von Rosi Blaschke
Bei einer Debatte kürzlich im Freundeskreis sagte Jaqueline, 51, sehr energisch: „Ich lass’ mir mein Selbstbewusstsein, das ich mir zu DDR-Zeiten erarbeitet habe, nicht nehmen, von niemandem.“ Sie hat selbstbestimmt einen Beruf erlernt, eine Familie gegründet, stets gearbeitet und war nie Mitglied einer Partei. Sie steht noch im Berufsleben und leitet einen Arbeitsbereich.
Trotz einer schier unüberschaubaren Flut von Literatur über die DDR ist bisher kein wissenschaftliches Buch erschienen, das umfassend, mit kritischem und differenzierendem Blick nachzeichnet, wie Frauen in der DDR lebten, welche Anforderungen sie an sich und die Gesellschaft stellten, welche Träume sie hatten und welche Enttäuschungen sie einstecken mussten. Endlich hat sich jemand an das Thema gewagt. Es ist Anna Kaminsky, die in der DDR aufgewachsen ist und in Leipzig studiert hat. Sie weiß also, wovon sie schreibt. Hoffte man. Doch während der Lektüre beschlich einen zunehmend das Gefühl, dass der Autorin zuweilen das Amt die Feder diktierte. Anna Kaminsky ist seit 2001 Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Dabei ist in ihrem Buch durchaus viel Richtiges und Treffendes zu lesen. Die Autorin konzentriert sich auf die Frage, ob und wie die Emanzipation der Frauen, ihre Gleichberechtigung in Familie, Beruf und in der Gesellschaft erreicht wurde. Sie stellt fest: „In der Tat hatten Frauen in der DDR dieselben Rechte wie die Männer.“ Gleichberechtigung war Verfassungsinhalt. „Frauen in der DDR verdienten ihr eigenes Geld und waren wirtschaftlich unabhängig. Sie konnten selbst entscheiden, ob und wo sie arbeiteten“, schreibt Anna Kaminsky, um dann pauschal einzuschränken: „Die Anforderungen, die eine Frau in der DDR zu erfüllen hatte, um als gleichberechtigt und modern anerkannt zu werden, legte die SED fest. Frauen sollten „flächendeckend in die Berufstätigkeit“ gebracht werden. Die „staatlich geförderte und angeordnete ‚Emanzipation‘“ zielte, so Anna Kaminsky, „eben nicht auf die Stärkung von Selbstwahrnehmung und Frauenbild, sondern vor allem auf die Integration in die Arbeitswelt“. Ein Kotau vor dem Zeitgeist: verordnete Gleichberechtigung, verordneter Antifaschismus, verordnete deutsch-sowjetische Freundschaft, verordnete Solidarität? Nach Anna Kaminsky wurde die Frau in der DDR auf ihre Arbeitskraft reduziert. Selbst das im Gegensatz zur Bundesrepublik liberale Scheidungsrecht wird als Instrument bezeichnet, „Frauen zum Arbeiten zu bewegen“.
Natürlich waren nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg Frauen unentbehrlich für den Wiederaufbau. Sie räumten die Trümmer weg, bestellten die Felder und kümmerten sich nicht nur um die eigenen Kinder. Sie waren vielfach auf sich allein gestellt. Denn viele Männer waren „im Krieg geblieben“, wie es damals hieß, oder befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft. In dieser Situation entwickelte sich der Wunsch und der Wille vieler Frauen, einen Beruf zu erlernen und zu arbeiten. Sie wollten anerkannt werden durch Leistung. Frauen drängten in Männerberufe, fuhren Traktoren und Mähdrescher. Gleichberechtigung als Chance, nicht als Zwang! Der Staat schuf die Bedingungen, die es ermöglichten, Beruf und Familie zu vereinbaren. Schritt für Schritt. Unter anderem durch Krippe, Kindergarten und Schulhort. Und die Freistellung der Frauen vor und nach einer Geburt, ohne dass sie befürchten mussten, aus dem Berufsleben verbannt zu werden. Der monatliche Haushaltstag bot auch Erleichterung.
„Wenn ich nicht arbeite, bin ich mir selber fremd“, sagt eine der von Maxie Wander für ihr wunderbares Buch „Guten Morgen, du Schöne“ interviewten Frauen. Das war in den 1970er Jahren. Vor allem die wirtschaftliche Gleichstellung mit den Männern gab den Frauen Selbstbewusstsein und schuf die Grundlage für gesellschaftliche Gleichstellung. Natürlich wird niemand behaupten wollen, dass die arbeitenden und anderweitig gesellschaftlich tätigen Frauen und Mütter ihre Aufgaben mit Leichtigkeit bewältigten, insbesondere nicht die vielen Alleinerziehenden. Es war oft ein hartes Brot. Zumal, wie im Buch vermerkt, es in der Versorgung auf fast allen Gebieten Engpässe gab. Und in der Tat haben nicht alle Männer den Lern- und Arbeitsdrang ihrer Frauen akzeptiert. Doch schon in meiner Generation, die Mitte der 1950er Jahre eine Berufsausbildung oder ein Studium begann, haben Männer „gleichberechtigt“ im Haushalt und bei der Kinderbetreuung zugepackt. Die DDR-Frauen waren keine Superwomen. Ihr Leben taugt nicht zum Mythos. „Es ist der Geist der real existierenden Utopie, ohne den jede Wirklichkeit für Menschen unlebbar wird“, schrieb Christa Wolf im Vorwort zu Maxie Wanders Buch. Die Utopie konnte nur sukzessive und gegen Widerstände Wirklichkeit werden.
Es waren die Frauen der DDR, die nach der deutschen Vereinigung als erste ihren Arbeitsplatz verloren. Und damit ein großes Stück Gleichberechtigung und Emanzipation, das sie den West-Frauen voraus hatten. Und worauf sie stolz waren. Man reibt sich verwundert die Augen, wenn man bei Anna Kaminsky liest, die westdeutschen Frauen lebten wesentlich fortschrittlicher als ihre Geschlechtsgenossinnen in der DDR. Als Beweis führt sie an, jene hätten über viel bessere und moderne Haushaltsgeräte verfügt. Allgemein bekannt dürfte die traurige Tatsache sein, dass Frauen in der Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre hinein ohne die Erlaubnis ihrer Männer weder arbeiten noch ein eigenes Konto führen durften. Merkwürdig auch die Feststellung, beim in der DDR weit verbreiteten Lesehunger habe es sich um „kleine Fluchten aus dem Alltag“ gehandelt, da DDR-Bürger nicht überall hin reisen durften. Und nur aus Mangel sei Obst eingeweckt und Marmelade gekocht, gewebt, genäht, gestrickt und gehäkelt worden? Als ob nicht zu allen Zeiten dergleichen aus Freude an Kreativität gefrönt wird!
Ganz selbstverständlich wollen heute junge Frauen studieren und arbeiten. Die Bundesregierung musste ein gesetzliches Recht auf einen Kinderbetreuungsplatz erlassen, das es in der DDR schon gab. Frauen wollen Karriere machen. Die Bundesregierung beschloss eine exklusive Quotenregelung, von der sich Frauen veralbert fühlen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehört heute zum modernen Familienbild in der Bundesrepublik, schreibt Anna Kaminsky. Sie sinniert nicht darüber, ob sich dieser Wandel nicht maßgeblich den Frauen der DDR verdankt.
Christa Wolf bemerkte über die Recherchen von Maxie Wander: „Sie kam nicht, um zu urteilen, sondern um zu sehen und zu hören.“ Anna Kaminsky fällt ein Urteil.
Anna Kaminsky: Frauen in der DDR, Ch. Links Verlag, Berlin 2016, 317 Seiten, 25,00 Euro.
neues deutschland (online), 03.03.2016. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
Schlagwörter: Anna Kaminsky, DDR, Frauen, Gleichberechtigung, Rosi Blaschke