von Hartmut Pätzke
Vor einem Jahr wurde im Berliner Kino „Babylon“ anlässlich Klemkes 99. Geburtstages der Dokumentarfilm „Treffpunkt Erasmus“ der holländischen Dokumentarfilmerin Annett Betsalel uraufgeführt. Ausgangspunkt des Films war das Amsterdamer Antiquariat „Erasmus“ des bekannten, aus Deutschland geflohenen Bibliophilen, Verlegers und Autors Dr. Abraham Horodisch (1898–1987). Zu der mit großer Spannung erwarteten Premiere waren vor allem Schüler der jetzt Kunsthochschule Berlin genannten Institution, an der Werner Klemke bis 1982 gelehrt hatte, gekommen – auch Meisterschüler der Akademie der Künste, längst bekannte Maler, Gebrauchsgraphiker und Illustratoren.
Matthias Haberzettl aus Augsburg, Mitglied des Vorstandes der Pirckheimer-Gesellschaft, hatte einen hohen Anteil am Entstehen des Films. Als Schüler hatten ihn von Klemke entworfene Briefmarken begeistert und sein Interesse am Leben des Künstlers geweckt. Er fand heraus, dass Klemke, als Soldat bei der FLAK in Holland, seit 1942 als Graphiker in die nationalsozialistische Kriegspropaganda einbezogen war. Im Film trat Haberzettl neben Kindern Klemkes in Erscheinung.
Die holländische Regisseurin Annett Betsalel hat aufgrund des wie durch ein Wunder erhaltenen Archivs der Juden in der Synagoge von Bussum eine Quelle gehabt, aus der sichtbar wurde, wie Werner Klemke und sein Regimentskamerad Johannes Gerhardt (1910–1944) in einem „Netzwerk“ von rund 80 Personen jüdischen Menschen halfen. Klemke fälschte Taufscheine, Heiratsurkunden, Pässe und an die 300 Lebensmittelkarten – überlebenswichtig. Die Hälfte der Juden von Bussum überstand das Grauen. Zwar hatte Klemke einmal mitgeteilt, dass er kurz dem großen Fälscher Han van Meggeren begegnet war, aber von seinen eigenen gewagten Unternehmungen, die ihn das Leben hätten kosten können, hat er öffentlich nicht gesprochen.
Bruno Kaiser, Direktor der Öffentlich Wissenschaftlichen Bibliothek, hatte 1948 Werner Klemke den ersten großen Auftrag für den Verlag Volk & Welt vermittelt: die 126 Holzstiche zu Georg Weerths „Humoristischen Skizzen aus dem deutschen Handelsleben“ samt dem Holzstichporträt Georg Weerth.
Mart Stam holte Klemke 1951 als Dozent für Holzstich an die Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. 1956 wurde Klemke Professor an der zur Hochschule für bildende und angewandte Kunst gewandelten Institution.
Anfang des Jahres 1956 war die Pirckheimer-Gesellschaft gegründet worden, zu deren Initiativkomitee Klemke gehörte. Klemke hatte schon vor der Gründung der bibliophilen Gesellschaft das heute noch gebräuchliche Signet geschaffen. (Siehe auch: Leo Piotracha: Zum Sechzigsten der Pirckheimer, in: Das Blättchen 4/2016). Bücher hoher Qualität für ein breites Publikum zu schaffen, war Klemkes Anliegen. Von Luxusdrucken für eine betuchte Schicht hielt er nichts.
Wohl kein Gebrauchsgraphiker ist so vielseitig in Erscheinung getreten wie Werner Klemke. Von der Gestaltung von Briefmarken über die Mitarbeit am Theater, auch mit überaus bemerkenswerten Plakaten, über die Gestaltung und Illustration von annähernd 900 Büchern, wie es eine korrigierte und überarbeitete Bibliographie des von Horst Kunze 1999 erschienenen Verzeichnisses ergeben wird, reichte sein imposantes Spektrum.
Anekdoten ranken sich um Klemke. Als ihn ein Taxichauffeur am Antonplatz fragte, wohin er wolle, antwortete er, das wäre gleich, er hätte überall zu tun… Mit Aufträgen, nicht allein in Berlin, war er überreich gesegnet. So gab es eben auch nicht wenige Mahnungen von Verlagen. Doch er hatte eine Art Freibrief, denn die Verlage waren an seinem Namen, an seinem Strich, auch im Hinblick auf die Käufer der Bücher, äußerst interessiert. Der eine oder andere Auftrag wurde jedoch nicht vollendet, wie zuletzt auch die Illustrationen zu Andersens Märchen.
423 Titelblätter zierten das Magazin seit 1954. Leser suchten dort mit Begeisterung Klemkes oft versteckten Kater.
Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm mit circa 400 Schabzeichnungen und 12 doppelseitigen Farbtafeln, 1962 erstmals im Kinderbuchverlag erschienen, erlebten über zwanzig Auflagen, zuletzt in den neunziger Jahren. In späteren Auflagen vermochte der Verlag Auszeichnungen mitzuteilen: „Schönstes Buch des Jahres“ Leipzig 1963, Silbermedaille Internationaler Wettbewerb „Schönste Bücher aus aller Welt“ Leipzig 1964, Goldmedaille Internationale Buchkunst-Ausstellung 1965. Es folgten Lizenzausgaben in mehreren Ländern.
Für die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Thomas Mann, erschienen im Aufbau-Verlag, schuf Klemke Umschlag, Einband, Typographie und 138 farbige Zeichnungen. Klemke war auch prägend für das Gesicht der Ausgaben der Werke von Jorge Amado, Louis Aragon, William Faulkner, Kurt Tucholsky, B. Traven und Emile Zola.
Klemkes mehrfach aufgelegten zweibändigen „Boccaccio“ nicht zu nennen, wäre schon deshalb eine Sünde, weil Werner Klemke 1975 „als bester Illustrator Boccaccios“ Ehrenbürger von Certaldo, der Geburtsstadt des Dichters, wurde.
Seinen Lebensabend hatte sich Klemke noch zu DDR-Zeiten so vorgestellt, dass er oberhalb der Stadt auf einer Bank sitzen könne, um den Tag zu genießen. Das war ihm leider nicht vergönnt. Der Verlust seiner Frau, der Graphikerin Gertrud Klemke-Stremlau, Mutter der gemeinsamen vier Kinder, im Jahre 1988 sowie Schlaganfälle beeinträchtigten ihn. Klemkes schöpferisches Werk endete so 1991. Er starb am 26. August 1994 in Berlin-Weißensee.
Für seinen künstlerischen Nachlass interessierten sich leider weder die Akademie der Künste, deren Sekretär für Bildende Kunst er über viele Jahre war, noch die Deutsche Staatsbibliothek. Das Klingspor-Museum in Offenbach bildete einen Rettungsanker. Aber außer einer Ausstellung ohne Verzeichnis oder gar Katalog wurde von dort nichts bekannt.
Eine letzte Ausstellung fand 1999 in der Staatsbibliothek Unter den Linden statt. Den Katalog gestaltete der Klemke-Schüler Axel Bertram, die Bücher kamen fast ausschließlich aus dem Besitz eifriger Pirckheimer.
Der Text, den die Familie am Haus Tassostraße 21 angebracht hat, sollte durch eine offizielle Tafel ergänzt werden. Leider wurde der Antrag der PIRATEN, einen Teil des Antonplatzes nach Klemke zu benennen, von der Stadtverordnetenversammlung nicht akzeptiert. Nun soll wohl das Grab auf dem katholischen Friedhof in Weißensee, die Schrift der Bronzeplatte wurde von Axel Bertram entworfen, ein Ehrengrab werden. Das wäre eine Geste, wie auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof seinem Freund Wieland Herzfelde längst ein Ehrengrab zugestanden wurde.
Werner Klemke wurde am 12. März 1917 in Weißensee, das 1919 Teil von Berlin wurde, geboren.
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