von Horst Möller
Das am 25.01.2012 veröffentlichte youtube-Video „il racconto di un sopravvissuto ai campi di concentramento“ zeigt den 85-jährigen Heinz Salvator Kounio – asketisch, lebhaft, unaufgeregt, munter englisch parlierend. Nicht anklagend, sondern nüchtern, sachlich berichtend gibt er Auskunft: Ja, das ist mir widerfahren, und zwar einzig und allein, weil ich ein Jude bin. So bin ich in Thessaloniki verfolgt und deportiert worden, wurde meiner Würde beraubt, litt Hunger, erlitt Schläge, lebte in ständiger Angst, hoffte auf Befreiung, zweifelte am Weiterleben. Nachdem 1996 die deutsche Ausgabe der Erinnerungen seiner Schwester erschienen ist (Erika Myriam Kounio-Amariglio: Damit es die ganze Welt erfährt), ist nun (nach den seit 1981 drei griechischen Auflagen) auf Deutsch auch von Heinz Kounio zu lesen, was ihm, seinen Eltern und seiner Schwester in den Jahren von März 1943 bis Mai 1945 in Auschwitz-Birkenau, Mauthausen und Ebensee angetan worden ist. Erspart blieb ihm, wozu Hafenarbeiter seiner Heimatstadt gezwungen waren. Diese hatten die Getöteten aus den Gaskammern in die Verbrennungsöfen zu schaffen, um dabei letztlich selber ihr Leben zu verlieren. Die Kounios entkamen diesem Schicksal. Sie waren mit der deutschen Sprache vertraut, was sie rettete. „Bei der Befreiung des Lagers [Ebensee] befand er sich in einem Zustand lebensbedrohlicher Erschöpfung. Eine spätere Befreiung hätte sicher seinen Tod bedeutet“ lautet die Unterschrift unter einem der beigefügten Fotodokumente, das Heinz S. Kounio, abgemagert und nur noch Haut und Knochen, zeigt.
Wie ist aus dieser unsagbar schlimmen Lebenserfahrung eine Haltung von beeindruckender Noblesse erwachsen? Kounio berichtet, dass beim Zusammenbruch des Lagerregimes als unmittelbare Reaktion zunächst Rache verübt worden ist. Aber die wieder gewonnene Freiheit in Hass zu ersticken war für ihn keine Perspektive. Er hat viel dazu beigetragen, dass die heute nur noch kleine jüdische Gemeinde von Thessaloniki wieder zu sich gefunden hat. Über antisemitische Ressentiments um ihn herum, die ihm nicht verborgen geblieben sein dürften, verliert er kein Wort. Im Gegenteil, er spricht davon, dass vormals an Nicht-Juden verteilte Waren aus dem Fotoladen seines Vaters – teure Fotoapparate, tausende von Filmrollen – peu a peu seinen Eltern zurückgebracht worden sind, und wie er betont: freiwillig. Vielfach gewürdigt worden ist Heinz S. Kounio dafür, dass er sich gegenüber Gesten der Wiedergutmachung deutscherseits offen gezeigt hat (Bundesverdienstkreuz, Einladung in die Deutsche Schule in Thessaloniki, Lesereise durch die Bundesrepublik und so weiter). Zweifellos steht er über diesen Dingen. Schließlich hat es hierzulande bis in die jüngste Zeit gedauert, dass – zumal aus vornehmlich rein privatem Impuls heraus, wie zum Beispiel von Hermann Frank Meyer und Christoph U. Schminck-Gustavus, – die von Deutschland an Griechenland im 2. Weltkrieg begangenen Verbrechen thematisiert und einer breiteren Öffentlichkeit bewusst gemacht worden sind, allerdings ohne dass das bisher zu dem wiederholt geforderten Schuldenausgleich geführt hätte. Heute gebietet nicht nur der Umstand, dass die Zahl der Zeitzeugen endlich ist, sie umso vernehmlicher zu Wort kommen zu lassen, worum sich neuerdings sogar mit behördlicher Unterstützung ein breit angelegtes Forschungsprojekt bemüht. Zu schnell erwächst aus Geschichtsverdrängung übelste Geschichtsverfälschung. Hiergegen aufzutreten weiß sich Heinz S. Kounio mit allen Gutwilligen aufs engste verbunden. Sein mit gebührender übersetzerischer und editorischer Verve von Michaela Prinzinger und Athanassios Tsingas vorgelegtes Erinnerungsbuch kommt genau zur richtigen Zeit und bleibt eine bittere Mahnung für immer.
Heinz Salvator Kounio: Ein Liter Suppe und 60 Gramm Brot. Das Tagebuch des Gefangenen 109565, Hentrich & Hentrich, Berlin 2016, 255 Seiten, 19,90 Euro.
Schlagwörter: Auschwitz-Birkenau, Griechenland, Heinz Salvator Kounio, Horst Möller, Wiedergutmachung