von Edgar Benkwitz
Unter dem Aufmacher „Hallo Indien, hier ist Präsident Donald Trump!“ berichtete die indische Presse am 25. Januar über das Telefonat von Präsident Trump mit Premierminister Narendra Modi. Nur fünf Tage nach der Amtsübernahme im Weißen Haus war nach Anrufen in Kanada, Mexiko, Israel und Ägypten schon Indien an der Reihe, dessen Premierminister den Vorrang vor vielen Größen der Weltpolitik erhielt. Im Gegensatz zu einigen seiner Amtskollegen wurde er auch höflich behandelt und vernahm, dass Indien „ein treuer Freund und Partner“ sei, beide Staaten „Schulter an Schulter“ im Kampf gegen den Terrorismus und globale Herausforderungen stehen.
Doch schon vor diesem Schwall an diplomatischen Nettigkeiten hatte es eine Reihe von Kontakten indischer Offizieller zum Beraterstab Trumps gegeben. Als Berlin, noch schockiert vom Wahlsieg, angeblich keine Telefonnummer des künftigen Präsidenten besaß, hatte Premier Modi schon mit diesem gesprochen. Es folgten Treffen des Staatssekretärs im Außenministerium S.Jaishankar, der schon längere Zeit wegen Krankheit der Amtsinhaberin die Geschäfte führt, mit dem zukünftigen Vizepräsidenten Mike Pence und des Sicherheitsberaters Doval mit dem kurzzeitigen US-Sicherheitsberater Flynn.
Anfang März machte sich S.Jaishankar erneut auf den Weg, um hochrangige Vertreter der US-Administration zu treffen. Nahezu sechs Wochen nach dem Amtswechsel in Washington wollte man klarere Antworten zu einigen Neu Delhi bewegenden Fragen einholen. Denn man befürchtet, dass die umfangreichen Beziehungen zwischen beiden Staaten durch die „America First“-Politik beeinträchtigt werden können. Dem indischen Gast wurde von seinen Gesprächspartnern – Außenminister Tillerson, Sicherheitsberater McMaster, dem Handelsminister und dem Heimatschutzminister – versichert, dass Indien nach wie vor ein geschätzter Partner sei und es viele Möglichkeiten für die Weiterentwicklung der Beziehungen gebe. Doch konkret wurde die amerikanische Seite nicht, feste Zusagen zu inhaltlichen Fragen wurden nicht bekannt. So hängt der Termin für einen baldigen Besuch von Premierminister Modi in den USA, über den in Indien viel spekuliert wird, nach wie vor in der Luft.
Auch für den „Strategischen und Wirtschafts-Dialog Indien – USA“, unter Obama gestartet, wird nach einem passenden Zeitpunkt gesucht. Doch in den Gesprächen mit der neuen Administration und dem Kongress konnte Indien zumindest seine Interessen und Erwartungen vortragen. Größtes Problem sind die vorgesehenen neuen Regeln in der Arbeitsmarkt- und Einwanderungspolitik, die beträchtlich die Interessen Indiens berühren. Allein die großen IT- Konzerne Infosys und Tata Consultancy beschäftigen in den USA über 50.000 hochqualifizierte indische Mitarbeiter mittels der H1B-Visa. Umgekehrt arbeiten in Niederlassungen von US-Firmen in Indien mehrere Zehntausend Software-Spezialisten. Die indische IT-Industrie hat einen Jahresumsatz von etwa 150 Milliarden Dollar, davon wird ein großer Teil mit US-Firmen erwirtschaftet. Visabeschränkungen und Zurückfahren des Outsourcing würden dieses Engagement gefährden. Indien will erreichen, dass die Arbeit seiner Hochtechnologie-Spezialisten durch Ausnahmeregelungen abgesichert wird.
Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass die US-Wirtschaft durch indische Firmen profitiert. So wurden von 2008 – 2013 in den USA 28 Milliarden Dollar investiert und 400.000 Stellen geschaffen. Den Finanzämtern wie auch den Sozialkassen flossen durch indische Arbeitskräfte Milliarden von Dollar zu. Dem indischen Gast wurde nun erklärt, dass die Frage der Aufenthaltsvisa für Spezialisten gegenwärtig keine Priorität besitze. Doch erleichtert dürfte dieser nicht gewesen sein, denn nur wenige Stunden nach seinen Gesprächen beschloss die US-Einwanderungsbehörde, die kurzfristige Vergabe besagter Visa für dringende Fälle ab sofort zu beenden und griff damit in eine gewohnte und notwendige Praxis ein.
Die US-Behörden wurden auch mit der Sorge der indischen Regierung um die Sicherheit und das Wohlergehen der großen indischen Gemeinde in den USA konfrontiert. In Neu Delhi schrillten die Alarmglocken, als Ende Februar in Kansas ein indischer Ingenieur von einem Rassisten mit dem Ruf „Macht Euch fort aus meinem Land!“ erschossen, ein zweiter schwer verletzt wurde. Mit der großen Verunsicherung geht die Furcht einher, dass der durch Trumps Äußerungen ermutigte Rassismus auch vor angesehenen ausländischen Spezialisten keinen Halt macht. Das Weiße Haus versuchte, das Verbrechen herunterzuspielen, wurde aber vom Kongress unmittelbar vor der Antrittsrede Trumps mit einer Schweigeminute für die Opfer eines Besseren belehrt.
Die knappe Veröffentlichung über die Gespräche zu Fragen der internationalen Politik zählt die für Indien wichtigen Komplexe Terrorismus, Afghanistan und die asiatisch-pazifische Region (China) auf. Vorrang für Indien hat die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus, wobei natürlich vor allem Pakistan gemeint ist, das Indien zu den Heimstätten des Terrorismus zählt (Modi: „Pakistan ist das Mutterschiff des Terrorismus“). Die Obama-Administration hat nach indischer Meinung zu wenig getan, um Pakistan wirkungsvoll unter Druck zu setzen. Nun knüpfen sich Hoffnungen an die neue Administration, vor allem an Trumps Chefstrategen Steve Bannon. Er hat dem IS und dem Jihadismus den Kampf angesagt, ihm werden auch Sympathie für die hindunationalistische Regierung in Indien nachgesagt. Mit Ernüchterung musste aber in Neu Delhi erst einmal registriert werden, dass Pakistan nicht zu den Staaten gehört, die Trump mit massiven Einreisebeschränkungen belegte.
Klarheit möchte Indien auch über das weitere Vorgehen der USA in Afghanistan sowie die zukünftige Politik gegenüber dem Iran haben. Indische Interessen in der Golfregion und in Afghanistan sind durch den angekündigten konfrontativen US-Kurs gegenüber dem Iran gefährdet. Auf iranischem Gebiet, nahe der iranisch-pakistanischen Grenze, baut Indien mit japanischer Unterstützung einen großen Hafen, durch den ganz Afghanistan und auch die Staaten Mittelasiens bedient werden können. Das Projekt, das Pakistan umgeht, wurde mit dem Wohlwollen der Obama-Administration bedacht. Es könnte jetzt durch Washingtons Druck auf den Iran in Probleme geraten.
Sichtlich ungelegen kommt Indien auch die Forderung des US-Oberbefehlshabers in Afghanistan, General Nicholson, nach einer bedeutenden Aufstockung der Truppen und dem forcierten Kampf gegen die Taliban, den dieser mit einer antirussischen Stoßrichtung versah. Indien hofft hingegen, dass es zu einer Entspannung im Verhältnis USA – Russland kommt, die sich vorteilhaft auf die Lage in Afghanistan und die Region auswirken würde.
Der indische Staatssekretär hatte nach seinem ersten Besuch in den USA im Dezember die Devise herausgegeben, die neuen Bedingungen sorgfältig zu analysieren, pragmatisch vorzugehen und vor allem den neuen Präsidenten nicht zu dämonisieren. Jetzt im März stellt er nun fest, dass die Trump-Administration mit einer neuen Einstellung der Welt gegenübertritt, „die Indien anzunehmen hat, um neue Möglichkeiten ausfindig zu machen“. Doch die indische Öffentlichkeit teilt diese Auffassung so nicht. Es wird vor einem unberechenbaren Präsidenten Trump gewarnt, der mit seiner protektionistischen Politik keinen Bogen um Indien machen werde, zumal das Land zu den Gewinnern der Globalisierung zähle. Der scharfsinnige Kommentator der Times of India, A.S. Aiyar, rät die indische Außenpolitik zu Vorsicht, Flexibilität und zu neuen Allianzen. Und sein Kollege Manoj Joshi bemerkt, dass es in Trumps „America First“-Politik keine Freunde und Feinde gibt. Die logische Antwort darauf könne nur eine „India First“-Politik sein.
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