von Kai Ehlers
„De mortuis nihil nisi bene“ – über Verstorbene nur Gutes! Diese Regel aus der Zeit des römischen Imperiums mag auch für Zbigniew Brzezinski gelten, der jetzt nach lebenslangem Einsatz für die amerikanische „supremacy“ im Alter von 89 Jahren verstarb. Möge er den Frieden finden, den er sein Leben lang nicht finden konnte – der Nachwelt bleibt überlassen, sich mit den keineswegs friedlichen Wirkungen seines Erbes auseinanderzusetzen.
Die Pax Americana war Brzezinskis Obsession, Russland, davor die Sowjetunion sein lebenslanger Gegner, der diese Friedensordnung gefährdet. Dem sei nur zu begegnen, so Brzezinskis Botschaft im bekanntesten seiner Bücher („Die einzige Weltmacht“), wenn die USA in die Lage kämen, Eurasien zu beherrschen, also Russland daran zu hindern, wieder zur Weltmacht aufzusteigen.
In dieser Sicht folgte Brzezinski den „Herzland“-Schlussfolgerungen, die die Geopolitiker Halford Mackinder und Nicholas J. Sykmans als Essenz aus den Erfahrungen des britischen Commonwealth gezogen hatten: Nur wer das „Herzland“ beherrsche, könne die Welt beherrschen.
Schon vor der Veröffentlichung des Titels „Einzige Weltmacht“, das der Welt den US-amerikanischen Herrschaftsanspruch schamlos offenlegte, noch als Sicherheitsberater unter Jimmy Carter 1976, arbeitete Brzezinski systematisch auf eine Schwächung der Sowjetunion hin. Erwähnt seien nur ein paar herausragende Stationen.
So sein Werben um China. Dabei ging es ihm nicht darum, China – wie sein Gegenspieler Henry Kissinger vorschlug – in ein globales Dreierbündnis USA-Sowjetunion-China zur Sicherung der globalen Stabilität einzubinden. Ihm ging es darum, die Sowjetunion zu isolieren und zu schwächen.
Immer wieder notwendig zu zitieren, weil charakteristisch für sein Verständnis von Politik, ist die unverhohlene Genugtuung, die Brzezinski äußerte, als Präsident Carter 1979 seinem Rat folgte, die afghanischen Mudschaheddin in einer verdeckten CIA-Aktion gegen die sowjetische Invasion aufzubauen. „Diese verdeckte Operation war eine hervorragende Idee“, brüstete er sich im Januar 1998 unverhohlen den Redakteuren von Le Nouvel Observateur gegenüber. „Sie bewirkte, dass die Russen in die afghanische Falle tappten […]. Am Tag, an dem die Russen offiziell die Grenze überschritten, schrieb ich Präsident Carter: Jetzt haben wir die Möglichkeit, der UdSSR ihren Vietnamkrieg zu liefern. Und tatsächlich sah sich Moskau während der folgenden zehn Jahre gezwungen, einen Krieg zu führen, den sich die Regierung nicht leisten konnte, was wiederum die Demoralisierung und schließlich den Zusammenbruch des sowjetischen Herrschaftsgebiets zur Folge hatte.“
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sah Brzezinski die Zeit gekommen, die Vorstellungen von einer Welt unter der Herrschaft einer „einzigen Weltmacht“ zu verwirklichen. Jetzt müsse die amerikanische Politik die Verantwortung übernehmen, die ihr zugefallen sei, indem sie verhindere, dass Russland sich jemals wieder zu einem Imperium entwickeln könne. Ihm schwebte eine Dreiteilung des russischen Raumes in einen europäischen, einen mittelrussischen und einen fernöstlichen Teil vor, eingefasst von Europa im Westen, Japan im Osten, der Türkei im Süden, die er ungeschminkt „Vasallen“ der USA nannte. Insbesondere müsse die Ukraine aus dem russischen Einflussbereich gezogen werden.
Im Übrigen müsse die Politik der USA weltweit dafür sorgen, dass sich kein neuer Rivale entwickelt. Nur so könnten ein globales Chaos verhindert und die Entwicklung einer demokratischen Weltordnung möglich werden. Das war die Aufgabenbeschreibung für die USA als Weltpolizist. Grundlage dafür sah Brzezinski im „American way of life“ als der in seinen Augen gegenwärtig höchsten Zivilisationsstufe.
Bekanntlich liefen die Dinge nicht ganz so, wie Brzezinski gehofft hatte. Andere Kräfte als die von ihm favorisierten, bestimmten die USA-Politik nach seinem Ausscheiden aus Carters Diensten. Nicht einverstanden war er mit dem Golfkrieg 1990, mit dem von George W. Bush vom Zaun gebrochenen Krieg gegen den Terrorismus nach 2001, mit der Invasion in Irak 2003. Nicht einverstanden war er mit der Politik gegen Iran wie auch mit der Destabilisierung Syriens unter Barack Obama. Er war der Ansicht, dass mit diesen Aktivitäten, die der Strategie des „new American century“ der Neokonservativen folgten, Ansehen in der Welt verspielt werde.
Auseinandersetzen musste sich Brzezinski nach 9/11 andererseits mit Kritikern, die ihm vorhielten, er habe durch Unterstützung der afghanischen Mudschaheddin den islamistischen Terror in die Welt gerufen. Das ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die USA – seinem Rat folgend – Osama bin Laden und die Seinen mit Waffen und Logistik in Afghanistan ausrüsteten.
Entsprechend den katastrophalen Ergebnissen der USA-Politik fielen die Bücher, mit denen Brzezinski später auf die Politik einzuwirken versuchte, sehr viel weniger euphorisch aus.
In „Second Chance“ legte er 2006 eine vernichtende Bilanz zur Amtszeit der drei Präsidenten vor, die dem sowjetischen Zusammenbruch gefolgt waren: Der ältere George Bush habe es nicht verstanden, mit dem Pfund zu wuchern, das ihm durch den Zerfall der UdSSR zugefallen sei, sein Nachfolger Bill Clinton habe die amerikanischen Möglichkeiten überschätzt, der jüngere George W. Bush habe das Ansehen, dass die USA als einzige verbliebene Supermacht und erstes globales normsetzendes Imperium gewonnen hätten, und die Ressourcen des Landes auf kriminelle Weise verspielt. Zudem sei die Sozial- und Bildungspolitik auf ein Niveau gefallen, auf dem mit der eigenen Bevölkerung keine Weltpolitik zu machen sei. Nur wenn diese Fehler erkannt würden, warnte Brzezinski, könne es für den Erhalt der Weltmacht eine zweite Chance geben.
Das nächste und letzte Buch Brzezinskis, 2012 vorgelegt, befasst sich unter dem Titel „Strategic Vision: America and the Crisis of Global Power“ schon nur noch mit den Frage, was aus dem Niedergang der amerikanischen Dominanz vor dem Hintergrund aufkommender neuer Mächte und dem allgemeinen „Erwachen der Völker“ folgen könnte. „In der Tat“, warnt Brzezinski im Geleitwort gar, „es gibt da mehrere alarmierende Ähnlichkeiten zwischen der Sowjetunion in den Jahren direkt vor ihrem Zusammenbruch und dem Amerika im frühen 21 Jahrhundert.“ Das war nicht nur ein Abgesang auf die Allein-, sondern überhaupt auf die Vorherrschaft der USA.
Nichtsdestoweniger zieht sich auch durch diesen letzten strategischen Beitrag sowie durch die letzten Auftritte Brzezinskis der antirussische Faden – aggressiver als je zuvor, bis hin zu offenem Eintreten für den aktiven Regimechange in der Ukraine auf der „Sicherheitskonferenz“ 2014, die den „revolutionären“ Ereignissen auf dem Kiewer Maidan voranging. Auf dieser Konferenz war Brzezinski noch einmal einer der Stichwortgeber.
Die Intervention folgte nahezu drehbuchartig seinen Vorgaben – lief dann allerdings, wie andere US-Interventionen zuvor, aus dem Ruder. Zwar fand sich Brzezinski nicht zu dumm, Wladimir Putin wegen dessen Aufnahme des Krim-Referendums und seiner Unterstützung der Autonomiebestrebungen im Osten der Ukraine einen neuen Hitler zu nennen, forderte auch die Ausrüstung der Ukraine mit NATO-Waffen – sprach sich aber gegen eine Mitgliedschaft Kiews in NATO und EU aus.
Das Ergebnis der Intervention in der Ukraine entspricht bis heute nicht dem, was Brzezinski sich von ihr erhofft hatte, nämlich ein attraktives Zeichen zu setzen, das auch die russische Bevölkerung dazu anreizen sollte, sich ihres „Diktators“ zu entledigen und der „entwickelteren“ Kultur des Westens zuzuwenden und so den „Herzraum“ Eurasiens für den Westen, konkret die USA zu öffnen.
Originalton Brzezinski: „Eine Ukraine, die Russland nicht feindlich gegenübersteht, aber ihm in ihrem Zugang zum Westen etwas voraus ist, ist eine tatsächliche Ermutigung für Russland, sich nach Westen in Richtung einer möglichen lohnenden europäischen Zukunft zu bewegen.“
Das Gegenteil ist geschehen. Die Ukraine wurde für die russische Bevölkerung zum abschreckenden Beispiel, wohin Westbindung führen kann. Statt „lohnender“ Annäherung an den Westen, wurden die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union nachhaltig beschädigt, schart sich die russische Bevölkerung um Wladimir Putin, ungeachtet innenpolitischer Kritiken, als dem Garanten ihrer Stabilität und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten. Ein Präsident Donald Trump zudem, statt die Attraktivität des „american way of life“ in der Welt zu erneuern, trägt mit jeder seiner Aktivitäten weiter zur Misskreditierung des amerikanischen Traums bei, so dass an eine Eroberung des „Herzlandes“ auf friedlichem, zumindest nicht-militärischen Wege weniger zu denken ist als je zuvor.
Ob die Hardliner in den USA sich damit zufrieden geben werden, ist eine Frage, die nunmehr über Brzezinski hinausgeht.
Schlagwörter: Kai Ehlers, USA, Weltmachtanspruch, Zbigniew Brzezinski