von Ulrich Kaufmann
Als Johann Heinrich Wilhelm Treunert am 27. Januar 1797 in Jena das Licht der Welt erblickte, stand sein Leben unter keinem günstigen Stern. Treunert war das uneheliche Kind eines unbekannten Studenten und einer unbemittelten Studentenaufwärterin. Schon als Junge erfuhr er bittere Armut. Oft fühlte er sich verlassen. Sein bester Freund soll ein zahmer Hamster gewesen sein, den er 1806 in einem Topf nach Ziegenhain, unterhalb des Fuchsturms, mitnahm, um ihn vor den marodierenden französischen Truppen zu verstecken. Erst die Ehe der Mutter mit dem Buchdruckereibesitzer Joch verbesserte die Lage und ermöglichte dem Zehnjährigen eine Ausbildung. Später bekam der interessierte und aufgeweckte Knabe die Möglichkeit, sich an einer Privatschule auch literarisch zu bilden und bald selbst Verse zu versuchen. In der Werkstatt des Stiefvaters nahm er schließlich eine Lehre als Buchdrucker auf.
Im Jahre 1815, als der geschlagene Franzosenkaiser von der Insel Elba floh, meldete sich der achtzehnjährige Treunert freiwillig. Er nahm im Weimarer Kontingent am Feldzug gegen Napoleon teil, wofür er vom Großherzog Carl August eine Verdienstmedaille erhielt. Diese trug er ein Leben lang.
Nach dem Schlachtenruhm kehrte er in die kümmerlichen Verhältnisse seiner Heimatstadt zurück und setzte die Ausbildung zum Schriftsetzer fort. Von den Gelegenheitsversen zu Neujahr, zu Geburtstagen der Stadtväter, von Tisch-und Trinkliedern und anderen Lobgesängen konnte er kaum leben. Besonders überzeugend soll er in einer Laieninszenierung von August Kotzebues Stück „Der arme Poet“ gewesen sein. Die Titelrolle war ihm wie auf den Leib geschrieben.
Treunert, eine echte Poetennatur, lebte meist allein. Um dessen ständige Geldnöte abzuwenden, verschaffte ihm der Verleger Friedrich Johannes Frommann 1845 die freigewordene Stelle des Ratswachtmeisters. Nunmehr war er so etwas wie ein Polizeidiener. Zu seinen Pflichten gehörte es, in den Gaststätten den Feierabend auszurufen. Seine Arbeit als Marktmeister bot ihm andererseits Gelegenheit, einige seiner billig gedruckten Lyrikhefte zum Kauf anzubieten. Schon schwer krank, quittierte der Heimatdichter 1859 diesen Dienst.
Das lyrische Werk des heute fast vergessenen Dichters ist zerstreut veröffentlicht worden, vieles in den Jenaer Wochenblättern und den Blättern an der Saale. Die „lyrische Ernte“, gewissermaßen Treunerts Hauptwerk, kam zwischen 1836 und 1862 in Jena heraus. Diesem dreiteiligen Werk gab der Dichter den biedermeierisch daherkommenden Titel „Mein Gärtchen an der Saale“. Auf acht Seiten des Eröffnungsbandes werden die Subskribenten genannt. Muss man mehr über die materielle Situation des Jenaer „Gelegenheitsdichters“ sagen? Der dritte Teil erschien postum.
Seinen Fluss, die Saale, hat Teunert mehrfach besungen – in der genannten Trilogie gleich sechsmal, darunter in dem neunstrophigen Erzählgedicht „Die Saalnixe“ von 1845:
Die Saalnixe
Es ziehen die Fluthen so still und so klar
Hin über die bläuliche Tiefe,
Als deckten ein Wesen sie wunderbar,
Das träumend da unten schliefe.
Bist du es, liebliche Wassermaid,
Du freundliche Nixe der Saale?
Erwache! Dich ruft ja die Maienzeit
Zum nächtlichen Tanze im Tale!
Es hüpft auf den Wellen der Mondenschein,
Als wollt‘ er zum Feste dich locken;
Es nicken die Gräser, es läuten zum Reih‘n
Maiblümchen mit silbernen Glocken.
Und Alles ist einsam. Ein einziger steht
Am Ufer, die Wellen zu fragen,
Wo weilen du mögest; es ist ein Poet,
Er kennt dich aus alternden Sagen.
Was sinniger Glaube des Volkes gebar,
Ihm duftet es freudig als Blüthe
Verklungener Zeiten, ihm bleibet es wahr,
Er trägt es im stillen Gemüthe.
Wie horchet so gerne der Sage das Herz
Vom lieblichen Mädchen der Fluthen,
Das Liebe gefühlt und geduldet den Schmerz
Im Wasser nicht löschender Gluthen!
Oft sah ich gebreitet dein buntes Gewand,
Wo leiser die Wellen dort fließen;
Doch freilich die Leute von klarem Verstand,
Die sahen nur blumige Wiesen.
Ich sah deine Schleier im dämmernden Licht
Des nahenden Morgenroths wehen,
Ob Andre auch immer mit scharfem Gesicht
Nur wallende Nebel gesehen.
Sie sagen, du wärest ein Traumbild, so leer,
Aus Zeiten barbarisch und finster,
Und ach ! Es glaubt Niemand dich Liebliche mehr,
Als ich und der Saalfischer Münster!
Der letzte Vers in Strophe vier („Er kennt dich (die Saalnixe – U.K.) aus alternden Sagen.“ enthüllt, dass Treunert hier auf neue Weise einen alten Sagenstoff aufgegriffen hat. In Prosavariationen, etwa bei Goethes Schwager Christian August Vulpius oder bei Ludwig Bechstein in dessen „Deutschen Sagenbuch“ von 1853 wird dieser Stoff weitaus drastischer geschildert. Bei letzterem ist davon die Rede, dass „jedes Jahr ein Menschenleben als Opfer“ gefordert wird.
Nun, in friedlicheren Zeiten, konnte Treunert in seinem Gegentext die Saalnixe, die nichts Böses mehr im Schilde zu führen schien, in einem „bunten Gewande“ bewundern. In den Schlussstrophen artikuliert sich e ein lyrisches Ich. Es betont, dass „Leute mit klarem Verstand“ am Saaleufer lediglich „wallende Nebel“ oder „blumige Wiesen“ sähen. Nur sensible, phantasiebegabte Menschen („Als ich und der Saalfischer Münster!“) seien in der Lage, die Saalnixe wahrzunehmen.
Wilhelm Treunert starb am 1. Juli 1860 in seiner Heimatstadt. Bei aller zeitgenössischen Hochschätzung, nicht zuletzt am „Musensitz Jena“, war er keine Erscheinung von nationaler literaturgeschichtlicher Bedeutung. In Jena aber hat man ihn geliebt und geschätzt. Die Stadt, seine „Gönner und Freunde“, würdigten ihren Sohn superlativisch mit folgendem Epitaph, den man gleich eingangs auf dem Johannisfriedhof nachlesen kann: „Jenas edelster Sohn / Dess goldnem Munde entströmte / Treu im Frieden und Krieg / Manches unsterbliche Lied.“
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