19. Jahrgang | Nummer 23 | 7. November 2016

Leibniz – einer der letzten Universalgelehrten

von Manfred Orlick

Friedrich der Große von Preußen sagte über ihn: „Er versammelte in seinem Kopf eine ganze Akademie der Wissenschaften.“ Gemeint war Gottfried Wilhelm Leibniz, der am 14. November vor 300 Jahren starb. Er war vermutlich einer der letzten Universalgelehrten. Eine Spezies, die bemüht ist (oder besser war), die Gesamtheit aller Dinge zu erforschen. Nach Leibniz sind diese intellektuellen Alleskönner mehr oder weniger ausgestorben. Zumindest sind sie äußerst rar geworden – Ausnahmen wie Alexander von Humboldt bestätigen nur diesen Trend. Leibniz, der Vordenker der Aufklärung, hat auf vielen wissenschaftlichen Gebieten Großartiges geleistet, von der Philosophie über Geschichte, Theologie, Diplomatie und Rechtslehre bis hin zur Mathematik.
Gottfried Wilhelm Leibniz wurde am 1. Juli 1646 (nach altem Kalender am 21. Juni 1646), also zwei Jahre vor Ende des Dreißigjährigen Krieges, in eine Leipziger Professorenfamilie hineingeboren. Der Vater starb bereits, als Gottfried sechs Jahre alt war. Als Autodidakt lernte der Junge selbst Lesen, Schreiben und Rechnen. Mit 15 begann er das Studium der Rechte und der Philosophie, das er sechs Jahre später mit einer Promotion abschloss – allerdings in Nürnberg, da man ihm dies in Leipzig wegen seines geringen Alters verwehrte.
Auf Vermittlung wurde Leibniz 1670 Hofrat beim Mainzer Kurfürsten, der ihn zwei Jahre später in geheimer diplomatischer Mission nach Paris schickte. Leibniz blieb insgesamt vier Jahre, wobei er zahlreiche Kontakte zu Mitgliedern der „Académie des sciences“ knüpfte (darunter zu Christiaan Huygens). In Paris beschäftigte sich Leibniz auch mit dem Bau einer Rechenmaschine, die imstande war, alle vier Grundrechenarten auszuführen. Beim Bau des hölzernen Modells legte er selbst Hand an.
In den 1670er Jahren reiste Leibniz zweimal nach England, wo er Robert Boyle kennenlernte. Auf der Rückreise machte er in Holland Station und besuchte dort Baruch de Spinoza. 1676 trat er schließlich eine Stellung als Hofrat bei Herzog Johann Friedrich in Hannover an. Zunächst sollte er die dortige Bibliothek, später auch die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, sowie die Gesetze des Landes ordnen.
Obwohl die Residenzstadt des Welfen-Herzogs nicht der Wunschort für seine wissenschaftliche Laufbahn war, wurde daraus letztendlich eine 40-jährige Anstellung. Von Hannover pflegte Leibniz Kontakte zu ungezählten Gelehrten in aller Welt – bis nach China. Seine umfangreiche Korrespondenz – mehr als 15.000 Briefe an rund 1300 Adressaten – ist Ausdruck dieser Verbindungen. Die Sammlung gilt als die umfangreichste Gelehrtenkorrespondenz des 17. Jahrhunderts und wurde 2007 von der UNESCO ins Weltdokumentenerbe aufgenommen. Darüber hinaus entwickelte Leibniz eine außergewöhnlich enorme Reisetätigkeit, die ihn durch halb Europa führte.
In Hannover entstanden nicht nur fast alle seine großen Werke, darüber hinaus wurde er vom Herzog und seinen Nachfolgern mit den unterschiedlichsten Aufgaben betraut. So half er die Technik im Harzer Silberbergbau zu verbessern und entwickelte Windmühlen zur Entwässerung der Schächte und Stollen. Dann erhielt er den Auftrag, die Geschichte des Welfenhauses zu erforschen und darzustellen, denn der protestantische Herzog wollte die Kurwürde für Hannover erlangen. Leibniz sollte dafür die Bedeutung Hannovers historiographisch untermauern – eine Aufgabe, die ihn mehrere Jahre in Anspruch nahm und zu deren Bewältigung er ausgedehnte Reisen in Deutschland, Österreich und Italien unternahm, um in den Bibliotheken und Archiven nach historischen Quellen zu suchen.
Indes hatte Herzog und Kurfürst Georg Ludwig, der spätere König von England, wenig Verständnis für Leibniz‘ weitreichende Interessen, sodass es regelmäßig zu Spannungen kam. Mit seinen Gutachten hatte Leibniz zwar zur Verleihung der Kurwürde an das Haus Hannover beigetragen, aber sie waren stets eine Quelle der Verstimmung, da sich seine umfassende Darstellung der Welfengeschichte hinschleppte. Leibniz wollte sie zu einer auf historischen Dokumenten und Quellen beruhenden frühmittelalterlichen deutschen Reichsgeschichte erweitern, brachte dieses Werk jedoch nie zu Ende.
Leibniz suchte daher nach neuen Wirkungsstätten, die er vor allem im preußischen Berlin fand, wo auf seine Initiative 1700 die Berliner Akademie der Wissenschaften gegründet wurde, deren erster Präsident er war. Für weitere Akademien in Wien und St. Petersburg lieferte er ebenfalls die Entwürfe; sie wurden jedoch erst nach seinem Tod gegründet. Zar Peter der Große ernannte Leibniz zum russischen Geheimen Justizrat, er sollte an einer Gesetzes- und Justizreform für das riesige Reich mitwirken. Selbst zum Kaiserhof in Wien konnte Leibniz enge Kontakte knüpfen. Sein eigentlicher Dienstherr in Hannover sah diese Aktivitäten allerdings mit Verdruss und so wurde über Leibniz sogar ein Reiseverbot verhängt. Gedemütigt, gekränkt und von einem Gichtleiden leidgeprüft, verstarb der große Gelehrte am 14. November 1716 in Hannover. Einen Monat später fand in der Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis die Beisetzung statt, der allerdings fast alle Hofbeamten fernblieben.
Die Zahl seiner zu Lebzeiten publizierten Werke war relativ gering, wurde mit dem Druck seines fast unübersehbaren Gesamtwerkes (rund 200.000 Blatt handschriftliche Aufzeichnungen) wurde erst nach seinem Tode begonnen. Die Katalogisierung seines Nachlasses nahm man sogar erst 1901 in Angriff. Seitdem erscheint die historisch-kritische Leibniz-Edition, die in acht Reihen angelegt ist und einmal etwa 108 Bände umfassen soll.