von Georg Pichler
Auf einem der bekanntesten Fotos, das im Kontext des Spanienkriegs immer wieder gezeigt wird, sind der General Francisco Franco und der Gründer der spanischen Legion, José Millán Astray, zu sehen, wie sie 1926 in der Kaserne von Dar Riffien in der Nähe von Ceuta im damals spanischen Protektorat Marokko ein Lied singen. Millán Astray war für seine brutale Kriegsführung gegen die Rifkabylen berüchtigt, die unter anderem darin bestand, dass man dem Feind „kein Pardon gewährte“, ihn also gnadenlos eliminierte, oft auch den Leichen die Ohren abschnitt und die Köpfe der Getöteten auf Lanzen spießte, die an Ortseinfahrten aufgestellt wurden. Weltbekannt wurde Millán Astray aber durch eine Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller Miguel de Unamuno am 12. Oktober 1936 in der Universität von Salamanca. Unamuno hatte sich zu Beginn des Bürgerkriegs für die Aufständischen ausgesprochen, da er sich von ihnen ein Ende der politischen Unruhen der Republik erwartete und, wie er in einem Aufruf an die europäischen Intellektuellen ausführte, in ihnen die Verteidiger des Abendlandes und des Christentums sah. Doch angesichts der Brutalität ihrer Kriegsführung, der Repression und der Hinrichtung zahlreicher Freunde ging er immer weiter auf Distanz zu Franco, bis er schließlich am Jahrestag der „Entdeckung“ Amerikas, dem „Tag der Rasse“, im Festsaal der Universität eine Rede hielt, die Millán Astray mit dem Schlachtruf der Legion „Viva la muerte“ (Es lebe der Tod) unterbrach. Unamuno nahm diesen Ruf auf, der ihm, wie er sagte, ebenso paradox schien wie „Tod dem Leben!“, kritisierte den Todeskult der Aufständischen und sprach den bekannt gewordenen Satz: „Venceréis, pero no convenceréis“ – „Ihr werdet siegen, aber ihr werdet nicht überzeugen“. Während dieses Wortwechsels rief Millán Astray die Worte, die ihn zu einem der Symbole des Franquismus machen sollten: „¡Muera la inteligencia! ¡Viva la muerte!“ – „Tod der Intelligenz! Es lebe der Tod!“ Millán Astray, der aufgrund seiner Kampfverletzungen nur mehr ein Auge, ein Bein und einen Arm hatte, unter Gleichgewichtsstörungen litt und daher stets von zwei Legionären begleitet werden musste, kam zwar im Bürgerkrieg aufgrund seines Alters und seiner Behinderungen nicht zum Einsatz, doch war er lange Zeit für die franquistische Propaganda zuständig und einer der Begründer des Mythos von Franco nach dem Führerprinzip.
In Madrid gibt es bis heute an die 200 Straßen und Plätze, die nach franquistischen Persönlichkeiten benannt sind, obwohl das sogenannte „Gesetz des historischen Gedächtnisses“, 2007 von der PSOE-Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero beschlossen, festlegte, dass alle Namen, die den Franquismus evozieren würden, zu ändern seien. Anfang 2016 machte sich die damals neue Regierung der Hauptstadt unter der Podemos nahestehenden Bürgermeisterin Manuela Carmena daran, diese Situation zu ändern – recht stümperhaft, was neben der zu erwartenden Empörung des rechten Spanien auch das eigene Lager verärgerte. Die Madrider Stadtregierung beauftragte nämlich die Cátedra de la Memoria Histórica der Universidad Complutense mit einer Studie, welche Straßennamen zu ändern wären. Im Februar 2016 begann eine Hetzkampagne rechter Medien gegen die Leiterin der Cátedra, Mirta Núñez Díaz-Balart, losgetreten von einem Artikel der Tageszeitung El País, der eine seit langem im Internet zirkulierende Liste mit 256 Straßen, die Namen von tatsächlichen Franquisten, aber auch von vielen Mitläufern und Nutznießern des Franquismus trug, fälschlicherweise der Cátedra zuschrieb. Angesichts der wenig überzeugenden Haltung der Bürgermeisterin und der Universität trat Núñez Díaz-Balart zurück. Die in der Folge einberufene, eher konservative Kommission (einige Mitglieder hatten sich sogar gegen die Memoria histórica ausgesprochen) war zum Ärger vieler Gedächtnisverbände sehr milde in ihren Vorschlägen und einigte sich auf einen Minimalkonsens von erst 27 (Juli 2016), dann 47 (März 2017), schließlich 52 Straßen (April 2017), deren Namen zu ändern wären, darunter auch die Calle del General Millán Astray, die ursprünglich Avenida de la Inteligencia heißen sollte, schlussendlich aber den Namen Calle de la Maestra Justa Freire erhielt und so eine bedeutende Pädagogin und Lehrerin der Republik, die die ersten Jahre des Franquismus im Gefängnis verbringen musste, zu Ehren kommen ließ. Bei einer Gemeinderatssitzung am 15. September 2016 sprach sich eine Delegation von ehemaligen Legionären öffentlich gegen die Namensänderung aus und bezichtigte Podemos nichts weniger als des Terrorismus. Am 24. September protestierten im Zentrum von Madrid an die 300 Rechtsradikale, darunter wiederum viele ehemalige Mitglieder der Legion, gegen die Namensänderung, unter anderem mit einem Plakat auf dem ohne jede Ironie zu lesen war: „Gegen Rache und Unterdrückung“.
In der erwähnten Gemeinderatssitzung wandte sich auch die konservative Volkspartei, Partido Popular (PP), gegen die Namensänderung mit dem Argument, Millán Astray habe bei seinen Einsätzen in den ehemaligen Kolonien, auf den Philippinen und in Marokko, zahlreiche Heldentaten vollbracht, habe die Legion gegründet, am franquistischen Aufstand nicht persönlich teilgenommen und viel für die Armen getan, eine Argumentationsweise, der sich auch eine der führenden Persönlichkeiten der PP anschloss, Esperanza Aguirre. Weiter ging noch der interimistische PP-Innenminister Jorge Fernández Díaz, der zur selben Zeit anlässlich der Exhumierung eines der Generäle des Putsches von 1936 meinte, dass „einige den Bürgerkrieg 40 oder ich weiß nicht wie viele Jahre nach seinem Ende 39“ gewinnen wollten – den doch, so der Subtext seiner Rede, die Richtigen, die Seinen gewonnen hätten.
Nach einigen Debatten über die hohen Kosten der Umbenennung von Straßen und Plätzen für Bewohner, Geschäfte, Unternehmen, Post und Stadtverwaltung und dem Mehrheitsbeschluss im Madrider Stadtparlament am 4. Mai 2017 schien die Sache ausgestanden zu sein – bis am 24. Juli die Madrider Stadtregierung eine Bekanntmachung veröffentlichte und verlautbarte, dass sie „eine richterliche Entscheidung“ hinsichtlich der Namensänderungen abwarten würde, da mehrere Einsprüche gegen die Umbenennungen eingebracht worden waren. Am 2. August schließlich verbot ein Richter ausdrücklich die Umbenennung der Calle del General Millán Astray auf Antrag der Plataforma Patriótica Millán Astray, zu der sich die verschiedenen Legionärsverbände in der Zwischenzeit zusammengeschlossen hatten. Mit der Begründung, dass die Straße bereits im Jahr 1924 ihren Namen erhalten hätte, wollten sie jeglicher Eventualität vorbauen. Nun bleibt abzuwarten, wohin der Rechtsweg führen wird – der Ausgang ist offen, ein Ende nicht abzusehen.
Der hier veröffentlichte Text ist der erweiterte Teil eines Beitrags des Bandes: Georg Pichler, Heimo Halbrainer (Hg.): Camaradas. Österreicherinnen und Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939, der im Herbst 2017 bei CLIO (Graz) erscheinen wird.
Der Autor Georg Pichler ist Profesor titular für Deutsche Sprache und Literatur an der Universidad de Alcalá (Madrid). Seine Forschungsschwerpunkte sind deutschsprachige und spanische Gegenwartsliteratur, Exilliteratur, kulturelle Beziehungen zwischen den deutschsprachigen und spanischsprachigen Ländern sowie unterschiedliche Aspekte der Gedächtnispolitik in beiden Kulturräumen.
Schlagwörter: Bürgerkrieg, Georg Pichler, Geschichte, Madrid, Millán Astray, Spanien