von Klaus Hammer
Weltbekannt sind seine Bildgeschichten vom schnauzbärtigen, glatzköpfigen Vater und seinem gewitzten Sohn mit dem Haarschopf, aber wie es zu ihnen gekommen ist, wissen nur wenige. Der Pressezeichner, Karikaturist und Illustrator Erich Ohser war den Nationalsozialisten noch vor Hitlers Machtergreifung durch seine Mitarbeit am sozialdemokratischen Vorwärts und seine Karikaturen zu Hitler und Josef Goebbels verdächtig geworden. Er wurde von ihnen heftig angegriffen und mit einem Berufsverbot belegt (im Januar 1934 ist er aus dem Fachverband für Pressezeichner ausgeschlossen worden). Doch auf Betreiben von Kurt Kusenberg, Redakteur des Ullstein Verlages, der für eine wöchentliche Folge mit „stehender Figur“ für die Berliner Illustrirte Zeitung einen Künstler suchte, erlangte er wieder eine Arbeitserlaubnis, ausschließlich „unpolitische Zeichnungen“ unter einem Pseudonym zu veröffentlichen. Ohser gestaltete nun vom Dezember 1934 bis zum Dezember 1937 jede Woche eine Bildgeschichte, die den Titel „Vater und Sohn“ trug. Extra dafür legte er sich den Künstlernamen e.o.plauen zu (aus den Initialen seines Namens und dem Heimatort Plauen im Vogtland). Lediglich eine lapidare Unterschrift deutet das jeweilige Thema, die jeweilige Episode an. Der Betrachter, egal ob Jugendlicher oder Erwachsener, liest sie wie einen Text, der ihn innerlich berührt und sein schmunzelndes Einverständnis hervorruft. Wie spielerisch setzte Ohser erdachte Geschichten in eine sinnbildhafte Zeichensprache um. Diese Geschichten widmete er sowohl seinem Vater, mit dem ihn ein liebevolles und herzliches Verhältnis verband, als auch seinem Sohn Christian, und wenn noch weitere Figuren hinzukamen, dann hatte auch er sie in seiner Umwelt genau beobachtet.
Inmitten einer Welt faschistischen Ungeistes schuf er eine Insel der Freundlichkeit und Mitmenschlichkeit, die bis heute nicht ihre Wirkung verloren hat. Drei Buchausgaben von „Vater und Sohn“ kamen 1935 bis 1938 heraus. Ohser erreichte mit seinem lustigen Paar ein Millionenpublikum – und in späteren Jahrzehnten Weltruhm –, wurde wieder in die Reichskulturkammer aufgenommen, zeichnete 1940 bis 1944 für die Wochenzeitung Das Reich – Goebbels verfasste hier zu jeder Ausgabe den Leitartikel – auch Karikaturen der alliierten Kriegsgegner, lehnte aber nach wie vor die NS-Herrschaft ab. 1944 denunzierte der Hauptmann Bruno Schultz, Herausgeber von Hitlers Zeitschrift Das deutsche Lichtbild, und im selben Haus in Berlin-Kaulsdorf wohnhaft, Ohser und dessen Freund Erich Knauf, Lektor der Büchergilde Gutenberg – beide wurden verhaftet. Am Abend vor der von dem berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofes Roland Freisler angesetzten Verhandlung nahm sich Ohser im Untersuchungsgefängnis das Leben, Knauf wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Sind die Geschichten von Vater und Sohn in aller Munde, wobei man manchmal nicht weiß, wer eigentlich der Ältere und wer der Jüngere ist – so spitzbübisch, erfindungsreich und ausgelassen sind ihre Taten und Streiche –, scheint Ohsers eigentliches Werk als (Presse-)Zeichner, Karikaturist und Illustrator weitgehend vergessen zu sein. Eine von Elke Schulze – sie ist auch Verfasserin einer Ohser-Biografie – in Zusammenarbeit mit der Erich Ohser-e.o.plauen Stiftung, Plauen, herausgegebene Werkausgabe stellt jetzt fast 500 Arbeiten – darunter bisher viele unveröffentlichte – vor und begleitet sie mit kurzen Kommentaren: Ohsers akademische Aktstudien der Frühzeit, die Landschaften, die auf Studienreisen durch Ost- und Mitteleuropa oder in deutschen Regionen entstanden sind, die Selbstporträts und Porträts von Künstlern, Politikern, Kaffeehausbesuchern, seine Tierstudien, seine Illustrationen zu Gedichten Erich Kästners im Band „Herz auf Taille“, zu Michail Soschtschenkos Erzählungsband „Die Stiefel des Zaren“, zu Rudyard Kiplings Tierschnurren, zu R. A. Stemmles Anthologien von Volksballaden und Drehorgelliedern wie Theater- und Filmanekdoten, seine Witzzeichnungen und Karikaturen und und und…
Der Band wird eingeleitet mit einer ausführlichen Darstellung von Detlev Laubach zu Ohsers Leben und Schaffen. Ihr schließen sich Bemerkungen von Elke Schulze zu den bildnerischen Themen und zeichnerischen Techniken an. „Ohser beobachtet voller Neugier die Welt, wie sie sich ihm darbietet – und er beobachtet alles mit künstlerischem Interesse und dem Zeichenstift in der Hand“. Wenn wir uns die Illustrationen zu Kästners Versband „Herz auf Taille“ (1928) genauer anschauen, dann wird schnell erkennbar: Da bei Kästner das Gestische des individuellen Vortrags fehlt, übernehmen die Illustrationen diese Funktion. Ohser konzentriert sich ganz auf die Haltung der Figuren, die Mimik und Gestik des Augenblicks. Er setzt ausgewählte Textpassagen ins Bild, skizziert einzelne Personen und unterstreicht die Schlusspointe durch eine humorvolle Karikatur.
Bilder haben nur noch eine Chance, in unserer Erinnerung haften zu bleiben, wenn sie zeichenhaft sind – einfach, klar und wiederholbar. Und das sind Ohsers Arbeiten. Seine Stilmittel sind von außerordentlicher Prägnanz, ja sogar von auffälliger Härte. Ihm gelang es, eine Menge an psychischer Bedrohung und Gewalttätigkeit auf kleinem Raum zusammenzupressen – und die einmal erreichte Intensität in immer wieder anderen Bildern abzuwandeln. Ohser kommt zu einer fast halluzinierenden Folge widersprüchlicher, doppelter, dreifacher und vielfacher Bilder – mitunter durch zufällige Assoziationen, wie sie der Surrealismus so liebte. Ein Angriff auf die Welt scheinbar geordneter Verhältnisse, die in ihrer Spiegelverkehrung gezeigt wird. Er spitzt zu, er treibt die Situation ins Paradoxe, er stellt die Dinge auf den Kopf, er deckt die Hintergründe auf. Seine Vater-und-Sohn-Geschichten werden ein unvergängliches Erbe bleiben. Aber auch seine Witzbilder und Karikaturen – nicht alle, aber doch viele – sollten nicht ganz vergessen werden. In einer Witzzeichnung findet eine „Tagung der Sittlichen“ vor griesgrämigen Damen statt, die ihren anstößigen Unterleib zu Hause gelassen haben. „Endlich allein“ seufzt die Diva, sich zu Hause auf ihrer Chaiselongue ausstreckend, während, von ihr unbemerkt, überall die Fotoapparate der Reporter auf sie gerichtet sind. Die Mutter hält ihr Kind hoch in den Armen und schäkert mit ihm: „Na, wo ist denn unser Bübchen – na, wo ist es denn – na, wo ist es denn – na, wo…“ Der Vater trocken: „Du spinnst wohl? Du hast ihn ja in den Händen!“ Da sitzt Hitler hinter einem Werbebild, das ihn in gewalttätiger, kraftstrotzender Pose zeigt, elend und verloren – „Mir is mies vor mir“. Mit der Überschrift „Dringend ruhebedürftig“ ist diese Karikatur 1932 im Vorwärts erschienen. Aus dem gleichen Jahr stammt „Die Mehrheit tritt…“: Oben erklärt Hitler: „Die überwältigende Mehrheit des Volkes tritt hinter mich!“ „Jawoll!“ antworten die Angesprochenen unten und versetzen ihm einen Tritt in den Hintern.
Ohser hat dann auch für die Wochenzeitung Das Reich Auftragsarbeiten ausgeführt, zweifelhafte Karikaturen gegen die alliierten Kriegsgegner Nazi-Deutschlands gezeichnet und getextet. Aber damit wurde ihm von den Nazis keine Absolution erteilt. Goebbels hatte Ohsers frühere Schmähungen keineswegs vergessen. Als Ohser der Prozess gemacht wurde, befahl er, dass Roland Freisler selbst das voraussehbare Urteil sprechen sollte…
Hier liegt jetzt ein repräsentativer Band vor, der uns den bekannten und den unbekannten e.o.plauen vorstellt.
Erich Ohser alias e.o.plauen: Die Werkausgabe. Zeichnungen, Illustrationen, Witzbilder und Vater und Sohn-Bildgeschichten, Südverlag, Plauen / Konstanz 2017, 336 Seiten, 49,90 Euro.
Schlagwörter: e.o.plauen, Erich Knauf, Erich Ohser, Klaus Hammer, Reichskulturkammer, Vater und Sohn, Volksgerichtshof