von Werner Sohn
In manchen Debatten wird man feststellen, dass es konservativen Diskutanten durchaus schwerfällt, grundlegende Merkmale der eigenen Haltung zu bestimmen. Dies ist auch der Förderstiftung „Konservative Bildung und Forschung“, die in Berlin eine „Bibliothek des Konservatismus“ (BdK) betreibt und damit gleichsam die literarische Essenz dieser Lebensphilosophie verwaltet, schmerzhaft bewusst. Daher erschien im Informationsbrief der Bibliothek kürzlich der Aufruf, sich an der „Schärfung des Begriffes“ (konservativ) zu beteiligen. Obwohl sich der Verfasser – im Unterschied zur Förderstiftung und der „Bibliothek des Konservatismus“ – der reformierten Rechtschreibung bedient, vertritt er einen sprachkonservativen, sprachwahrenden Standpunkt. Daher hat er sich aufgefordert gefühlt, die im gleichen Informationsbrief offenbarte sprachprogressive Verirrung zu kritisieren. Seine (gewiss nicht völlig ironiefreie) Kritik fand freilich keinen Widerhall. Sollte sie etwa, um einen philosophischen Titel des selbsternannten Kommunisten Slavoj Žižek zu (be)nutzen, „weniger als nichts“, nämlich weniger als nichts zur Schärfung des Begriffs beigetragen haben?
Man wird eine konservative, sprachwahrende Haltung nicht daran messen, wie energisch sie sich dem in sprachlichen Innovationen gefallenden Zeitgeist entgegenstemmt. Vielmehr sollte sie grundsätzlich den Sprachwandel daraufhin prüfen, ob er vernünftig ist, in das tradierte, zumeist intuitiv verständliche Gefüge des Deutschen passt und insgesamt von Nutzen ist. An solchem Anspruch gemessen, muss die Ausstellung von „Nutzerausweisen“ durch eine „Bibliothek des Konservatismus“ irritieren. Zu kritisieren ist natürlich nicht, dass eine Institution einen „Ausweis“ ausstellt, mit dem sich ausweisen soll, wer ihre Dienste in Anspruch nehmen möchte. Auch dass die alte, im Jargon vieler Bibliothekare noch übliche „Leihkarte“ nicht zum Zuge kommen kann, ist verständlich, da die BdK vorerst nichts verleihen will.
Eine einfache Google-Recherche hätte zeigen können, dass sich die „Bibliothek des Konservatismus“ mit dem Begriff „Nutzerausweis“ an die Seite einer kleinen Minderheit von „Progressiven“ stellt. Überdies kann eine solche Recherche nicht ausschließen, dass diese kleine Gruppe von Bibliotheken womöglich überwiegend nur in ihren Handreichungen von (zu beantragenden) „Nutzerausweisen“ spricht, bei den Karten selbst jedoch auf die ziemlich nutzlose Angabe „Nutzerausweis“ verzichtet. Die BdK betont, dass die neue Legitimation „bequem in jede Brieftasche“ passe, „und wenn sie senkrecht eingesteckt“ werde, „lugt am oberen Rand der Schriftzug ‚Nutzerausweis‘ hervor“. Das spitzbübische „Hervorlugen“ und die altväterliche „Brieftasche“ sind zweifellos sprachkonservative Elemente des netten Advertisings, doch fragt sich der Progressive wie der Konservative, wer denn noch eine „Brieftasche“ besitzt – ein Täschlein, in dem er Briefe transportiert –, und wenn er so etwas hat, ob er nicht gleichwohl die „scheckkartengroße Plastikkarte“ mit den anderen „scheckkartengroßen“ Objekten den dafür exakt ausgelegten Fächern seines „Geldbeutels“ beziehungsweise Portemonnaies einverleibt? Vertreter des weiblichen Geschlechts, die die mit Abstand größte Benutzergruppe öffentlicher Bibliotheken und eventuell auch der BdK bilden, pflegen überdies traditionell auf spezielle Brieftaschen zu verzichten und verstauen Briefe zusammen mit dem ganzen anderen genderspezifischen Krimskrams am liebsten in ihren Handtaschen. Frauen könnten sich also schon wieder benachteiligt fühlen, obwohl sie durch die sehr moderne feminine BdK-Farbwahl im Allgemeinen besänftigt sein sollten.
Warum aber kann eine sprachwahrende Haltung nicht auch einmal „progressiv“ erscheinen? Betrachtet man die Sprachentwicklung, so ist der „Nutzer“ zweifellos auf dem Vormarsch. Obwohl der Sache nach plausibel, dass ein „Nutzer“ sein kann, wer etwas nutzt, bestand offenbar bis vor wenigen Jahren kein Bedürfnis, zwischen Benutzer, Nießnutzer und Nutznießer einen weiteren Rollenträger einzufügen. Die Computerisierung hat die Einführung eines „Nutzers“ zwar angestoßen, aber keineswegs verursacht. Der Wahrig von 2006, der den „Nutzer“ bereits kennt, ordnet die Adjektivverbindungen mit -definiert, -spezifisch und -freundlich sowie ein Kompositum mit -oberfläche, verbunden mit dem Herkunftshinweis EDV, dem Benutzer, nicht aber dem „Nutzer“ zu. Tatsächlich findet man heute bei den EDV-Anwendern häufiger „nutzerfreundlich“, „nutzerorientiert“ et cetera. Der Grund für diese Verkürzung kann darin gesehen werden, dass dem Geschmack des Zeitgeistes der zweisilbige „Nutzer“ dem zweisilbigen „user“, den er spiegeln soll, besser zu entsprechen scheint. Im Computerlatein hat man sich den User allerdings längst als Anglizismus anverwandelt. Eine konservative Bibliothek kann vor diesem Hintergrund ihren Benutzern insinuieren, ein treffendes neudeutsches Wort dem geistigen angelsächsischen Machtanspruch entgegenzusetzen. Doch wäre dies ein Irrtum. Mit der Ersetzung des Benutzers durch den „Nutzer“ wird durchaus eine neue Semantik begründet. Die epidemische Ausbreitung des Wortes lässt alte Differenzierungen verschwinden. „Benutzen“ ist – wie die meisten Verben mit Präfix – sprachgeschichtlich jünger als das Stammwort. Präfixbildungen erlauben zahlreiche Bedeutungsdifferenzierungen. Die Benutzung einer Sache bezeichnet ihren funktionell richtigen Gebrauch, wobei die Frage nach dem tatsächlichen Nutzen neutralisiert ist. Die Nutzung zielt auf einen spezifischen Vorteil, den Nutzen. Es fällt schwer, ein Grundstück zu benutzen, während eine Nutzung verschiedene Möglichkeiten zum eigenen Nutzen umfasst. Wer einen Kompass benutzen kann, tut gut daran, diese Fähigkeit gegebenenfalls auch zu nutzen. Ein Benutzer wird eine Bibliothek auf bestimmte, der Bibliothek angemessene Weise nutzen. Ob dies für ihn von Nutzen ist, bleibt dahingestellt. Das wird er selbst bewerten müssen. Als Nutzer wird ihm der Nutzen gleisnerisch aufgeprägt. Hierin wird man eine weitere Triebfeder für die zunehmende Ersetzung des Benutzers durch den „Nutzer“ vermuten können.
Vor wenigen Jahrzehnten hatte sich für die deutsche Nutzung des Users ein weiteres Motiv ergeben, von der richtigen Übersetzung Abstand zu nehmen. Im Rahmen der „Legalize-it“-Drogendebatte kreierten amerikanische Befürworter den „drug user“. Zuvor war er nur als „abuser“ oder „misuser“ in Erscheinung getreten. Deutsche Legalisierungsanhänger wollten dem hiesigen Diskurs freilich den „Drogennutzer“ (noch) nicht zumuten. Wenn der Nutzer durch den Nutzen konstituiert wird, so wäre die prekäre Frage zu erörtern gewesen, mit welchem Nutzen (und für wen) Marihuana, Ecstasy und andere Drogen wohl verbunden werden könnten. Die drogenpolitisch meist permissiv eingestellten Holländer führten den Drogen-User pfiffig als „gebruijker“ ein, den sich sodann die deutsche Szene anverwandelte. Wer sich liberal und fortschrittlich dünkte, sprach vom „Drogengebraucher“ und konnte sich mit seinem Neutralitätsanspruch sogar auf den alten Duden stützen. Als dieser noch eine sprachwahrende, den Wandel normierende Funktion innehatte, war unter dem Eintrag „gebrauchen“ zu lesen: „benutzen; fälschlich für: brauchen, nötig haben“. Und nötig haben sollte nach dem Ansinnen der Progressiven der selbstbestimmte „drug user“ seine Droge nicht. Im Unterschied zum „Nutzer“ hat sich der „Gebraucher“ nicht durchsetzen können.
Die Verkürzung des Benutzerausweises zum „Nutzerausweis“ erinnert noch an einen anderen Vorgang, dessen Anfänge man als junger Student erlebte. Niemand weiß mehr, wer damit begonnen hat, Wege über öffentliche Rasenflächen abzukürzen. Überall entstanden damals binnen kurzem „Trampelpfade“, nicht nur kühne Diagonalen mit Zeitgewinn von einigen Minuten, sondern bescheidene Abkürzungen im Bereich von nur wenigen Metern. Auf dem Weg ins Büro geht man jeden Morgen durch ein Berufsschulzentrum, passiert ein solches Rasenstück und fragt sich (kaltlächelnd), ob man wohl heute jemanden sehen werde, der die Ersparnis von knapp sechs Metern nicht nutzen und den eigentlichen Weg benutzen wird.
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