von Manfred Orlick
Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg kann auf eine über 500jährige Geschichte mit vielen Höhen und Tiefen zurückblicken; damit ist sie eine der ältesten und ehrwürdigsten Universitäten in Deutschland. Dabei ist die heutige Martin-Luther-Universität aus zwei Universitäten entstanden. Diese Besonderheit in der deutschen Universitätsgeschichte findet noch heute ihren symbolischen Ausdruck im Doppelsiegel der Universität mit den Signets aus Halle und Wittenberg. Doch wie kam es dazu?
1502 wurde in Wittenberg die „Leucorea“ nach der Leipziger Teilung durch Kurfürst Friedrich III. von Sachsen (genannt der Weise) gegründet. Sie entwickelte sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts zu einem intellektuellen Zentrum der Reformation mit europaweiter Ausstrahlung. Hier lehrten unter anderem Martin Luther und Philipp Melanchthon. Die „Leucorea“ war zwischen 1530 und 1620 die meistbesuchte deutsche Universität. Außerdem entwickelte sich Wittenberg durch die Universität und die Reformation zum wichtigsten Verlagsort in Deutschland. Berühmtheiten wie Gotthold Ephraim Lessing oder der dänische Astronom Tycho Brahe studierten hier – und William Shakespeare ließ seinen Dänenprinz Hamlet von Wittenberg nach Hause zurückkehren.
Knapp zwei Jahrhunderte später, 1694, wurde in Halle durch Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg die kurbrandenburgische Landesuniversität „Fridericiana“ gegründet. Sie ging aus einer zuvor (1680) errichteten Ritterakademie und weiteren Bildungseinrichtungen hervor. Durch das Wirken des Juristen Christian Thomasius und des Philosophen Christian Wolff hat die Aufklärung in Deutschland von hier aus ihren Ausgang genommen. Der Theologe August Herrmann Franke begründete mit seinen Franckeschen Stiftungen außerdem Halles Ruf als Schulstadt und Zentrum des lutherischen Pietismus. Damit wurde Halle zur ersten „Reformuniversität“ in Deutschland, was sie im 18. Jahrhundert zu einer der gefragtesten akademischen Einrichtungen machte. So war Halle neben Göttingen die meistbesuchte Universität in Deutschland im 18. Jahrhundert. In dieser Zeit lehrten in Halle solche Gelehrte wie der Altertumswissenschaftler Friedrich August Wolf, der Philosoph Henrik Steffens, der Mediziner Johann Christian Reil oder der Theologe Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher.
Diese glanzvolle Epoche ging mit den Napoleonischen Kriegen zu Ende. Nach der Niederlage der Preußen gegen die Franzosen in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt am 24. Oktober 1806 fiel Halle an das Königreich Westphalen und die Universität wurde geschlossen. Den hallischen Professoren wurde von französischer Seite vorgeworfen, „dass sie statt ruhiger Fortsetzung ihrer pflichtgemäßen Tätigkeit sich an die Abfassung von Schriften gestattet hätten, welche den Zweck verfolgten, ihre Zöglinge zum Aufstand gegen die Franzosen zu erregen.“ Das Hauptgebäude der Universität, die Ratswaage auf dem Marktplatz, wurde zum Lazarett der Besatzungsmacht umfunktioniert und die Universität als westphälische Landeshochschule weitergeführt.
Zwei Jahre später konnte die Universität zwar wieder eröffnet werden – Jerome Bonaparte, Napoleons jüngster Bruder und König des Königreichs Westphalen, hatte dem Drängen von August Hermann Niemeyer (Kanzler und Rector perpetuus der Universität) nachgegeben. Im Zuge der französischen Belagerung der Stadt Halle 1813 kam es aber zu einer erneuten Schließung. In diesen unruhigen Zeiten waren allerdings inzwischen einige namhafte Gelehrte dem Ruf an die 1809 neu gegründete Universität in Berlin gefolgt. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig und Napoleons Niederlage fiel Halle schließlich wieder unter preußische Verwaltung. Die hallischen Professoren drängten umgehend den preußischen König Friedrich Wilhelm III., die Wiedereröffnung der hallischen Universität zu erlauben und so konnte am 3. Januar 1814 der Lehrbetrieb wieder aufgenommen werden.
Anders in Wittenberg. Noch am 5. Dezember 1814 kam es zur Schließung der Wittenberger Universität durch Napoleon. Im Ergebnis des Wiener Kongresses fielen die sächsischen Gebiete um Wittenberg jedoch an Preußen, das aber kein Interesse an zwei Universitäten in unmittelbarer Nachbarschaft hatte. Man brauchte neben Berlin, Breslau und Halle keine weitere preußische Universität. Daher entschied der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. am 12. April 1817 in einem entsprechenden Erlass, die Wittenberger Universität zu schließen. Am 21. Juni 1817 kam es dann zur Bildung der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg. Daraufhin wechselten von den 21 Wittenberger Professoren sieben von der Elbe an die Saale. Erster Rektor der vereinigten Universität war dann auch ein Wittenberger: Johann Gottfried Gruber, Professor der historischen Hilfswissenschaften. Wittenberg war aber nicht die einzige Universitätsschließung – Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts hatte ein regelrechtes „Universitätssterben“ (unter anderem Mainz, Köln, Erfurt, Frankfurt/Oder, Fulda und Paderborn) eingesetzt. Immerhin erhielt die alte Wittenberger Universität durch die Einrichtung eines lutherischen Predigerseminars eine neue Bestimmung, das zum Reformationsfest 1817 in Gegenwart des Königs feierlich eröffnet wurde.
Im 19. Jahrhundert lehrten an der halleschen Universität bedeutende Wissenschaftler und Geistesgrößen (unter anderem der Agrarwissenschaftler Julius Kühn, der Chirurg Richard von Volkmann, der Psychologe Julius Bernstein und der Mathematiker Georg Cantor), was zu zahlreichen Fakultäts- und Institutsgründungen führte und die hallesche Universität zu einer bedeutenden naturwissenschaftlich-medizinischen Forschungsstätte machte. Außerdem verlegte 1878 die älteste naturwissenschaftliche Akademie der Welt, die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina (gegründet 1652), ihren ständigen Sitz nach Halle.
Anlässlich des 450. Geburtstages des Reformators 1933 gab sich die hallesche Universität in Erinnerung an ihre Wittenberger Wurzeln den Namen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Nachdem vor 23 Jahren das 300jährige Gründungsjubiläum des halleschen Universitätszweiges gefeiert worden war, beging man 2002 die Feierlichkeiten zum 500jährigen Jubiläum der Universitätsgründung in der Lutherstadt Wittenberg.
2017 nun also 200 Jahre Vereinigung der Universitäten Halle und Wittenberg. Seit dem 12. April (bis 9. Juli im Löwengebäude) informiert die Ausstellung „Die combinierte Akademie“ über die Geschichte und Vereinigung der beiden Universitäten. Im Juni ist gleich eine ganze Festwoche vom 18. bis 23. Juni dem Jubiläum gewidmet – mit Festakt, Konzerten, Studierendenpartys und wissenschaftlichen Veranstaltungen.
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