von F.-B. Habel
„Zur Humanität eines Meisters gehört, seine Schüler vor sich zu warnen“, sagte Friedrich Nietzsche. Egon Günther, dessen letztes großes, leider an der Finanzierung gescheitertes Projekt ein Nietzsche-Film mit Christoph Waltz war, hat auch in München und Babelsberg als Hochschullehrer gearbeitet. Und er hat seine Schüler natürlich davor gewarnt, alles wie er zu machen. Wie auch! Lebenserfahrung muss jeder selbst machen, künstlerische Einflüsse müssen verarbeitet und dem Eigenen angepasst werden.
Egon Günther, der am 31. August 90-jährig in Potsdam starb, wurde 1927 im erzgebirgischen Schneeberg geboren und gehörte zu einer Generation an, die mit 17 noch in den Krieg ziehen musste. Sein Hass gegen Untertanengeist, das Mitmarschieren, physische und psychische Gewalt wuchs hier. Dem 18-jährigen Arbeitersohn standen nach dem Krieg im Osten Deutschlands viele Wege offen. Er konnte Neulehrer werden, in Leipzig (unter anderem bei Hans Mayer und Ernst Bloch) studieren und veröffentlichte mit 28 seinen ersten Gedichtband und den ersten Roman.
Als Verlagslektor wechselte Günther 1958 in die DEFA-Dramaturgie, wo er als Dramaturg und Autor einige anspruchsvolle Filme zu verantworten hatte. Seine erste eigene Regiearbeit wurde „Lots Weib“ über die zerrüttete Ehe eines Offiziers der Volksmarine. Der Haken: Es war ein Genosse und Garant des Staates. Das sollte nicht sein. Wenige Monate später wäre der Film nach dem 11. Plenum von 1965 nicht mehr möglich gewesen. Von dieser als Verbotsplenum in die DDR-Geschichte eingegangenen SED-Funktionärsversammlung war Günther auch betroffen. Sein Film für Erwachsene und Kinder „Wenn du groß bist, lieber Adam“ zeigte Lügner, die in die Luft schwebten, wenn der kleine Adam sie mit seiner Taschenlampe anstrahlte. Der freche Film voller Anspielungen war dabei heiter und liebenswert, erinnerte in der Mischung aus Phantasie und moralischem Anspruch an die Kinderbücher Erich Kästners, im satirischen Witz an tschechische, in der Leichtigkeit an französische Komödien. Erst 1990 rekonstruierte Egon Günther mit Schnittmeisterin Monika Schindler die erhaltene Rohschnittfassung.
Zunächst arbeitete Egon Günther fürs DDR-Fernsehen, wo er für die Arnold-Zweig-Adaption „Junge Frau von 1914“ erstmals mit Jutta Hoffmann zusammenarbeitete. Bei der DEFA füllte er Johannes R. Bechers Roman „Abschied“ mit vielen satirischen Anspielungen an. Bei der Premiere verließen Walter und Lotte Ulbricht demonstrativ den Saal, und der Film wurde kaum noch eingesetzt.
Günthers vielleicht größter Kino-Erfolg bei Publikum wie Kritik war die Emanzipationsgeschichte „Der Dritte“ mit Jutta Hoffmann in der Hauptrolle. In der Weltbühne urteilte Peter Ahrens (alias Klaus Wischnewski) 1972: „Der Zuschauer wird nicht von der fiktiven Realität auf der Leinwand aufgesaugt, er wird aber auch nicht mit intellektueller Attitüde und stilistischen Spitzfindigkeiten auf Staune- und Denkedistanz gehalten.“ Die Hoffmann gewann einen Preis auf den Filmfestspielen von Venedig, sie und Günther wurden mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet. Doch schon der nächste gemeinsame Film „Die Schlüssel“ über die Selbstverständigung eines jungen Paares auf einer Reise nach Kraków stieß in seiner Ehrlichkeit an Grenzen. Er durfte nur in wenigen Kopien gezeigt werden und bekam sowohl Fernseh- als auch Auslandsverbot.
Fürderhin verlegte sich Egon Günther auf Literaturverfilmungen, für die er mit seinen großen Zweig-Adaptionen sein Händchen bewiesen hatte. Thomas Mann und Goethe kamen durch, aber als 1978 seine Gottfried-Keller-Verfilmung „Ursula“ wegen deftiger erotischer Szenen in Verruf geriet, suchte er um ein Dauervisum nach, um im Westen den Mehrteiler „Exil“ nach Lion Feuchtwanger drehen zu können, was ihm genehmigt wurde. Erst 1990/91 entstand mit „Stein“ (nach einer Vorlage seiner langjährigen Szenaristin Helga Schütz) noch einmal ein grandioser DEFA-Film um einen aus politischer Verletzung verstummten Schauspieler. Rolf Ludwig trägt den Film, hält den Stein zwischen Ironie und Altersweisheit, hintergründiger Dalberei und tiefer Verzweiflung. In ihm bündeln sich Ängste und Sehnsüchte einer Epoche. In Italien erhielt Rolf Ludwig dafür den Federico-Fellini-Preis, bei uns wurde nur wenig Notiz davon genommen.
Sein Credo hat Egon Günther, der Filmemacher und Schriftsteller, vor etwa 20 Jahren so formuliert: „Ich wollte den Zuschauer nie erziehen oder belehren. Aber ich wollte ihn dazu auffordern, nie seine Lage zu leugnen. Nicht im Leben, nicht in dieser politischen Grundstruktur oder in der privaten Sphäre. Ich wollte ihm sagen: Lass dir von mir zeigen, wie vielleicht zu leben sei. Vielleicht. Lass dich nicht irremachen.“
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