von Clemens Fischer
Dass das Grauen in den USA nicht nur im Weißen Haus nistet, sondern vor allem in biederen amerikanischen Kleinstädten, hinter den Fassaden typischer Holzeinfamilienhäuser und in den pervertierten Seelen so mancher ihrer Bewohner, wissen Stephen Kings Leser aus der Fangemeinde des Horrorgenres seit Jahrzehnten. Schon sein erster Roman, „Carrie“, erschienen 1974, spielte in einer Kleinstadt. Und sein 1.500-Seiten-Wälzer „Es“ von 1986 – den einen Klassiker zu nennen, sich der Besprecher schon deswegen scheut, weil die damit implizierte Gleichrangigkeit mit Goethe, Lessing, Schiller und Thomas Mann denn doch einer Blasphemie gefährlich nahekäme – tut dies nicht minder. Dieses Mal heißt das Städtchen Derry.
„Es“ ist – nach einem Fernsehzweiteiler von 1990, der Pennywise, den Alptraum-Clown mit Gänsehaut- und Adrenalinschockgarantie, endgültig zu einer Ikone machte – jetzt zum zweiten Mal verfilmt worden und gerade in unseren Kinos angelaufen. Das Ergebnis zählt zu den durchaus nicht zahlreichen cineastisch eindrucksvollen unter den inzwischen über 60 Verfilmungen von King-Werken. Unter denen ragen „Carrie“ (1976; Hauptrolle: Sissy Spacek) und „Shining“ (1980; Hauptrolle: Jack Nicholson) heraus. Ihnen kann die Neuverfilmung von „Es“ durchaus das Wasser reichen. Das liegt neben den Gruseleffekten, die mit heutiger Technik so professionell auf die Leinwand gebracht werden, dass sich der geschockte Zuschauer ein ums andere Mal in den Kinosessel presst, auf dass dieser ein paar Meter weiter vor dem Geschehen zurückweiche, vor allem auch an der Darstellung der juvenilen Protagonisten und ihrer Erwachsenwerdensprobleme und -ängste.
Die Handlung spielt übrigens im Unterschied zum Roman, der in den 1950er Jahren angesiedelt ist, 1988, und da ist es ein hübsches Zitat, wenn die Kamera in einer kurzen Szene über die Fassade des kleinstädtischen Lichtspielhauses fährt, an der das aktuelle Kino-Programm benannt ist: „Nightmare on Elmstreet“…
„Es“ ist nichts für schwache Nerven. Wem schon die Eingangssequenz auf den Magen schlägt, in der der kleine Georgie im strömenden Regen sein Papierfaltboot verfolgt, das vom an einer Bordsteinkante entlang strömenden Wasser schließlich in einen Gullyabfluss gespült wird, aus dem ihn Pennywise anspricht, anlockt und…, der sollte sich schon an dieser Stelle nicht scheuen, das Kino zu verlassen. Denn das Horrorniveau dieser Sequenz wird über die volle Distanz von mehr als zwei Stunden gehalten.
Man fragt sich hinterher beklommen, was da eigentlich noch kommen soll, denn der Abspann informiert: Das war erst Kapitel eins. Denn seit der Gründung von Derry hat „Es“, das Grauen schlechthin, den Ort alle 27 Jahre heimgesucht. Man könnte den Fortgang des Geschehens bis zum zweiten Teil des Films natürlich schon mal bei King nachlesen.
„Es“, Regie: Andrés Muschietti. Derzeit in den Kinos.
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Dass der Film „Körper und Seele“ der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi bei der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bären abgeräumt hat, versteht durchaus, wer den Streifen jetzt im Kino sieht – eine Geschichte, so Frank Junghänel in der Berliner Zeitung einen Tag vor dem offiziellen Start, „wie sie poetischer, verstörender und ergreifender lange nicht mehr im Kino zu sehen war“, ein „zartes Meisterwerk“.
Leider erlag auch Junghänel der immer verbreiteteren Unsitte, den Verlauf des Geschehens und verschiedene Höhepunkte so minutiös auszuplaudern, dass nach der Lektüre auch jeder, der den Film gar nicht gesehen hat, „fundiert“ mitreden kann. Vor allem aber gehen damit von den möglichen Überraschungs- und Spannungsmomenten eines Films immer etliche verloren.
Nur zu seiner Charakterisierung des Opus’ als „verstörend“ teilte Junghänel seltsamerweise gar nichts mit, werfen doch gerade die verstörenden Momente von „Körper und Seele“ auch einige grundsätzliche Fragen auf. So erschließt sich der dramaturgische Sinn von dokumentarischen Bildsequenzen, die die Tötung von Rindern in einem Schlachthaus sowie das nachfolgende Ausbluten der Kadaver zeigen, für die eigentliche Handlung auch beim zweiten Nachdenken nicht. Und das „Happyend“ des Films ist angesichts der zuvor gezeigten schweren Traumatisierung der Filmheldin so plump unglaubwürdig, wie man es sonst von klischeehaften Männerphantasien kennt. Von einer sensiblen Regisseurin und Drehbuchautorin wäre an dieser Stelle denn doch anderes zu erwarten gewesen. So bleibt ein schaler Abklang: Egal, was passiert und wie es läuft, am Ende geht es doch immer nur um das Eine…, kommt also erst der Körper, dann die Seele.
„Körper und Seele“, Regie (und Drehbuch): Ildikó Enyedi. Derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Clemens Fischer, Film, Horror, Ildikó Enyedi, Körper und Seele, Stephen King