20. Jahrgang | Nummer 11 | 22. Mai 2017

München in neuem Licht

von Jürgen Brauerhoch

„München ist eine Theaterkulisse auf den Schultern von sechs DAX-Konzernen. Die Schleuser hierher nennen sich Headhunter. Sie haben eine Karriere- und Schlafstadt geschaffen, in die unentwegt Menschen kommen, um Geld zu verdienen und am Wochenende wandern zu gehen. Mit dem Geld kaufen sie sich erst eine Portion Stadtstolz, dann eine bayerisch Tracht, dann eines der Autos von hier und dann eine Wohnung und daneben ist eigentlich keine Zeit für irgendwas anders, höchstens mit dem Hund in den Park, weil was anderes kannst du in den Münchner Parks auch nicht machen.“
(Max Scharnigg)

1902 konnte Thomas Mann in „Gladius Dei“ über München noch schreiben: „Die Kunst […] ist an der Herrschaft, die Kunst streckt ihr rosenumwundenes Zepter über die Stadt hin und lächelt. Eine allseitige respektvolle Anteilnahme an ihrem Gedeihen […] ein treuherziger Kultus der Linie, des Schmuckes, der Form, der Sinne, der Schönheit obwaltet […] München leuchtete.“ Seit 1961 ist Manns bewundernde München-Metapher Motto der von der Stadt vergebenen Verdienstmedaille „München leuchtet – Den Freundinnen und Freunden Münchens“.
Keine zwei Jahrzehnte nach dem Entstehen der Novelle Thomas Manns wurde es dunkler: Aus der Kunststadt wurde die Hauptstadt des kurz revolutionären Freistaates Bayern, dann die eines Gefreiten aus Braunau und seiner Bewegung, was München beinahe ausgelöscht hätte. Auferstanden aus Ruinen schien München eine Zeitlang Deutschlands heimliche Hauptstadt sein, war es das auch in den Medien, schließlich gar die „Weltstadt mit Herz!“
Als durch das inzwischen wiedervereinigte Berlin die leuchtenden Attribute allmählich verblassten, ruhten die Honoratioren nicht eher, bis sie einen neuen Slogan gefunden hatten; der allerdings ergab sich von selbst durch inzwischen abnorm gestiegene Immobilienpreise bei großzügig gefördertem Zuzug. Trotzdem hätte München noch ein Weilchen das Millionendorf bleiben können, wäre ein Italiener namens Mario Draghi nicht auf die Idee gekommen, die Zinsen abzuschaffen und Baugeld so ungeheuer billig zu machen, dass die „Geldigen“, die Bauherren, Immobilienmakler und Spekulanten geradezu „aus dem Häuschen“ gerieten, die Stadtverwaltung praktisch übernahmen und hektisch jede Baulücke oder Spielwiese erkundeten, aus denen man in Deutschlands absolut teuerster Wohnstadt satt Kapital ziehen konnte.
Diese Leute sind jetzt dabei, München, das singulär noch immer existierende sympathische Millionendorf, in die absolute Stillosigkeit zu treiben, in eine Allerweltsmetropole… und das auch noch im Namen der so harmlos und fast positiv klingenden „Nachverdichtung“. Noch ist dieser Slogan nicht so populär wie die abgelebten, im Angesicht einer geradezu hybriden Bauwut aber wird er sich bald mit krachlautem Leben füllen: „Die Hauptstadt der Nachverdichtung!“
Dazu erklären Architekten und Städteplaner euphemistisch: „Aus Perspektive der Stadt dient Nachverdichtung der Innenentwicklung, der städtebaulichen Aufwertung von Quartieren sowie der besseren Auslastung von Infrastrukturen. Aus Perspektive der Eigentümer wird zusätzliche Nutzfläche… wirtschaftlich erstellt… Aus Perspektive der Nutzer wird die hohe Wohnqualität in gewachsenen Quartieren und gut erschlossenen Lagen verfügbar gemacht…“ – so das Münchener Architekturbüro „4architekten“ in seiner Selbstdarstellung.
Stadträte, die vielleicht noch Bedenken hatten, konnten sich hinter drei Gutachten – von der Stadt München in Auftrag gegeben – verstecken, die unisono predigten: Nachverdichtung sei das Gebot der Zeit, denn durch Verdichtung der Bausubstanz mit einem minimalen Abstand zu bestehenden Bauwerken (!) werde die Qualität des Ortes neu interpretiert! Das klingt ja geradezu wissenschaftlich, aber was heißt es tatsächlich? Am besten erkennbar wird die – jetzt mal auf Bairisch interpretiert – Hinterfotzigkeit dieser Aussage am Beispiel des Altmünchner Elisabethmarktes. Der nämlich wird abgerissen wird für eine ganz neue Qualität, nämlich die Entfernung des Münchnerischen aus München!
In einem offenen Brief hatten auf der Basis von 23.000 Unterschriften die Bürger Schwabings diesen Brutalakt noch zu verhindern versucht. Sie schrieben an die Verantwortlichen der Stadt: „Mit großem Erstaunen, ja mit Bestürzung, haben wir davon erfahren, dass die Stadt München plant, den Elisabethmarkt abzureißen. Offenbar besteht […] kein Bewusstsein für den Wert dessen, was hier für immer zerstört werden soll. Der Elisabethmarkt ist einer der wenigen Plätze […] die einen großen Anteil haben an der über die Jahre gewachsenen Atmosphäre. Ein neu gestalteter Markt – noch dazu neben einem gigantischen Neubauprojekt – kann das nicht leisten. Bitte stoppen Sie diese Pläne!“
Die Behauptung „aus der Perspektive der Stadt dient Nachverdichtung der Innenentwicklung“ entpuppt sich nicht nur in diesem allerdings eklatanten Fall als üble Beschönigung, ja Wortverdrehung. Hier wird eine lebendige Stadtkultur verantwortungs- und gedankenlos vernichtet und damit ein Stück Münchner Tradition und Lebenskultur einfach eingeebnet. Die „Nachverdichtungsbauwut“ im Namen eines von der Stadt formulierten Konzeptes „Wohnen für alle“ scheint unaufhaltbar und ist an allen Ecken der Stadt teilweise schon schmerzlich erkennbar. Sie wird vielleicht dafür sorgen, dass Neu-Münchner eines Tages eine Wohnung bekommen, aber Alteingesessene sich kaum mehr darin und in ihrem zugebauten Viertel wohl fühlen. Das nennt sich dann zynisch „Strukturverbesserung“.
Für wen?
„Die Nachverdichtung hat nicht dazu geführt, dass günstiger Wohnraum entsteht“, erklärt Sabine Kiermaier von der Initiative „lebenswertes-laim“ über Projekte in ihrem Münchner Stadtteil. 560.000 Euro habe hier die billigste der neuen, bereits verkauften Wohnungen gekostet. Statt günstigen Wohnraum zu schaffen, würden alteingesessene Münchner verdrängt. Viele Nachbarn seien bereits weggezogen – entweder weil es für sie zu teuer ist oder aber, weil sie ihr Zuhause, in dem sie Jahrzehnte lang lebten, nicht mehr wieder erkennen. Und Prof. Dr. Carsten Trinitis vom „Denkmalnetz Bayern“ ergänzt: „Nicht nur unter sozialem Aspekt werfe die hemmungslose Nachverdichtung Probleme auf; diese Neubauten verändern das ganze Stadtviertel in sehr negativer Weise. Architektonisch bestenfalls einfallslos, sind sie ökologisch eine Katastrophe.“
Wie sieht die längst überverdichtete Nachverdichtung beispielsweise in Schwabing aus? – Korbinian Eisenberger schreibt dazu in der Süddeutschen Zeitung: „Weil dem Stadtteil im Norden Münchens einst nachgesagt wurde, es handle sich um das Szeneviertel schlechthin, zogen dort bekanntermaßen immer mehr Menschen hin. Am Anfang war das spannend, weil sich neues Volk unter die Einheimischen mischte. Heute parken dort jedoch nur noch Edelkutschen in den Einfahrten, Schwabing ist längst zur Metropole der Latte-Macchiato-Ladys geworden: ein Einheitsbrei aus 30- bis 50-Jährigen mit Cabriolets und prallen Geldbeuteln.“ Mit Thomas Manns Leuchten hat das schrille Schickimickiflackern wohl nichts mehr zu tun. Und die Designer und natürlich auch die Stadtväter, die sich für die hybride Nachverdichtung einsetzen, sollten sich Gedanken machen über einen neuen, aktuelleren Namen für die Verdienstmedaille der Stadt – Statt „München leuchtet“ könnte sie ja auch heißen „München irrlichtert“, „München armleuchtert“ oder realistischer: „München dunkelt“.
Dann Gute Nacht!