfte gibt über Historie, Baugeschehen und Bauherren, und über die wechselvolle Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner.
- Die Stadtbibliothek, in der man sich gern zum Stöbern im reichen Literaturangebot verleiten lässt.
- Das Modemuseum, Marktplatz der Eitelkeiten und Huldigungstempel weiblicher Gewandung.
Mode – Ausdruck persönlichen Geschmacks, Diktatur des Zeitgeschehens und der Modemacher. Auswuchs überspannter Ideenjäger; Ästhetik im Höhenflug der Fantasie. Nach Peter Bamm „die Wissenschaft des Charmes“; nach Oscar Wilde „jene kurze Zeitspanne, in der das völlig Verrückte als normal gilt“. Nach mir: eine Möglichkeit, sich selbst zu begegnen. Alles ist erlaubt, alles schwindet, wird verpönt und kehrt in abgewandelter Form zurück: Großmutter Melanies schwarzes Sisalhütchen mit Krempe erhält ein breites weißes Ripsband, eine gefältelte Tüllrose, und schon findet man sich mit ihm recht apart.
Die Modedesignerin und Journalistin Josefine Edle von Krepl trug in mehr als 50 Jahren einen Schatz an Damenmoden von über 5000 Objekten zusammen. Sie entstammen der Zeit von 1900 bis 1979. Aus diesem Fundus traf die passionierte Sammlerin eine erlesene Auswahl von etwa 350 Kleidern, Kostümen und Mänteln, die, auf drei Etagen des Museums verteilt, jedes weibliche Herz begeistert, überrascht; sie ruft Erinnerungen wach und lässt manches belächeln. Auch männliche Gäste zeigen sich nicht uninteressiert!.
Das Ungewöhnliche der Modenschau besteht in ihrer Platzierung im historischen Umfeld. Beigegebene Accessoires, Möbel, Fotografien, Plakate, Musik erwecken das Flair vergangener Tage, beschwören den Zeitgeist und erzählen Textilgeschichte.
In Vitrinen und auf Schneiderpuppen drapiert lebt die Eleganz des beginnenden 20. Jahrhunderts auf. Aus kostbaren Stoffen gearbeitet. Mit Stickereien aus Pailletten und Perlen gefertigt oder in Plattstich ausgeführt. Knopfleisten an langen Röcken, schmale Taillen mit angesetztem Schößchen, biesengezierte Mieder. Das schmeichelnde Cape aus fein gerippter Seide und von Federn gesäumt. Über dem noblen Hochzeitskleid aus Atlas liegt ein hauchdünner Spitzenschleier, den jedes noch so zarte Lüftchen davon wehen kann. Weichfallende Schals, mehrfarbig und beidseitig zu tragen. Ein hoher Samtkragen, der sich um den Schwanenhals legt und zu stolzer Kopfhaltung zwingt. Schmückendes Beiwerk unterstreicht den vollendeten Geschmack: an langer Kette die Lorgnette, am Spitzeneinsatz eine goldgefasste Gemme. Taschen und Täschchen, zierliche Stiefeletten, Parasol und Parapluie, Häkelhandschuhe. Und erst die Hüte … Klein und keck mit luftigem Schleier, groß und schwingend und straußenfederwippend. Gedanken an „Effi Briest“ und Tschechows „Dame mit dem Hündchen“ drängen sich auf.
Die verwendeten Stoffe sind dem Auge eine Wohltat. Dezenz steht im Vordergrund. Schwerer Samt in verführerischem, schimmerndem Anthrazit. Damast glänzt in edlem hellem Grau. Verschwiegen-violett bedruckte Seide. Cremefarbener Baumwollbatist, geeignet zum leichten Sommerkleid.
Das Korsett wird verabschiedet. Die Frauen atmen auf und durch. Bereits die im Jahr 1881 in England gegründete „Rational Dress Society“ wies darauf hin, dass das Einschnüren innerer Organe die Blutzufuhr zum Gehirn beschränke. Vermutlich wandelte deshalb die Damen des Öfteren eine Ohnmacht an.
Wie auf allen Ebenen findet der Jugendstil auch in der Mode Eingang. Henry von de Veldes „Künstlerkleider“ kommen ins Spiel. Die Taille verschwindet in locker fallenden Kleidern, sie betonen die schlanke Körperlinie. Vor einem ärmellosen Festkleid aus fliederfarbenem Chiffon bemerkt eine Besucherin: „Weeßte Nadine, da musste aber ooch ’ne Figur dazu hab’n!“
In den zwanziger Jahren regiert das Raffinement. Der Jazz zieht ein in Europa. Josephine Baker tanzt den Charleston. Und ein Teil der Kleider trägt auch diesen Namen. Sie sind kürzer, fließend, die Federboa tanzt mit. Luxuriöse Stirnbänder werden über der Haartracht des „Bubikopfes“ getragen. Lange Fransen an den Rocksäumen, Sandaletten mit hohem Absatz, und dazu den Modeschmuck aus funkelnden Strass-(Glas)-Steinen. Das meergrüne, durchscheinende Festkleid aus feinem Voile und mit einer seitlich angebrachten Samtrose stünde der kleinen Seejungfrau vorzüglich.
Nichts ist ohne den Einfluss gesellschaftlicher Entwicklung und des Zeitenwechsels. Es nähern sich die Jahre eigener Erfahrung. Krieg, Nachkriegszeit und der Mangel in allen Lebensbereichen blieben nicht ohne Auswirkung auf die Mode. Die Abteilung mit den Notstandskleidern erinnert an diese Tage. Man wollte ja nicht auf jeden Schick verzichten, und so wurden die Kleider gestückelt – aus Eins mach Zwei – , die Mäntel gewendet, ein Sommerkleid aus der karierten Tischdecke gezaubert, und die Voile-Gardinen ergaben die Festrobe für den Abschiedsball.
Allmählich erholte sich die Wirtschaft. Der Wohlstand wuchs und mit ihm die Lebensfreude. Die Farben leuchten wieder. Seide, Samt und Spitze kehren zurück. Pelz wird getragen. Weitschwingende, ausgestellte Röcke über dem Petticoat, dem Reifrock der Moderne, sind en vogue. Das sportlich gestaltete Kleid, gepunktet und gestreift, erfreut sich großer Beliebtheit. Man geht wieder „behütet“. Die Garderobe gibt sich jugendlich und wird kürzer und kürzer. Die einsichtige Besucherin (es sei an das fliederfarbene Chiffonkleid erinnert) würde hier vielleicht äußern: „Da musste aber ooch de Beene dafür hab’n.“
Farben und Muster legen noch einmal zu. Großflächige, geometrisch und floral bedruckte Stoffe und viel Geglitzer. Zitronengelb, Grasgrün und Tomatenrot bestimmen den Ton; man entdeckt den Charme plissierter Kleider und des vergessenen Faltenrocks.
Zum Ausklang der großen Schau wähle ich mir die passende Kleidung für den nächsten Konzertbesuch: Schwarze „festliche Spitzenbluse aus Seiden- und Baumwolltüll“ mit weißem Spitzeneinsatz über knöchellangem, schwarzem Samtrock. Zur Ergänzung den dunklen „Strohhut mit breiter Samteinfassung und Straußenfederdekor. Um 1900“. (Den Hut gebe ich selbstverständlich an der Garderobe ab.)
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