20. Jahrgang | Nummer 24 | 20. November 2017

Antworten

Detlev Frye (53), Verlegenheitsbürgermeister von Lebus/Landkreis Märkisch-Oderland – Die Parteistrategen von rot bis schwarz in der brandenburgischen Landeshauptstadt sind rat- und sprachlos. Mit Ihnen wurde erstmals ein AfD-Politiker in Deutschland zum Bürgermeister gewählt. Na und? Das wird der Stadt der Adonisröschen-Hänge einen Eintrag in den künftigen Geschichtsbüchern sichern. Zumindest wenn diese von der Schreibhaltung her endlich wieder etwas nationaler ausfallen, wird dadurch möglicherweise die im April 1945 an der Oder geschehene Reichs-Schlappe ein wenig ausgebügelt… Bemerkenswert sind die Umstände Ihrer Wahl. Sie kamen durch die Stimmen von CDU- und LINKEN-Stadtverordneten ins Amt. Ihre AfD-Mitgliedschaft sei kein großes Thema, entscheidend dagegen Ihre kommunalpolitische Arbeit, verlautete aus deren Kreisen. Es ist eben von Vorteil, wenn man sich auf eine gut funktionierende Dorf-, pardon! Volksgemeinschaft verlassen kann!

Bernd Krömer (61), berühmter Berliner Marathon-Läufer, Ex-Innenstaatssekretär (CDU) – Am 22. September 2017 sollten Sie vor dem Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses über die offenkundigen Fehlleistungen ihrer Behörde beim Umgang mit dem „Gefährder“ Anis Amri aussagen. Ihr Arzt hatte Ihnen aber die Aussage aus gesundheitlichen Gründen verboten. Zwei Tage später absolvierten Sie den Berlin-Marathon in der respektablen Zeit von 4 Stunden und 37 Minuten. Chapeau! Am 10. November erschienen Sie immerhin vor dem Ausschuss – die Vorstellung, dass gegen Sie der Ausschussvorsitzende (Herr Dregger ist ebenfalls CDU-Mitglied) wegen weiterer Verweigerung Beugehaft verhängt hätte, entbehrt nicht einer gewissen Komik – und zogen prompt die Karte aller Regierer vor solchen Gremien: Sie konnten sich an nichts erinnern, wussten sowieso nichts Genaues und erfuhren den Namen Amri erst nach dem Attentat aus dem Fernsehen… Wir erinnern uns allerdings noch recht gut an Ihr Gestammel nach Ihrer peinlichen Nummer vom September: „Mein Arzt hat mir empfohlen, Sport zu machen, weil der für viele Dinge heilsam ist.“ Vielleicht hätte ein kleiner Halb-Marathon am Donnerstag vor der Ausschusssitzung zur Heilung Ihres Gedächtnisses beigetragen? Wir helfen Ihrer Erinnerung gerne nach: Als die Berliner Polizei Amris Überwachung einstellte, waren Sie noch der zuständige Staatssekretär. Das Komplettversagen der Landesbehörden in dieser Sache bezahlten elf Menschen mit ihrem Leben.

Holger Schmale, geschätzter Kollege – Sie haben in einer Kolumne der Berliner Zeitung die Frage der Zerfallserscheinungen Europas erörtert und dabei die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass Ihnen ein Europa der Regionen, also der mehr oder weniger ethnisch und urhistorisch geprägten Bestandteile gegenwärtiger Nationalstaaten, als eine zukunftsträchtigere Lösung scheinen könnte. Nun haben Sie zwar gleich selbst auf mögliche Fragezeichen hingewiesen, halten diese aber wohl für lösbar. Nur eben: Wenn sich die Parlamente der bisherigen Staaten und dann natürlich auch das der europäischen Gemeinschaft in so vielen Fällen wegen Nichtbefriedigung jeweils nationaler Vorstellungen und Ambitionen nicht einigen können, wie soll das bei einer noch deutlich höheren Anzahl besagter Regionen und all deren (gern auch verständlicher) Egoismen möglich sein? Sich das vorzustellen, überfordert zumindest unsere sonst durchaus gutgläubige Fantasie.

Stefan Berg, geschätzter Spiegel-Autor – Die wieder einmal aufgeflammte Debatte darüber, wer oder was „der Ossi“ in seinem Kern ist und wer oder was nicht, und die in diesem Zusammenhang wieder einmal gestellte Frage, wann „der Ossi“ endlich im Westen angekommen sein wird, haben Sie angeregt, solcherart Betrachtungen bitte immer auch mit einer Analyse des nicht nur geografischen Gegenstücks, des „Wessis“, zu unternehmen. Nicht unplausibel merken Sie dabei an: „Auf Soziologisch könnte man es vielleicht so beschreiben: Im Osten litten die Leute unter kollektiven Mangelerfahrungen, im Westen unter mangelnder Kollektiverfahrung. Vielleicht ist es Zeit für einen Appell: Macht es den Wessis nicht zu schwer, ladet sie ein, und lasst euch deren Geschichten erzählen. Ihr müsst ihnen ja nicht gleich Pakete schicken.“

Thea Dorn, schriftstellernde Realistin – In einem Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur haben Sie Bezug auf die – im Einzelnen freilich unumstritten notwendige Ächtung sexistischen Verhaltens von Typen a la Weinstein oder auch Spacey – genommen, zugleich aber auch vor einem „moralischen Totalitarismus“ samt dessen „bigotten Reaktionen“ gewarnt. Ihrer Meinung nach seien diese „spießiger“ als der Geist der 1950er und 60er Jahre. Wenn Spacey „tatsächlich rohe Gewalt“ angewendet habe, um Sex zu erzwingen, gehöre er auch verurteilt. „Wenn wir jetzt anfangen, in der Kunst alle die, die salopp gesagt, Arschlöcher sind, herauszuschneiden, dann fürchte ich, dass es in unseren Bibliotheken, in unseren Museen, in den Kinos wahnsinnig leer wird.“ Oh weh, was für Perspektiven, ganz und gar dann, wenn man diese Knallhärte auch noch auf’s Politgeschäft anwenden würde…

Trabbi, zur Legende gereifter Jubilar – Einst mangels nennenswerten Alternativen begehrt und zeitgleich verspottet sind Sie nach dem Überunskommen auch des automobilen Überflusses zunächst massenhaft in die Schrott- respektive Hartplastikpressen geraten und galten nicht nur dem Westen als Symbol von sozialistischer Piefigkeit und Unterlegenheit. Nun, da Sie 60 geworden sind, hat sich diese Betrachtungsweise doch modifiziert. Nicht nur, dass Automobilisten sogar einige Vorzüge Ihrer Modelle attestieren (man schau in einen lichten und auch Eigenreparaturen ermöglichenden Motorraum des Trabbis und dann in den irgendeines heutigen PKW), für einige der überlebt habenden „Plastikbomber“, so für die Variante Kübelwagen, bieten Liebhaber derweil Summen, – in besagtem Falle 7500 Euro – die von Euro via D-Mark auf die DDR-Währung umgerechnet dessen Originalpreis nahekommen und gelegentlich sogar überbieten. Wenn auch nur in diesem bescheidenen Falle zeigt sich wieder: Totgesagte leben länger.

Donald Trump, Geistesriese – in Bezug zum immer wieder mörderischen Schusswaffengebrauch in den USA haben Sie attestiert, zwar „viele Probleme mit der geistigen Gesundheit in unserem Land“ zu kennen, aber keines in Bezug auf Schusswaffen. Sofern Sie, was die „geistige Gesundheit“ angeht, an sich selbst gedacht haben sollten, ließe sich diese Aussage ja durchaus hoffnungsvoll interpretieren. Da in Sachen individueller Geistesgaben auf die Medizin aber nicht recht zu hoffen ist, möge Ihres präsidialen Vorgängers Hoffnung auf Sie angewandt sein, der da zum inkriminierten Thema zu sagen wusste: „Möge Gott uns allen die Weisheit geben, um zu fragen, welche konkreten Schritte wir unternehmen können, um die Gewalt und die Waffen unter uns zu reduzieren.“ Wenn Gott dann tatsächlich einmal dabei sein sollte, könnte vielleicht auch ein wenig für Sie abfallen.

Friedrich Merz, Auftauchender – Nach hoffnungsvoller Karriere bis ins Amt des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag von Parteifreundin Merkel in die Bedeutungslosigkeit weggebissen, haben Sie in politischen Dingen lange nichts von sich hören lassen. Mag sein, Sie haben einstweilen den Durchmesser jenes Bierdeckels berechnet, auf dem Sie einst die Steuererklärung unterzubringen für möglich hielten. Nun tauchen Sie wieder auf, wiewohl zunächst nur in der bescheidenen (und gar ehrenamtlichen!) Funktion des Brexit-Beauftragten von NRW. Noch wissen wir nicht, ob Sie dort nur die Folgen des britischen Ausstieges aus Europa wundbehandeln sollen oder den Ausstieg Nordrhein-Westfalens aus dem Bund der Deutschen vorbereiten. Interessant ist zunächst nur, dass Sie wieder ins öffentliche politische Geschäft einsteigen, wo die Kanzlerin zwar mit Sicherheit eine neue Amtsperiode antreten wird, diese aber möglicherweise gar nicht durch zu regieren denkt. Und wenn in einem solchen Falle dann ein Übergangs-Nachfolger für die Sicherung der weiteren CDU-Dominanz gebraucht wird, könnten Sie , dem Igel gleich , „Ick bün allhie“ rufen. Aber aufgepasst, Herr Röttgen schnuppert derzeit ebenfalls wieder die Luft des Faktischen.

Norbert Lammert, nunmehr Ruheständler – Dass es immer die Falschen sind, die bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag an irgendwelchen Ämtern kleben, weil sie sich für unentbehrlich halten… Anders Sie, der Sie sich nun nicht nur vom souverän absolvierten Amt des Bundestagspräsidenten sondern auch aus der funktionsbeladenen Parteipolitik überhaupt zurückgezogen haben und vermutlich hoffen, dass es nun die Jungen weiter- oder gar besser zu machen haben. Es war beileibe nicht nur ihr intelligenter und schlagfertiger Humor, den Sie auch präsidial zum Wohle der parlamentarischen Kultur eingesetzt haben, es war vielmehr jener von Ihnen ausgehende Eindruck von Lauterkeit und Fairness, der nicht nur im Bundestag ein gar rares Gut geworden ist, der Ihren Rückzug zu etwas zwar Verständlichem, aber eben auch Bedauerlichem macht. Mehr Menschen wie Sie (wenn nun freilich nicht n u r Sie, übertreiben wollen wir ja nun auch nicht), und man könnte wieder Spaß an der Demokratie haben, besser noch, wiewohl paradox klingend: man könnte diese wieder ernster nehmen.

Radio Regenbogen, Mannheimatsender – Mit einer einzigen Meldung ist es Ihnen gelungen, die mediale Lufthoheit unseres Gemeinwesens zu erschüttern. Exklusiv nur Sie vermochten die Nachricht zu recherchieren und dann zu verbreiten, dass am 17. November zwei von – Achtung: nur Personen mit starken Nerven hier weiterlesen, das Blättchen übernimmt für mentale oder physische Folgen keine Verantwortung! Prinz William oder Herzogin Kate im Juli am Heidelberger Neckar eigenhändig (!!!) geformte Brezeln nun für einen guten Zweck auktioniert werden sollen. Und als ob dies in seiner substantiellen Einzigartigkeit nicht ausreichte, ist es kein geringerer als Deutschlands Oberplastinator Gunther von Hagens, der dem geadelten Backwerk seine Prozedur der Halt und Haltbarmachung hat angedeihen lassen, auf dass dieses, in seiner strukturellen Verschlungenheit ja nichts weniger als auch Völkerverständigung symbolisierende Knusperwerk die Äonen überdauere. Deutschland, die Heimat der Aufklärung, verneigt sich und sagt: Danke, William und Kate, danke, Gunther von Hagen und danke, Radio Regenbogen.