von Thomas Behlert
In jungen Jahren, als ich in der DDR leben durfte, erlebte ich jedes Jahr den Warenaustausch meiner Eltern mit der Verwandtschaft im angrenzenden Land BRD. Meist erfolgte die Verschickung unbekannter Waren verstärkt zur Weihnachtszeit. Man deckte uns mit Kaffee, billiger Schokolade, abgelegten Jeans oder nicht passenden Strumpfhosen ein, wollte dafür gerne teure Bildbände, erzgebirgische Volkskunst, Lauschaer Glas oder eben Klassik-Schallpatten vom Schallplattenverlag Eterna. Nun wird das Label Eterna, wie auch die poppige Schwester Amiga, 70 Jahre alt. Zunächst gründete der Sänger, Kommunist und Kämpfer gegen den Faschismus Ernst Busch 1947 die „Lied der Zeit“ Schallplatten Gesellschaft. Sechs Jahre später wurde alles in Staatseigentum überführt und das Label VEB Deutsche Schallplatten Berlin entstand.
Lange Zeit konnte die Plattenfirma aus Berlin mit den westlichen Firmen nicht mithalten, da dort die besten Orchester und Solisten der Welt verpflichtet wurden. Die Orchester der DDR waren davon weit entfernt, wobei die Teilung Berlins dazu beitrug, dass die Ostberliner Klangkörper immer wieder mit Mitarbeiterschwund kämpfen mussten. Dagegen überstand die Dresdner Staatskapelle den Zweiten Weltkrieg und die Gründungsjahre fast unbeschadet. Die Sachsen entwickelten sich zu einem der führenden Schallplattenorchester, die von 1954 bis 1989 von Eterna zu 240 zum Teil sehr bedeutenden Produktionen und Koproduktionen verpflichtet wurden. Auch das Leipziger Gewandhausorchester stabilisierte sich und reifte zum Spitzenorchester, wozu Kurt Masur in den späteren Jahren einen großen Beitrag leistete.
Manchmal erkennt man beim hören, dass in den vierzig Jahren der DDR nicht immer Aufnahmen entstanden, die international für Furore sorgten. Doch durch die Abschottung der Orchester der DDR behielten sie ihren „besonderen mitteldeutschen soliden und warmen Streicherklang“, der noch heute bei Musikfreunden geschätzt wird und teilweise auf den Wiederveröffentlichungen durch die Firma Berlin Classics/Edel erlebbar ist. Nicht vergessen darf man die Thomaner aus Leipzig und den Dresdner Kreuzchor, die ein großes Repertoire auf Schallplatte brachten und als begehrte Exportartikel galten. Da es in den 1950er und 1960er Jahren nur wenige hervorragende Orchester und Solisten in der DDR gab, wurde mit bedeutenden internationalen Künstlern zusammen gearbeitet. So gab es Konzerte und Eterna-Aufnahmen mit unter anderem David und Igor Oistrach, Vladimir Ashkenazy und dem russischen Meistercellisten Daniel Shafran. Ab Mitte der 1960er Jahre besaßen immer mehr Musiker und Solisten aus der DDR Potential, da sie an den besten Musikschulen eine Ausbildung genossen. Sie wurden für zentrale Aufgaben heran gezogen, wie der Pianist Dieter Zechlin, Peter Rösel, Annerose Schmidt, Peter Schreier, der Violinist Karl Suske und später vor allem der Trompeter Ludwig Güttler. Führende Kammermusikvereinigungen der DDR und zahlreiche Spezialensemble für Alte und Neue Musik entstanden im Umfeld der großen DDR-Sinfonieorchester.
Viele der Eterna-Aufnahmen sind bis heute unter den Klassikliebhabern der ganzen Welt gefragt.
Da die Forderung durch die DDR-Staatsführung bestand, dass Eterna-Aufnahmen international bestehen sollen, kam es zu Co-Produktionen mit Musikern aus dem eigentlich verpönten kapitalistischen Weltsystem. Großproduktionen mit EMI, Philips und der Deutschen Grammophon, unter anderem eingespielt von Herbert von Karajan, Peter Schreier, Karl Böhm und Rudolf Kempe, wurden international berühmt. Die „West-Firmen“ bekamen außerdem Zugang zu Künstlern und Orchestern aus den RGW-Ländern und zu deren Kunsttempeln. Die Tonmeister und Produzenten der DDR vervollkommneten ihr Talent und ihre Kunstsinnigkeit, bedienten die immer besser wertende Technik und hatten einen großen Anteil daran, dass sich einige Klassikeinspielungen zu richtigen Kassenschlagern entwickelten. Uneinholbar ist dabei die Schallplatte „Peter Schreier singt Weihnachtslieder“, von der 1,4 Millionen Exemplare verkauft wurden. Ebenfalls gab es eine große Nachfrage nach den Sinfonien von Schubert, Mendelssohn, den Bach-Chorwerken und allen Aufnahmen mit Ludwig Güttler. Ein ganz besonderes Highlight ist die Beethoven-Gesamtaufnahme, die von 1969 bis 1977 erschien und insgesamt 113 LPs umfasst und dem DDR-Label einen Überschuss von mehreren Millionen Mark bescherte. Obwohl die Eterna-Langspielplatten über viele Jahre einen unveränderlichen Preis von 12,10 Mark hatten, konnte im Zeitraum 1953 bis 1989 der VEB Deutsche Schallplatten nach Abzug aller Investitionen einen kumulierten Nettogewinn von über 1,5 Milliarden Mark und hohe Valutaeinnahmen an den Staatshaushalt der DDR abführen.
Nach der Wende wickelte die Treuhand Eterna ab und verkaufte das Material an das Label Edel. Welch Glücksfall, denn hier widmet man sich nun seit vielen Jahren dem Klassikarchiv und konnte schon über tausend Wiederveröffentlichungen auf den Weg bringen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung des kulturellen Erbes.
Zum Jubiläum gibt es neben den Klassikern Beethoven, Mozart, Bach auch Mahler, Wagner, Orff, Brahms, Schubert, Strauss, Weber, Schumann und vor allem Aufnahmen von Hanns Eisler und anderen DDR-Komponisten, die teilweise zum ersten Mal auf CD erscheinen. Ganz besonders darf sich der Klassikfreund über den Tonträger „Kalifornische Ballade“ von Hanns Eisler freuen. Dieser enthält wenig bekannte Songs und Balladen, die erstmals auf CD erscheinen und von Ernst Busch und Gisela Mey eingesungen wurden. Weiterhin erhält die aufwendig produzierte Serie „Established 1947“, bei der Eterna-Aufnahmen von Originalbändern neu gemastert wurden, eine Fortsetzung.
Da die einzelnen CDs, die Editionen und Sammlungen, die das 70-jährige Jubiläum bereit hält, kleine Preise haben, dürften viele neue Klassikliebhaber hinzu kommen. Was verdammt gut ist.
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