von Hannes Herbst
Die Rostocker Kunsthalle widmet dem an seinem 77. Geburtstag am 7. April 2004 überraschend und viel zu früh verstorbenen Wolfgang Mattheuer derzeit eine große Ausstellung mit 90 Werken – eine würdige Retrospektive aus Anlass seines 90. Geburtstages.
Und eine höchst interessante dazu, versammelt sie doch zahlreiche Gemälde, um die in der DDR kontroverse und leidenschaftliche Auseinandersetzungen geführt worden waren. Darunter sein großformatiges „Guten Tag“ für die Galerie im Palast der Republik, das, wie deren anderen 15 Werke, praktisch sonst nicht mehr öffentlich zu sehen ist, seit die Bilder in die „Obhut“ des Deutschen Historischen Museums übergeben wurden, und das keineswegs so plakativ-idyllisch daher kommt, wie der offizielle Begleittext von 1977 weismachen wollte: Gestaltet habe der Künstler „in einer Familienszene vor einer sonnenüberfluteten Stadtlandschaft einen Erlebnisbereich, in dem sich die Geborgenheit, die Sicherheit und das Glück unseres sozialistischen Lebens widerspiegelt“.
Der Rostocker Schau, das sei gleich zu Anfang festgehalten, gebührt das Prädikat „sollte man gesehen haben“ – nicht zuletzt, weil angesichts der hierzulande immer noch vorherrschenden Geringschätzung Mattheuers und praktisch der gesamten Leipziger Schule dazu so rasch nicht wieder Gelegenheit werden dürfte.
Wolfgang Mattheuer war ein kritischer Begleiter und Mitgestalter des antikapitalistischen gesellschaftlichen Versuches der DDR – bis 1974 als Hochschullehrer in Leipzig, dann als frei schaffender Künstler. Davon legen viele seiner Arbeiten Zeugnis ab, nicht nur das häufig benannte Gemälde „Die Ausgezeichnete“ von 1973/74, das trotz des Fehlens jedweden realsozialistisch-optimistischen Obertons auf der VIII. Kunstausstellung der DDR gezeigt und dort zusammen mit einem vergleichbaren weiteren Frauenbildnis, Heinz Sakulowskis „Portait nach Dienst“, heiß diskutiert wurde. Dass Mattheuer dabei nicht erst gegen Ende der DDR schwante, dass der gesamte Ansatz des Sozialismus auch scheitern und der Traum von der Freiheit des Individuums Utopie bleiben könnte, ist in etlichen seiner Werke evident. Auf seinem Gemälde „Hinter den 7 Bergen“ von 1973 etwa (in Rostock zu sehen) steigt hinter sieben eher Hügeln – aus einem unsichtbar hinter dem Horizont liegenden, dem Titel nach märchenhaften Ambiente – eine deutlich als Spätschwester der Delacroixschen Marianne auf den Barrikaden kenntliche Gestalt himmelwärts, die, barbusig zwar auch, aber in ihrer Linken statt eines Gewehrs ein Bouquet und in ihrer hoch gereckten Rechten keine Trikolore hält, sondern ein paar bunte Luftballons. Eine Fata Morgana. Und in der Bildkomposition findet sich als leicht erschließbares Puzzle das Heine-Wort „Eiapopeia“:
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.
Ob Mattheuer dabei neben dem niedergewalzten Prager Frühling implizit auch die Verheißungen aus westlicher Richtung als Illusion kennzeichnen wollte? Der frühere Kunstkritiker der FAZ, Eduard Beaucamp, geht augenscheinlich davon aus, denn für ihn steigt die Gestalt hinter dem „Siebengebirge“ empor. Nachzulesen im Katalog zur jetzigen Ausstellung.
Was Mattheuer auf westliche Verheißungen gab, machte er spätestens 1993 deutlich, als er das Sujet – nun unter dem Titel „Hinter den 7 x 7 Bergen“ (ebenfalls in Rostock zu sehen) – erneut aufgriff und ein Gemälde schuf, „das sich“, so Blättchen-Autor Klaus Hammer im Mai 2000 im Tagesspiegel, „wie ein bitter-elegischer Abgesang liest: Zwei Hochhäuser rahmen eine bis zur Meeresküste reichende und vom ‚Eia-po-peia‘ der Leuchtreklame überflutete Großstadtlandschaft ein, über der nun selbst drei lockende Freiheitsgöttinnen nicht mehr eine Spur von Zuversicht herbeizaubern können.“
Falsch und völlig überflüssig ist es allerdings, wenn Mattheuer (so auch mindestens in einem der recht museumspädagogischen Erklärtexte, die den Exponaten der Rostocker Ausstellung zahlreich beigegeben und keineswegs unhilfreich sind) zum „Widerstandskämpfer“ gegen das SED-Regime gehypt wird. Der Maler hat der SED in Form seiner Mitgliedschaft immerhin bis 1988 die Stange gehalten. Und sein aktives Engagement bei den 1989er Leipziger Montagsdemos allein rechtfertigt eine solche „Adelung“ ebenso wenig wie der Sachverhalt, dass er zu diesem Zeitpunkt keinen Pfifferling auf den Sozialismus als Gesellschaftsmodell mehr gab. Als er von Christa Wolf Ende 1989 dazu aufgefordert wurde, dem Appell „Für unser Land“ seine Unterschrift zu geben, lehnte er ab mit der Begründung, dass die Idee des Sozialismus durch 70 Jahre Herrschaft der KPdSU und 40 Jahre der SED auf Jahrzehnte hinaus diskreditiert wäre und die 16 Millionen Einwohner der DDR nicht scharf auf ein weiteres Experiment in dieser Richtung seien. Damit lag er im Wesentlichen richtig, wie sich bei den letzten Volkskammerwahlen im März 1990 zeigte, als die damalige PDS lediglich 1,9 Millionen Stimmen bekam.
Seine Antwort an Christa Wolf liest Mattheuer in einer Filmdokumentation aus dem Jahre 1991, die im Entrée zur Ausstellung in einer Endlosschleife läuft, in die Kamera. Mattheuer führt dies in seinem seinerzeitigen nachdrücklichen Bemühen an, die wiederholt und nicht nur im Westen verlautbarte Schmähung, er sei ein „Staatsmaler“ gewesen, zurückzuweisen. Unter anderem tat er dies, wie ebenfalls in der Dokumentation zu hören ist, mit dem Hinweis, dass er überhaupt nur ein einziges Gemälde in direktem staatlichen Auftrag geschaffen habe: jenes für den Palast der Republik. Doch auch dieses sei völlig ohne jegliche Vorgaben entstanden.
So menschlich verständlich sein damaliges Bemühen und so richtig sein Hinweis auch waren, so zugleich unsouverän wirkt sein Agieren. Malerkollegen wie Michelangelo, Leonardo und Raffael nicht weniger als Grünewald oder Holbein der Jüngere waren zeitweise oder lebenslang „Staatsmaler“, katholischen Klerus inbegriffen, und schufen so einen erheblichen Teil ihrer auf uns gekommenen Meisterwerke. Auch ein Wolfgang Mattheuer hätte es nicht nötig gehabt, (in der Filmdokumentation) darauf zu verweisen, dass er angelegentlich einer frühen Westreise nach Düsseldorf sehr viel eher dort hätte ankommen können, als es Baselitz je möglich gewesen wäre. Baselitz, dessen Werk die FAZ „eine große Nähe zur Finanz- und Wirtschaftselite“ attestierte, hatte sich im Übrigen durch seine pauschalen Verbalinjurien an die Adresse von DDR-Malern nach 1989 und sein dümmliches Verdikt, keiner „von denen hat je ein Bild gemalt“ schon hinreichend selbst diskreditiert.
Mattheuer, auch dies ist in der Filmdokumentation festgehalten, verstand sich als politischer Künstler und wollte – wie Käthe Kollwitz, auf die er ausdrücklich Bezug nimmt – „in seiner Zeit wirken“. Deshalb blieb er durchweg der gegenständlichen Malerei verpflichtet, denn anders, so Mattheuer, wäre eine solche Intention nicht zu verwirklichen gewesen.
Ob er sich am Ende seines Lebens als ein in seinem Bemühen Gescheiterter empfand, lässt sein letztes Großgemälde „Nichts Neues im neuen Jahrhundert“ (2002-04) befürchten. Darauf nochmals einige häufig von ihm verwendete Motive verlorener Hoffnungen und über dem Ganzen als Menetekel – eine schwarze Sonne. Oder präziser: ein schwarz abgedunkelter Sonnenkörper mit Strahlenkranz …
P.S.: Die letztgenannte Darstellung kann, wer mag, natürlich auch als totale Sonnenfinsternis deuten – und zwar nicht symbolisch, vulgo Unheil verheißend, sondern als völlig natürliches Phänomen, das sich hin und wieder ereignet, in jedem Fall aber höchst selten. Und das nie lange währt.
Wolfgang Mattheuer: Bilder als Botschaft, Kunsthalle Rostock; noch bis 17. September; weitere Informationen im Internet.
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