19. Jahrgang | Nummer 25 | 5. Dezember 2016

Antworten

Fidel Castro, vielleicht letzter „Unsterblicher“ des XX. Jahrhunderts – Dass auch Operette, wenn die Umstände nur exaltiert und exotisch genug sind, das Zeug zu großem Theater hat, bewiesen Ihre ersten revolutionären Akte:
Der Sturm auf die Moncada in Santiago, auf Kubas zweitgrößte Kaserne, am 26. Juli 1953. Dieser Versuch, mittels fulminantem Fanal einen Volksaufstand gegen das unbeliebte Batista-Regime auszulösen, scheiterte zwar und die meisten Ihrer Mitstreiter fanden den Tod, aber das Regime unterschätzte die Überlebenden, darunter Sie, und entließ diese ins mexikanische Exil.
Die Rückkehr auf der Jacht „Granma“ mit 80 Getreuen im November 1956. Wieder sollte ein exzeptionelles Event, dieses Mal die Einnahme Santiagos, den Sturz des Regimes einleiten. Zwar scheiterte auch dieser Coup, doch das Regime unterschätzte die Überlebenden – es waren nur 18, darunter Sie, Ihr Bruder Raúl und Ernesto Guevara – noch ein (letztes) Mal. Diese 18 flohen in die Sierra Maestra, und 1959 geschah, was Che Guevara Jahre später in Bolivien kein zweites Mal gelang: der siegreiche Einzug in Havanna.
Eine Legende war geboren, die Generationen von Revolutionären und jugendlichen Enthusiasten in vielen Teilen der Welt über Jahrzehnte immer wieder ein Ansporn war.
Eine Legende allerdings, zu der auch das Fazit gehört, das Sie selbst im Jahre 2010 gegenüber der spanischen Zeitung El País zogen: „Das kubanische Modell funktioniert ja nicht einmal in Kuba.“
Insofern ist das letzte Wort über Ihre standhafte Selbstverteidigung im Prozess nach dem Sturm auf die Moncada wohl noch nicht gesprochen: „Condenadme, no importa, la historia me absolverá.“ (Verurteilt mich, es ist gleichgültig, die Geschichte wird mich frei sprechen.)

Martin Schulz, der Kai-aus-der-Kiste der SPD? – Kaum waren Sie als potenzieller Kanzlerkandidat Ihrer Partei im Gespräch, konnten Sie sich Umfragen zufolge unter Ihren Genossen schon auf höhere Sympathiewerte stützen als Ihr Vorsitzender Siegmar Gabriel.
Das sagt einiges über die SPD und über Gabriel aus.
Über Sie kann aber auch Bescheid wissen, wer sich informiert.
Ein Anfang ließe sich mit Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart machen, der in seinem regelmäßigen Morning Briefing am 25. November resümierte:
„Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser, auf vielen Titelseiten wird EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der von Brüssel nach Berlin umziehen will, heute wie ein Erlöser gefeiert. Dass viele Medien diesem im Volk weithin unbekannten Mann – der die Zulassung zum Abitur nicht schaffte, wenig später zum Trinker wurde, bevor er als grantelnder Abstinenzler für 22 Jahre im Brüsseler Europaparlament verschwand – plötzlich die Befähigung zur Kanzlerschaft zutrauen, ist nur mit journalistischer Telepathie zu erklären. Einer fühlt, was der andere nicht denkt. Alle beten, was keiner glaubt. Und Schulz, derart berauscht, bereitet sich wahrscheinlich auf die Papstwahl vor. Italienisch spricht er ja schon.“
Wir haben dem fürs erste nur hinzuzufügen, dass wir Sie in Rom viel, viel lieber sähen denn an der Spree …

Michail Chodorkowski, noch so ein Hinterher-ist-man-immer-Klügerer – Auf die Frage, was Ihre Fehler der 1990er Jahre seien, antworteten Sie jüngst: „Ich hatte keine richtige Vorstellung von der westlichen Welt. Als die Sowjetunion sich öffnete, strömten aus dem Westen alle möglichen Abenteurer zu uns. Und wir dachten, so läuft das Geschäft im Westen, und lernten von ihnen. Erst viele Jahre später begriffen wir, dass wir von den Falschen gelernt hatten.“
Es mögen durchaus die Falschen gewesen sein, aber es waren auch die – um ein heutiges Lieblingswort zu gebrauchen – Authentischen. Wenn man an die historische ursprüngliche Akkumulation des Kapitals denkt. Und nichts anderes lief doch ab im Russland jener Jahre, in denen Leute wie Sie zu Oligarchen wurden und (mindestens) das wirtschaftliche Spiel dominierten …

Martin Luther, vom Sockel zu Holender – Die Erbsünde, ein Unheilszustand, der durch den Sündenfall Adams und Evas herbeigeführt worden und mit dem seither jeder Mensch als Nachfahre dieser Ureltern befleckt sein soll, ist ein hohes christliches Kulturgut.
Und in etwa so kriminell wie die Erfindung des Ablasses.
Von beidem steht übrigens in der Bibel nichts.
Der Ablass, zumindest in der Form, wie ihn zu Ihren Zeiten die Päpste und deren Handelsvertreter (etwa Tetzel) betrieben, war Ihnen ein Dorn im Auge und ein Grund für Ihr Löcken wider den katholischen Stachel.
Die Erbsünde allerdings hatte Augustinus, einer der maßgeblichen Kirchenlehrer der Spätantike, erfunden, indem er einen Halbsatz im Vers zwölf des fünften Römerbriefes des Paulus schlampig aus dem griechischen Original ins Lateinische übertrug. Sie als erfahrener Exeget hätten das sofort gesehen, als „unkritischer Nachbeter des Augustinus“ aber durchgehen lassen.
Das unterstellt Ihnen der Schriftsteller Friedrich Christian Delius, gegen den übrigens wegen vergleichbarer Anwürfe schon die Siemens AG und der Kaufhauskönig Horten vergeblich prozessiert haben. Hier Delius zum Mitschreiben: „Die ganze Theorie der Erbsünde fußt auf einem falsch verstandenen Nebensatz, der zudem den Vorteil hat, dass die Frauen an allem schuld sind, weil sie alle miteinander Adam verführt haben.“
Der Sachverhalt, dass Sie das Christentum nicht von der Erblast der Erbsünde befreit, sondern diesen Zinnober für zunächst mindestens weitere 500 Jahre sakrosankt gestellt haben, veranlasste Delius, sein Pamphlet unter die Überschrift zu stellen: „Ihre Reformation haben Sie vergeigt, Herr Luther.“
Trotz Ihrer Heldenverehrung nahe kommenden Renaissance in der späten DDR – in der wir sozialisiert worden sind und in der wir im Ihnen gewidmeten Jahr 1983 in Erfurt auf der für Touristen sage und schreibe (mit trefflichem, wenn auch eher unbeabsichtigtem Hintersinn) so ausgeschilderten „Luther-Route“ gewandelt sind – sehen wir hier keinen Spielraum für grundsätzliche Widerrede …