von Heerke Hummel
Es war ein skeptisches Interesse an der Materie, was mich veranlasste, mir Albert Kröllsʼ Buch „Kritik der Psychologie“ zusenden zu lassen, als ich ganz zufällig auf diesen Titel aufmerksam geworden war. Schon seit geraumer Zeit war mir aufgefallen, dass immer mehr Menschen die Hilfe von Psychologen in Anspruch nehmen. Was ist los in dieser Gesellschaft, fragte ich mich. Werden wir alle etwas verrückt oder nur Opfer von Scharlatanen? Der Titel jedenfalls versprach Aufklärung. Und er hält sein Versprechen.
Einleitend stellt der Autor ironisch fest, die Frage, welche Beziehung der Mensch zu seiner werten Persönlichkeit pflegt, wie er mit sich und seiner Psyche umgeht oder mit ihr zurechtkommt, sei für die Mitglieder der „modernen Gesellschaft“ zur wichtigsten Frage überhaupt geworden. Die Antwort darauf kläre nämlich demnach alle Probleme, die der Mensch im Umgang mit der Welt hat. Ein Scheitern am Arbeitsmarkt oder bei der Liebeswerbung, Ärger in der Familie oder im Büro, Frustration, Angst vor dem Atomkrieg oder dem Alleinsein ließen auf falsche Einstellungen schließen und führten zu Unlust oder gar Unglücksgefühlen, die nicht unbedingt sein müssten. Zurechtkommen mit der Welt sei zuallererst ein Zurechtkommen mit dem lieben Selbst. Wer sich selbst annimmt und kontrolliert, wer sein Verhältnis zu sich im Griff hat und über ein gesundes Selbstwertgefühl verfügt, habe mit der Welt keine Probleme mehr. Albert Krölls spricht in diesem Zusammenhang von einem klassenübergreifenden Angebot zur Lebenshilfe und einer „Entschuldigungsideologie für die bürgerlichen Konkurrenzsubjekte“. Als solche habe die Psychologisierung aller Lebenssachverhalte der Religion den Rang abgelaufen. Zudem liefere die psychologische Denkweise die fachliche Anleitung für die kritische Selbstmanipulation des Willens zur (Selbst-)Zufriedenheit in der Konkurrenzgesellschaft.
Das Kennzeichen der Psychologie als sachadäquater Theorie des Willens besteht – so der Autor – darin, „dass sie das Bewusstsein als eine defekte, von allerlei unkontrollierten Einflüssen gesteuerte, stets bedrohte Instanz ausmalt.“ Wenn Psychologen den Willen erforschen, fragten sie nicht nach dem Zweck des Handelns, sondern suchten nach Ursachen der Willensleistungen außerhalb von Wille und Bewusstsein und teilten ihren staunenden Forschungsobjekten dann mit, wovon sie getrieben oder motiviert sind. An Ratten und anderem Getier studierten sie, wie der menschliche Wille gebildet wird. Ihr Bild vom Willen mache die „Verrückten“ und „Geisteskranken“, die ihres Willens nicht mächtig sind, zur Norm, die auch die „inneren Prozesse“ erklärt, die bei den „Normalen“ ablaufen. Nie jedenfalls sei die praktische Tat eines Menschen das einfache Resultat der Absichten und Beschlüsse eines Subjektes, das sich vom Standpunkt seiner gewussten Interessen und Bedürfnisse auf die ihm vorausgesetzte äußere Welt bezieht. Das Interesse als Handlungsgrund werde systematisch verworfen, wenn das Handeln der Subjekte als Resultante des Wirkens hintergründiger seelischer Kräfte gedeutet wird, deren wirkmächtige Existenz allein die Psychologenzunft aufzudecken weiß.
„Kritik der Psychologie“ mit dem Untertitel „Das moderne Opium des Volkes“ ist das Werk eines Juristen mit minutiöser Beweisführung. Es analysiert die „Psychologie als Wissenschaft zur Menschenbildpflege“ (Kapitel 1), betrachtet die „Psychoanalyse von Sigmund Freud“ (Kapitel 2), geht ein auf die „‚Kritische Theorie des Subjekts‘ des Frankfurter Psychomarxismus“ (Kapitel 3), setzt sich auseinander mit „Burrhus Frederic Skinners Steuerung des unbotmäßigen Staatsbürgerverhaltens“ (Kapitel 4), beleuchtet „Sozialpsychologische Fehlerklärungen der Ausländerfeindlichkeit“ (Kapitel 5) und schätzt „die gesellschaftsnützlichen Leistungen der Psychotherapie“ ein – als „fachlich angeleitete Selbstdomestizierung des funktionsgestörten Willens“ beziehungsweise als „befriedigende Anpassung durch Selbstfindung“. Es ist ein zutiefst politisches Buch, in dessen Schlussbetrachtung der Autor den Nutzwert der psychologischen Weltanschauung für die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft als ideologischen Beitrag zur Pflege der Konkurrenzmoral der Bürger klarstellt. In der „Propaganda des irdischen Seelenfriedens des Subjektes, eines gelungenen Verhältnisses der Menschen zu sich selbst und damit zur Welt“, heißt es da, „ist die psychologische Weltanschauung eine einzige, das Bewusstsein vernebelnde Dienstleistung an der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft: das moderne Opium des Volkes …“ Und: „Die unbefangene Untersuchung der psychologisch verfremdeten Realität freiheitlicher Lebensverhältnisse würde freilich unweigerlich das Ende der psychologischen Weltsicht bedeuten. Wer beschließt, sich einmal praktisch um seine materiellen Belange in der bürgerlichen Welt zu kümmern, kommt einfach nicht darum herum, an die Stelle der psychologischen Selbstbespiegelung seiner Innenwelt die theoretische Klärung des Zustandes der äußeren Welt … auf seine höchst persönliche Agenda zu setzen.“
Von ganz besonderer Aktualität ist Kröllsʼ Auseinandersetzung mit der Psychologie hinsichtlich deren Erklärungen für das Entstehen von Ausländerfeindlichkeit, auch was die Tatsache betrifft, dass die neuen Bundesländer in besonderem Maße davon betroffen sind. Speziell dazu resümiert er, sachlich betrachtet spreche rein gar nichts für die Existenz eines behaupteten Zusammenhanges zwischen der Art und Weise der Erziehung (in der DDR) und der Entstehung ausländerfeindlicher Einstellungen. Solche Behauptungen seien den „Beweis dafür schuldig geblieben, dass, warum und auf welche Weise die Strukturen der DDR-Gesellschaft als ihr Produkt Ausländerfeindlichkeit hätten erzeugen sollen.“ Die Schlagkraft ihres Beweises speise sich „weniger aus den angeführten Beweismitteln als vielmehr aus dem politischen Interesse am Resultat der dem Prinzip der freien Willkür gehorchenden Beweisführung.“ Passe die Erklärung in die angesagte politische Feindbildpflege, dann entdeckten auch Psychologen zuweilen die Maßgeblichkeit gesellschaftlicher Verhältnisse für die Erklärung gesellschaftlicher Phänomene, jedenfalls dann, wenn negativ beurteilte politische Erscheinungen dem ehemaligen Systemfeind in die Schuhe geschoben werden können.
Und wie erklärt der Autor – emeritierter Professor für Recht und Verwaltung an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Hamburg – die Entstehung von Fremdenhass? Er betont die maßgebliche „Rolle von Nationalstaaten als Nährboden ausländerfeindlicher Taten ihrer Bürger.“ Dem ausländerfeindlichen Bürgerrassismus stellt Krölls einen Staatsrassismus gegenüber und betrachtet dabei nicht nur das Verhältnis der Staatsgewalt zu den Ausländern, sondern geht auf das „Innenverhältnis des Staates zu den einheimischen Mitgliedern des Nationalvolkes“ zurück, um zu der Feststellung zu kommen: „Bei der Konstitution des Staatsvolkes durch die Staatsgewalt geht es freilich nicht um die Ausübung von staatlicher Herrschaft als Selbstzweck und erst recht nicht um die zweckmäßige Organisation eines gesellschaftlichen Zusammenhanges, der auf der bedürfnisgerechten Produktion und Verteilung der Lebensgüter beruht. Sondern das Wesen der politischen Herrschaft besteht gerade auch in demokratischen Staaten in einem Benutzungsverhältnis im Dienste der Herrschaftszwecke.“ Und die exklusive Unterordnung unter dieses herrschaftliche Benutzungsverhältnis namens Nation werde, so Krölls, den Mitgliedern des Staatsvolkes vonseiten der Staatsgewalt als deren gesellschaftliche Natureigenschaft zugeschrieben. Das an ihnen hergestellte Herrschaftsverhältnis über die Untertanen behandle die Staatsgewalt als eine diesen innewohnende Qualität und Bestimmung ihrer Menschennatur. Just darin bestehe die Elementarform des Staatsrassismus. Ausländer dagegen seien gemäß der einschlägigen Definition des Ausländerrechts Menschen, die keine Inländer sind, sondern einer fremden, auswärtigen Staatsgewalt unterstehen und deswegen auch mit einem ziemlich prinzipiellen, unwiderlegbaren Generalverdacht belegt werden, „keinen Nutzen für das eigene Volk“ stiften zu können, sondern umgekehrt prinzipiell als „Volksschädlinge“ zu betrachten sind. Daher, so Krölls, wäre im Rahmen des Kampfes gegen die Ausländerfeindlichkeit dem Umstand Rechnung zu tragen, dass im Akt der staatlichen Staatsbürgerschaftszuschreibung die Wurzel der rechtsradikalen Ausländerfeindlichkeit liegt.
Abgesehen von manch anderen mag sich dem Leser an dieser Stelle die Frage stellen, ob und wie die Politik (die Parteien mit ihren Programmen) auf solche Analyse und Kritik am Staat reagieren wird.
Albert Krölls, Kritik der Psychologie. Das moderne Opium des Volkes, VSA Verlag, Hamburg 2016, 192 Seiten, 13,80 Euro.
Schlagwörter: Albert Krölls, Heerke Hummel, Herrschaft, Nationalismus, Psychoanalyse, Psychologie, Staatsgewalt