20. Jahrgang | Nummer 13 | 19. Juni 2017

Gerhard Schaumann zum 90. Geburtstag

von Ulrich Kaufmann

Vor einem Jahrzehnt wurde der Jenaer Literatur- und Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Gerhard Schaumann Ehrenbürger seiner Gemeinde Tautenburg. Dies wurde er, weil er seit dem gesellschaftlichen Umbruch wie kein anderer die Geschichte und Kultur dieses Ortes – in dem er seit 1989 wohnt – erforscht und mitgestaltet hat. Seine Bemühungen mündeten 1998 in dem Buch „Tautenburg bei Jena – Kulturgeschichte einer thüringischen Sommerfrische“, das eine Zweitauflage erfuhr. Der Autor tauchte tief in die Geschichte ein und blickte zunächst auf das Adelsgeschlecht der Schenken zu Tautenburg (13. Jahrhundert) zurück. Nicht zuletzt interessierte den Wissenschaftler, für welche Künstler und Gelehrte „sein“ Ort wichtig war. Dass Friedrich Nietzsche dort zur Erholung weilte und Ricarda Huch ebendort die letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges verbrachte, ist bekannt. Bei Schaumann wird man darüber hinaus bestens unterrichtet, auf welche Weise der Jenaer Verleger Eugen Diederichs, der expressionistische Dichter Rainhard Johannes Sorge, die Schriftsteller Joachim Ringelnatz und James Krüss sowie der Komponist Max Reger und andere mit Tautenburg in Verbindung kamen.
Im thüringischen Lobenstein wurde Gerhard Schaumann 1927 als Kind einer Arbeiterfamilie geboren. In sehr jungen Jahren musste er in Schlesien noch in den Krieg. Für einige Tage geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Eine Ärztin sorgte dafür, dass der Achtzehnjährige nicht nach Sibirien, sondern nach Hause kam.
Die ersten russischen Worte hörte der spätere Slawist, als er im Herbst 1945 bei der Ernte half. Lehrer wollte er werden und Neulehrer mit russischen Sprachkenntnissen waren rar. Nach einigen Lehrgängen bildete er bald selbst Pädagogen aus und kam über die Pädagogische Hochschule der Messestadt an die Leipziger Universität. Wer wie Schaumann, über Wladimir Majakowski promovierte (1963) und zuvor in Leipzig die Freigeister Ernst Bloch und Hans Mayer zu Lehrern haben durfte, dem wurde das Leben in den stalinistischen Strukturen der DDR nicht leicht gemacht.
Jahrzehnte später galt Gerhard Schaumann, seit 1960 in Jena wirkend, als einer der namhaftesten slawistischen Literaturwissenschaftler der DDR. Er ist ein ausgewiesener Spezialist für die russische Literatur und das Theaterschaffen im 19. und 20. Jahrhundert. An der opulenten zweibändigen „Geschichte der russischen Sowjetliteratur“ wirkte er als Autor und Herausgeber maßgeblich mit. Einen Namen machte sich Professor Schaumann ebenso durch Editionen, die meist bei Reclam beziehungsweise im Leipziger Insel Verlag erschienen: Er gab Werke von Iwan Bunin, Alexander Kuprin, Wladimir Majakowski, Ilja Ilfs / Jewgeni Petrow, Jewgeni Schwarz, Wladimir Solouchin und andere heraus. Über seine Emeritierung hinaus leitete er bis 1993 in Jena das Slawistische Institut.
Es dürfte kein Zufall sein, dass gerade der humorvolle Gelehrte Gerhard Schaumann 1995 mit großem Spaß „Die klassischen Kathederblüten“ des Gothaer Gymnasialprofessors Johan Georg August Galletti (1750–1828) in einem reich illustrierten, in Leinen gebundenen Bändchen der „Edition Palmbaum“ herausbrachte.
Menschen, die mit Gerhard Schaumann zusammenkommen, schätzen seine Freundlichkeit, die Fähigkeit zuzuhören, seine Solidarität in schwierigen Situationen und nicht zuletzt seine Bescheidenheit. Reden kann man mit Schaumann über alles, über Literatur und Theater sowieso, über Politik, Bildende Kunst, Musik, über Fußball und andere wichtige Themen. Immer wieder interessieren den Hochschullehrer im Unruhestand die vielfältigen Probleme und Freuden nachwachsender Generationen.
Auch in fortgeschrittenem Alter besucht der Wissensdurstige Ausstellungseröffnungen, Vorträge und Dichterlesungen. Mit über 80 begann er Italienisch zu lernen, auch weil ihn „Palmbaum-Reisen“ mehrfach in dieses zauberhafte Land führten.
Kürzlich feierten die Familie, Freunde und Kollegen mit Gerhard Schaumann seinen 90. Geburtstag. Wo? In der „Sommerfrische“ Tautenburg!