von Hermann-Peter Eberlein
Kurt Hiller und die Frauen – so lautete das Thema einer Tagung der Kurt-Hiller-Gesellschaft in Bremen 2016, deren Ergebnisse nun in einem Sammelband vorliegen. Das Thema ist ungewöhnlich und reizvoll, war doch der Weltbühne-Autor, Jurist und radikale Pazifist Hiller (1885–1972) ein Homosexueller, der aus seiner Neigung keinen Hehl machte. So werden in diesem Band Beziehungen beleuchtet, die gegensätzlicher und widersprüchlicher kaum sein können. „Sie reichen von einer engen Mutter-Sohn-Bindung über eine tragisch endende Zweckehe mit einer heterosexuellen Frau, über Sachkameradschaften mit sozialpolitisch oder künstlerisch engagierten, emanzipierten Frauen hin zu erbitterten Feindschaften, zu solchen, die Kurt Hiller persönlich oder mit politischen Absichten, nicht selten unredlich, öffentlich angriffen. Diese Beziehungsgeflechte decken damit Aspekte von Freundschaft, Zuneigung, Heroisierung sowie blanker Verachtung auf, ebenso von antifeministischen und sexistischen Verirrungen“ – so der Klappentext in prägnanter Kürze.
Wichtigste Bezugsperson für Hiller ist sicher seine Mutter, deren schönes Portrait von Vally Simonsohn aus dem Jahr 1924 im Band wiedergegeben ist. Ella Hiller geborene Singer (1862–1936) war die Nichte des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Paul Singer, gemeinsam mit Alwin Gerisch und August Bebel von 1890 bis zu seinem Tode 1911 Vorsitzender der SPD. „Nach dem frühen Tode meines Vaters“, so Kurt Hiller in seiner Autobiographie über die Mutter, „war sie fast völlig auf mich konzentriert und ich habe ihr viel zu verdanken. Sie war ungewöhnlich energisch – immer zu meinen Gunsten. Dabei war sie unsentimental, zwar voller Temperament, doch hysteriefrei und kühl; (nicht kalt).“ Die Beziehung zur Mutter ist freundschaftlich, entbehrt aber nicht einer nur tiefenpsychologisch zu erklärenden Ambivalenz.
Tragisch endet die kurze Ehe Kurt Hillers mit Lisa Gottheil, der geschiedenen Frau eines reichen Brüsseler Pelzhändlers, die er 1917 kennenlernt. Sie heiratet ihn, obwohl er sich ihr offenbart, gerade weil sie eine neue, asexuelle Art der Ehe ausprobieren will. Die knapp zwei gemeinsamen Jahre, die sie im Kampf für die Revolution 1918 als gute Kameraden verbinden, enden, als sich Lisa im Herbst 1919, wohl aus Geldsorgen, vergiftet.
Wolfgang Beutin und Reinhold Lütgemeier-Davin stellen in ihren umfangreichen Aufsätzen Mitstreiterinnen und vor allem Gegnerinnen wie Berta Döring-Selinger und Ulrike Meinhof, Gerda Weyl und Milly Zirker vor, während sich andere Autoren einzelnen Beziehungen Hillers widmen. Die zu Mechtilde Lichnowsky, jener hochadeligen Vertreterin der literarischen Moderne, die während ihres Hausarrests im Zweiten Weltkrieg eine wunderbare Stilkritik der Nazi-Sprache verfasste, verdient besonders erwähnt zu werden.
Im Anhang werden drei kurze Texte Hillers abgedruckt, in denen er sich mit dem Thema Frau auseinandersetzt: Damen von 1928, Die Frauen und die Uniform (1953) und Schlimmer als Pornographie (zuerst 1962 in der Zeitschrift konkret erschienen).
Das Buch ist reich bebildert, wobei die Bilder der genannten Frauen ebenso wichtig sind wie zwei Fotos, die Reinhold Lütgemeier-Davin in seinem kleinen Beitrag über die Lage der Berliner Wohnung von Ella Hiller zu Rate zieht. Auf die sechs Fotos freilich, die die Teilnehmer beziehungsweise Referenten der Tagung zeigen – auf dreien sieht man im Vordergrund noch die Plastikverpackung der Wasserflaschen – hätte man getrost verzichten können. Und noch ein Hinweis für künftige Autoren: die SPD als deutsche Arbeiterpartei zu bezeichnen (kleingeschrieben), ist zwar richtig, führt aber beim Googeln zur Deutschen Arbeiterpartei, der späteren NSDAP. Das kann – unbeabsichtigt – zu Verwirrung führen.
Reinhold Lütgemeier-Davin (Herausgeber): Kurt Hiller und die Frauen. Beiträge einer Tagung in der Villa Ichon, Bremen 2016, Bockel Verlag, Neumünster 2017, 160 Seiten, 14,80 Euro.
Schlagwörter: Bremen, Hermann-Peter Eberlein, Kurt Hiller, Kurt-Hiller-Gesellschaft, Weltbühne