20. Jahrgang | Nummer 6 | 13. März 2017

Frühlings- und andere Düfte

von Renate Hoffmann

Es lenzt. Zwar sind erst wenige Anzeichen wahrzunehmen, doch wer morgens aus der Haustür tritt und tief durchatmet, der spürt den Frühling. Am Geruch! Mag sein, dass es sich um Einbildung handelt, weil man wünscht, er möge bald kommen, aber es schwirren bereits Duftmoleküle durch die Luft. Herbwürzig, untermischt mit feiner Süße (irgendwo müssen schon Veilchen blühen) und dumpfig nach altem, nassem Laub. Diese Kombination regt nicht nur die Geruchsrezeptoren an, sondern auch die Stimmung.
Gärtner befällt eine gewisse Unruhe. Sie schauen nach dem Forsythienstrauch, ob er denn nun endlich gelbt. Sein Duft ist wohl mehr ein Geruch und nur bei näherem Heranführen der Nase feststellbar. Etwas fade und lustlos. Das Gelb übertrifft jedoch alles. Belebend und stimmungsaufbessernd wirkt die Hyazinthe, die in Kürze ihren Auftritt haben wird. Ihr Duft berauscht ein wenig wie schweres Parfüm. Man tut gut daran, sich ihm erst am Abend nach Dienstschluss hinzugeben.
Wer sich duftmäßig in den Vordergrund drängt, ist der Seidelbast. Kleine rosarote Blüten am nackten Zweig und mit intensivem übersüßem Aroma. Es lockt die Insekten. Unsereinen weniger. Denn dahinter lauert – noli me tangere – Gift. Es dürfte demnach eher eine abwartende Stimmung hervorrufen. Die Dichternarzisse hingegen gewinnt mit dezenter, feiner Süße, die wahrhaft poetisch wirkt.

Narzissen und Veilchen,
sie spiel’n schon ein Weilchen
die Märzmelodie,
so schön wie noch nie.

Schreitet das Jahr voran, so gesellen sich neue Düfte hinzu. Der Flieder, diese Duftkanone, wirft in Schüben blumig-würzige Wogen in die Luft. Sie betören und erfrischen zugleich. Sie euphorisieren, verheißen den Frühling. Und geben das Gefühl, man könne sofort und auf der Stelle – fliegen.
Bärlauch riecht! Nichts von Duft. Wenn er sich im Buchenwald ausbreitet wie ein grünweißer Teppich, dann breitet sich auch sein arteigener, etwas beißender Geruch aus. Er soll bei Lauchliebhabern den Appetit kräftig anregen und auch sonst förderliche Eigenschaften besitzen. Mich erinnert er lediglich daran, dass bald die Wanderzeit beginnt. – Der Wonnemonat trägt als Emblem auf seiner flatternden Fahne das Maiglöckchen. Es lockt lieblich und weht frisch-blumig, süß angetupft. Und wirft sich der Liebe in die Arme. Die gelben üppigen Blütenstände der Mahonie duften nach Honig, verwirren ein bisschen und stimmen manchen Polterkopf versöhnlich und friedfertig. –
Schon naht der Sommer. Die Linden blühen, diese prächtigen Begleiter von Straßen und Wegen. Ihr Aroma ist von zarter Kühle und süßlich unterfangen. Es macht leicht taumelig und lädt ein zum Verweilen. Ein wünschenswerter Zustand. Wenn es erlaubt wäre, so würde ich Ludwig Uhlands „Frühlingsglaube“ – mit dem gebotenen Respekt! – eine Kleinigkeit umdichten. Anstelle von „Die linden Lüfte sind erwacht …“: Die Lindendüfte „sind erwacht, / Sie säuseln und weben Tag und Nacht, / Sie schaffen an allen Enden …“ Was da säuselt, sind die Bienen. Sie geben ihren sanften dunklen Ton dazu. Wer sich, durch den Duft verführt, aufs Verweilen einlässt, der wird – ganz leise – Franz Schuberts wunderbare Vertonung des Gedichtes hören.
Nun zieht die Sommerkollektion ein und verschwendet Düfte ohne Ende. Allen voran die Rosen. Gefolgt vom streng duftenden Holunder. Heliotrop, die Vanilleblume, deren Duft an Plätzchenbacken und Vanilleeis erinnert. Goldlack mit würzig-harziger Note, und die Studentenblumen, kräftig-aromatisch, an- und aufregend. Bunte Duftwicken, der Nase und dem Auge wohlgefällig. Dazwischen Nachtviole und Phlox. Lavendel, ein Duftgemisch aus frischen Kräutern und dem Zartbitter der Orangenblüte. Es ruft die Provence auf, das Département Vaucluse und die Fahrt zur Zisterzienser Abtei Notre-Dame de Sènanque, eingebettet in ein lilafarbenes Meer.
Düfte und Gerüche lassen Bilder erstehen und wecken Erinnerungen. Zum Beispiel an die morgendliche Wanderung durch das Neckartal nach einem Mairegen. An Spaziergänge in den Berliner „Gärten der Welt“, oder den Besuch des Basars in Marrakesch mit seinen wilden Gerüchen. Auch an die Uferpromenade am Luganer See, als dort die Immergrünen Magnolien blühten. Und an die kleine Kirche All Saints mit den Fenstern von Marc Chagall bei Tudeley in der Grafschaft Kent, in der es nach altem Mauerwerk roch.
Düfte und Gerüche verfügen über eine Langzeitwirkung. Sie gleichen Tagebüchern, in denen Erlebtes aufbewahrt wird. Und wo man nachblättern kann, wenn es der Zufall so will.