von Wolfgang Hochwald
Wer kennt heute noch einen Liedermacher/Singer-Songwriter, der sich explizit durch politische Themen auszeichnet? Die Zeiten, in denen Künstler wie die bereits verstorbenen Franz Josef Degenhardt und Dietrich Kittner oder wie Wolf Biermann, Hannes Wader, Konstantin Wecker und Klaus der Geiger das politische Klima mitgeprägt und Stellung bezogen haben – und gehört worden sind –, scheinen lange vorbei. Im englischsprachigen Raum gibt es durchaus Künstler wie Beyonce, Bruce Springsteen oder Loudon Wainwright III und viele andere, die sich politisch engagieren, aber aus hiesiger Sicht scheint insbesondere unter den US-amerikanischen Künstlern seit der Wahl von Donald Trump eine gewisse Schockstarre zu herrschen. Und „U2“-Chef Bono, der sich über die Maßen gegen Armut und globale Ungerechtigkeit einsetzt, ist – wie kürzlich aus den „Paradise Papers“ hervorging – Nutznießer anrüchiger Steuersparmodelle.
Am 27. November gastierte Billy Bragg im Gloria in Köln. Eine gute Gelegenheit, das Augenmerk auf diesen britischen Musiker und Links-Aktivisten zu richten.
Bragg veröffentlicht seit über 30 Jahren Musik, die Elemente von Folk sowie (Punk-)Rock verbindet und die neben Liebesballaden traditionelle Arbeiterlieder, aber auch Protestsongs zu aktuellen politischen Ereignissen umfasst.
Braggs letzte eigene CD aus dem Jahr 2013, „Tooth and Nail“, hatte sich überwiegend mit zwischenmenschlichen Themen befasst. Und das auf einer Bahnreise durch die USA mit dem US-Musiker Joe Henry aufgenommene wunderbare Album „Shine A Light“ enthielt Cover-Versionen von alten Folk- und Country-Stücken rund um das Thema Eisenbahn.
Wie Bragg jetzt im Gloria erzählte, hatte sich seit dem Brexit und der Trump-Wahl eine enorme Wut in ihm aufgestaut, die er auf seiner Homepage zum Ausdruck brachte. Bis ihm Anfang dieses Jahres klar wurde, dass er darüber auch neue Lieder schreiben könnte. Und so entstanden sechs politische Songs, die Bragg auf einer EP mit dem programmatischen Titel „Bridges Not Walls“ (Brücken, keine Mauern) veröffentlicht hat und die ein wichtiges Element seines Kölner Konzertes waren. Wobei Konzert den Auftritt nicht ganz korrekt beschreibt, denn ein geschätztes Viertel der Zeit nahmen politisch engagierte, aber immer sehr unterhaltsame und oft witzige Redebeiträge Braggs ein.
Das Stück „Saffiyah Smiles“ hat Bragg einer Frau gewidmet, die ihn nachhaltig beeindruckt hat und deren Geschichte er in treffenden Worten erzählt. Während einer Demonstration von Neo-Nazis im April 2017 in Birmingham hatte Ian Crossland, ein Anführer der rassistischen „English Defence League“, sich bedrohlich vor einer Gegendemonstrantin aufgebaut, die einen Hidschab trug. Aus einer Gruppe eher Unbeteiligter löste sich darauf eine Frau, Saffiyah Khan, trat – mit einem Lächeln -dem Rechtsradikalen entgegen und brachte ihn so offensichtlich von weiteren Aggressionen ab. „A woman of colour steps out from the crowd / Does something to make us all proud. […] And with a smile took power from the man” (Eine farbige Frau tritt aus der Menge hervor / Tut etwas, dass uns alle stolz macht. […] Und mit einem Lächeln nimmt sie dem Mann die Macht).
Mit der globalen Erwärmung befasst Bragg sich im Song „King Tide and The Sunny Day Flood“ am Beispiel des an der US-Ostküste und insbesondere in Florida bei gutem Wetter verstärkt auftretenden Sommerhochwassers. Und weitet dieses Thema in seinen Vorbemerkungen zum Song aus: Auch die Folgen der globalen Erwärmung hätten mit Klassenunterschieden zu tun, denn nicht nur in den ärmeren Ländern, sondern auch in Florida sei es oft die Unterklasse, die nah an der Küste wohne und vom Anstieg des Meeresspiegels besonders betroffen sei. Trump und Kollegen, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollten, leugneten die globale Erwärmung, die Auslöser künftiger Flüchtlingsströme sein werde. „Now you may live on higher ground / Feeling like you’re safe and sound / Thinking as you look around / This is your lucky day / But everyone beneath the sky / Soon be looking for somewhere high and dry / And nothing you can ever do / Will keep them all at bay”. (Du magst jetzt höher gelegen wohnen / und dich gesund und munter fühlen / und du denkst, wenn du dich umschaust / dies ist dein Glückstag. / Aber Jeder unter dem Himmel / wird bald nach etwas höher Gelegenem und Trockenen schauen / Und nichts, was du jemals machen kann / wird sie dir Alle vom Leibe halten.)
In „Full English Brexit“ (ein schönes Wortspiel zum „Full English Breakfast“) versetzt Bragg sich in die Denkweise eines Brexit-Befürworters und deckt dabei die Widersprüche von dessen Aussagen auf. Auch wenn er einen gewissen Prozentsatz der Trump Wähler, Brexit-Befürworter oder AfD-Wähler für rassistisch oder Nazis hält, so nimmt Bragg den größeren Teil dieser Menschen und ihre Ängste ernst. Dies seien in Großbritannien im Zweifel die früheren Wähler der Labour Party gewesen und unsere Aufgabe sei es, diesen Menschen wieder zuzuhören, auch wenn dies aufgrund der in sich oft widersprüchlichen Argumente sehr anstrengend sein könne. Bragg öffnet mit seinen Texten auf humorvolle Weise die „Blase“, in der wir uns bewegen, und verschafft uns einen Einblick in die Denkweise dieser Menschen.
Kapitalismuskritik hagelt es im musikalisch gewinnendsten Song „Not everything that counts can be counted“ (Nicht alles was einen Wert hat, kann gezählt werden). „Und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt“, singt Bragg und fährt fort: „If you’re not white or male or compliant / The system is designed to keep you in your place.“ (Wenn Du nicht weiß oder männlich oder gefügig bist, / Ist das System so beschaffen, dass es dich in deine Schranken weist). Dank einer wunderbar swingenden Melodie und seiner schönen Sprache wirkt Braggs Kritik dabei nie aufgesetzt oder gewollt, sondern bringt den Hörer gerade durch seine humorvolle Darstellung zum Nachdenken.
Billy Braggs Kernbotschaft findet sich im Song „The Sleep Of Reason“, mit dessen Titel er eine Grafik von Francisco de Goya zitiert: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“. Aber Bragg verharrt nie allein im Angriff auf die Trumps dieser Welt, sondern richtet den Blick immer auch auf uns selbst: „And in the end, the greatest threat faced by democracy isn’t fascism or fanaticism / But our own complacency” (Letztendlich sind die größte Bedrohung für die Demokratie nicht der Faschismus oder der Fanatismus, sondern unsere eigene Bequemlichkeit). Und der Zynismus, wie er im Konzert ausführte, denn dieser lauere in jedem von uns – angesichts der Ohnmacht, nichts ändern zu können.
Bragg stellt die Frage, die sich seit den Protestsongs von Woody Guthrie oder dem frühen Dylan immer wieder stellt: Kann Musik die Welt verändern? Braggs Antwort ist ein klares Nein, aber seine Hoffnung ist, dass seine Konzerte ein Gefühl der Gemeinschaft und der Solidarität schaffen, und so schloss er das Konzert mit einem flammenden Schlussappell: Wenn man Empathie und Aktivismus zusammenfüge, erhalte man Solidarität, den Schlüsselfaktor für eine Veränderung der Gesellschaft. Nach seiner Erfahrung könne letztere aber nur erreicht werden, wenn Menschen sich organisierten und an einer gemeinsamen Sache arbeiteten. Seine Währung als Musiker sei die Empathie, und es sei seine Pflicht, dass die Zuhörer nach seinem Konzert fühlten, dass sie nicht alleine seien und ihre Aktivitätskraft wieder aufgeladen sei. Er beziehe seine Inspiration von seinem Publikum und seinem ungetrübten Glauben an dessen Fähigkeit, die Welt zu verändern. „I keep faith in you“ (ich bewahre meine Glauben an euch), sang er gegen Ende des Konzerts.
Billy Bragg wird sich, davon darf man überzeugt sein, mit uneingeschränktem Einsatz weiter für eine bessere Welt und dafür einsetzen, dass Menschen aktiv werden. Und das sicherlich weit über seinen 60. Geburtstag am 20. Dezember dieses Jahres hinaus.
In diesem Sinne: Danke für die Ermutigung und Happy Birthday, Billy!
Billy Bragg: Bridges Not Walls, Cooking Vinyl 2017, 6,99 Euro.
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