von Hartmut Pätzke
Die Ehrung zum 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz begann bereits 2016 in ihrem Geburtsort Kaliningrad (ehemals Königsberg). In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte die Künstlerin besonders enge Verbindungen zur jungen Sowjet-Union. Aus Anlass des 10. Jahrestages der Oktoberrevolution reiste sie 1927 gemeinsam mit ihrem Mann, dem Arzt Dr. Karl Kollwitz, in das Land. In Leningrad, Moskau und Kasan wurde aus Anlass ihres 60. Geburtstages die im Vorjahr entstandene Wanderausstellung aus ihrem grafischen Werk gezeigt. Im vom Käthe-Kollwitz-Museum Berlin herausgegebenen Band „Käthe Kollwitz. Eine Spurensuche im Kaliningrader Gebiet“ werden in ihrem Einst und Jetzt Orte der Erinnerung in Bild und Text vorgestellt. Ebenso das 1909 errichtete Denkmal für Julius Rupp (1809–1884), ihren Großvater, dessen Porträtrelief, das Käthe Kollwitz dafür schuf. Das war ihr erstes bekanntes plastisches Werk, das leider verloren ging. Erinnert wird auch an nicht Erhaltenes, wie die alte Universität, das Königsberger Schloss, die Kunstakademie in der Königstraße.
Berlin würdigte in Ausstellungen dreimal die große Künstlerin zu ihrem 150. Geburtstag, zuerst im Willy-Brandt-Haus mit Werken aus ihrer Sammlung. Unter dem Stichwort „Verfolgte Moderne“ erinnerte Andreas Hüneke an die Aktion Entartete Kunst vor 80 Jahren.
Das Käthe-Kollwitz-Museum Köln stellte das in Berlin 1958 von Gustav Seitz für Käthe Kollwitz entstandene Denkmal vor, das er kurz vor seiner Berufung nach Hamburg schuf. Anhand von Zeichnungen, Modellen und Werkstatt-Photographien konnte der Besucher Wesentliches zur Entstehung dieser bedeutenden Plastik erfahren. Zu dem im Herbst 1961 im Prenzlauer Berg aufgestellten Denkmal hat Jens Semrau in dem Katalog „Käthe Kollwitz. Eine Spurensuche“ einen Blick auf die Spannungen jener Zeit gerichtet, in der eine realistische Kunst sowohl im Osten als auch im Westen einen schweren Stand hatte.
Die Ausstellung „Käthe Kollwitz und ihre Freunde“ im Berliner Käthe-Kollwitz-Museum in der Fasanenstraße 24 und ihr angenehm in der Hand liegender Katalog widmen sich Persönlichkeiten der Zeit: Albert Einstein, Gerhart Hauptmann, Max Liebermann, Otto Nagel. Der Kunstkritiker Julius Elias wird vorgestellt, ebenso und die Sammler Julius Freund und Hermann F. Reemtsma.
Den angehenden Zeichenlehrer Fritz Klatt (1888–1945) hatte Käthe Kollwitz über ihre Söhne Hans und Peter kennen gelernt. Sie selbst begegnete ihm erstmals 1916. Ihr Kontakt zu dem auch bildnerisch tätigen Fritz Klatt bestand bis 1944. Die Freundschaft zwischen Käthe Kollwitz und dem ihr seelenverwandten Maler und Grafiker Reinhard Schmidhagen (1914–1945) ist wohl der menschlich und künstlerisch beeindruckendste Beitrag im Katalog der Ausstellung. 1937 schuf er die Holzschnittfolge „Guernica“. Am 11. November 1941 besuchte Reinhard Schmidhagen Käthe Kollwitz erstmals in Berlin. Sie half ihm materiell, versuchte auch Kontakte zur Galerie Buchholz herzustellen. Krankheit zwang Schmidhagen zu häufigen Ortswechseln, darunter auch zu einem Aufenthalt in der Schweiz. Am 8. Dezember 1943 schreibt sie an ihn aus Nordhausen: „Ich empfinde Sie als den Genossen, der die Fahne weiter trägt. Sei das Leben lang oder kurz – worauf es ankommt, ist, daß man seine Fahne hochhält und seinen Kampf führt. Denn ohne Kampf ist kein Leben. Lieber Mitkämpfer, geben Sie mir noch einmal die Hand, ich begrüße Sie von ganzem Herzen.“
Schade, dass die Grafikerin Sella Hasse (1878–1963), die Käthe Kollwitz seit 1902 nahe stand, 1962 Korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie der Künste wurde und im gleichen Jahr den seit 1960 verliehenen Käthe-Kollwitz-Preis erhielt, unberücksichtigt blieb.
Die Galerie Parterre im Prenzlauer Berg legt das große Buchwerk „Käthe Kollwitz und Berlin. Eine Spurensuche“ vor. Zu dem Beitrag von Eugen Blume, der sich an Begegnungen mit dem Werk der Kollwitz im Kupferstichkabinett und der Sammlung der Zeichnungen auf der Museumsinsel erinnert, werden die für die Ausstellung in der Galerie geliehenen Zeichnungen und Grafiken aus dem Käthe Kollwitz Museum Köln, der weltweit größten Kollwitz-Sammlung, reproduziert. In materialreichen Essays wird den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Künstlerin nachgespürt, auch ihren Ateliers. Siegmundshof war bisher kaum beachtet worden. Das Porträt ihres Mannes, des Arztes und Sozialdemokraten Dr. Karl Kollwitz (1863–1940) ist umfangreich, ohne ihn „wäre das Werk wahrscheinlich nicht möglich gewesen“, wie es Yury und Sonya Winterberg beschreiben. Das Porträt ihres Bruders, des sozialdemokratischen Redakteurs im Vorwärts und Mitarbeiters der Sozialistischen Monatshefte, Conrad Schmidt (1863–1932), der in der Volksbühnenbewegung aktiv war und auf Vorschlag von Franz Mehring sogar zum Vereinsvorsitzenden gewählt wurde, ist beeindruckend. Schmidt wurde auch Herausgeber der Zeitschrift Freie Volksbühne, ab 1914 gemeinsam mit Julius Bab. Seit dem 28. November 1925 lebte er in der Weißenburger Straße 25 bei Käthe und Karl Kollwitz. Im Berliner Krematorium in der Gerichtsstraße richtete Karl Kollwitz am 19. Oktober 1932 „Abschiedsworte“ an den Verstorbenen, dessen Leben dem Werk von Karl Marx und der Sozialdemokratie galt.
Den umfangreichsten Aufsatz steuerte Thomas Flierl bei, der versucht, die „Beziehung von Käthe Kollwitz zum Kommunismus und zur Sowjetunion“ darzustellen. Materialreich, auch in Dokumenten belegt, wird das Gespräch um ein zentrales Thema befruchtet. Kathleen Krenzlin, die Leiterin der Galerie, fand heraus, dass das bisher als „Heimkehrende Arbeiter am Lehrter Bahnhof“ bezeichnete Aquarell eindeutig dem S-Bahnhof Prenzlauer Allee zuzuschreiben ist, nahe der Wohnung der Kollwitz
Während in der Galerie parterre, in der es ein reiches Begleitprogramm gab, am 24. September die Ausstellung mit einem Konzert abschließt, wird im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin die Ausstellung „Käthe Kollwitz und ihre Freunde“ noch bis zum 15. Oktober zu sehen sein.
Getrübt ist die Ehrung für Käthe Kollwitz dadurch, dass das Käthe-Kollwitz-Museum Berlin sich offensichtlich um einen neuen Standort bemühen muss. Bernd Schultz, Mitbegründer und Mehrheitsgesellschafter des Auktionshauses Grisebach, der seine 500 Blatt umfassende Sammlung „Arbeiten auf Papier aus fünf Jahrhunderten“ Anfang Dezember versteigern lassen wird, um „die Gründung eines Exilmuseums in Berlin, das an die großen Vertriebenen der Kulturgeschichte“ erinnert, voranzutreiben, beabsichtigt die Einrichtung dieses Museums ausgerechnet in den Räumlichkeiten des Kollwitz-Museums. Iris Berndt, Kunsthistorikerin und seit dreieinhalb Jahren überaus engagierte Direktorin des Hauses, hat zum 31. August 2017 gekündigt, weil sie dem Kampf um die Immobilie nicht standzuhalten vermochte.
In der umfangreichen Literatur zum Leben und Werk von Käthe Kollwitz fehlt bisher eine wissenschaftliche Ausgabe der zirka 2.000 Briefe der Künstlerin. Iris Berndt, die am 1. September 2017 aus dem Käthe-Kollwitz-Museum Berlin, in dem auch der Weltfriedenstag traditionell begangen wurde, festlich verabschiedet wurde, bleibt Mitglied des Freundeskreises des Museums. Sie will der Kollwitz auch mit der Sammlung und Erforschung ihrer Briefe verbunden bleiben.
Käthe Kollwitz. Eine Spurensuche im Kaliningrader Gebiet. Herausgegeben vom Käthe-Kollwitz-Museum Berlin in Kooperation mit der Kunstgalerie Kaliningrad. Gedruckt mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland. Text. Iris Berndt, Natalia Mikhyalenko (deutsch und russisch). Für zwei Euro erhältlich im Käthe-Kollwitz-Museum.
Käthe Kollwitz und ihre Freunde. Katalog zur Sonderausstellung anlässlich des 150. Geburtstages von Käthe Kollwitz, Käthe-Kollwitz-Museum Berlin / Lukas Verlag , Berlin 2017, 160 Seiten, 19,00 Euro.
Kathleen Krenzlich (Hrsg.): Käthe Kollwitz und Berlin (Sonderband der Arbeitshefte der Galerie Parterre, XVI) , Deutscher Kunstverlag, Berlin 2017, 320 Seiten, 25,00 Euro.
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