von Wolfgang Hochwald
Es ist ganz erstaunlich, wenn man sich einmal ansieht, welche Musiker der Pop- und Rockszene in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden sind oder noch werden: Udo Lindenberg, David Gilmour von Pink Floyd, Liza Minelli, Cher, Tim Curry (der Frank N. Furter aus der „Rocky Horror Picture Show“), Donovan, José Feliciano, Bryan Ferry, Gitte, Dolly Parton, Linda Ronstadt, Patti Smith. So unterschiedlich die Musikerinnen und Musiker, so verschieden auch die Aktivitäten, die die Damen und Herren noch entfalten. Während manche nur noch von den Erfolgen vergangener Jahre zehren, schaffen viele immer noch Neues und zeigen, welche Kreativschübe auch im höheren Alter noch möglich sind.
Am 5. September dieses Jahres hätte auch Freddie Mercury seinen 70. Geburtstag gefeiert. Was wäre wohl, wenn Mercury nicht im Alter von 45 Jahren gestorben wäre (am 24. November jährt sich sein Todestag zum 25. Mal)? Würden wir ihn weiterhin zu den kreativen Köpfen der Musikszene zählen? Oder würde er – wie es seine ehemalige Band „Queen“ immer noch tut – mit den alten Hits durch die Lande ziehen oder gar als sein eigener Darsteller im „Queen“-Musical „We Will Rock You“ mitspielen?
Freddie Mercury wurde als Farrokh Bulsara in Sansibar-Stadt, heute Tansania, geboren, lebte mit seinen Eltern mehrere Jahre in Indien und kam mit 17 Jahren nach London. Nach einem Kunststudium und verschiedenartigen Tätigkeiten gründete Mercury zusammen mit Brian May und Roger Taylor im April 1970 eine Band, der Mercury den Namen „Queen“ gab und die mit circa 320 Millionen verkauften Tonträgern eine der weltweit kommerziell erfolgreichsten Bands wurde.
Ich muss gestehen, ich bin der Musik von „Queen“ überdrüssig geworden, seitdem die Radiosender deutschlandweit immer wieder dieselben „Queen“-Songs durchdudeln, von „Radio Gaga“ über „Another One Bites The Dust“ bis hin zu „We Are The Champions“. Dabei war ich in den Siebzigern ein für Deutschland wahrscheinlich recht früher „Queen“-Fan. Mein Schulfreund Andreas hatte die ersten „Queen“-Platten; drei Scheiben kamen 1973/74 in nicht einmal 16 Monaten auf den Markt. Und dann die beiden Meisterwerke „A Night At The Opera“ (1975) und „A Day At The Races“ (1976), beide benannt nach Filmen der Marx Brothers, ersteres mit dem Mega-Hit „Bohemian Rhapsody“. Die Single verkaufte sich über fünf Millionen Mal und vereinte in fast sechs Minuten Ballade, Operette und Hardrock. Unvergessen, wie wir über Wochen mit mehreren Mitschülern in der Schulpause den A-Cappella Mittelteil des Songs mehr schlecht als recht, aber mit voll Inbrunst vor uns hin schmetterten.
Und dann mein erstes und einziges Live Konzert von „Queen“ im Mai 1977 in der Düsseldorfer Philipshalle. In dieser Übergangsphase zwischen Abitur und Bundeswehr, zwischen einer verflossenen Liebe und einer zu weit Entfernten war ich offenbar besonders empfänglich für das volle Paket Emotionen auf der Bühne. Und für etwas Theater: Eines der Bilder, die sich für ewig in meinem Kopf eingepflanzt haben, ist Freddie Mercury mit Hermelinmantel, nacktem Oberkörper und Krone am Klavier sitzend und die Schlussakkorde von „Bohemian Rhapsody“ spielend. Gewiss: Auch Brian Mays Gitarrenarbeit und das solide Fundament aus Bass (John Deacon) und Schlagzeug (Roger Taylor) sowie die Tatsache, dass jeder der Musiker Songs zum Repertoire der Band beisteuerte, machten den Erfolg von „Queen“ aus. Aber es war Mercury, der Stil und Image der Band wesentlich prägte, und es waren seine Bühnenpräsenz und seine unverwechselbare Stimme mit dem für einen Rocksänger ungewöhnlichen Volumen, die ihn für mich und viele Fans zur entscheidenden Größe der Band machten.
Irgendwann wurde Mercury zum Objekt der Boulevardpresse und – auch wenn er sich nie offiziell zu seiner Homosexualität äußerte – zu einer Ikone der Schwulenbewegung. Während der ersten Hälfte der achtziger Jahre lebte Mercury in München, eine Weile gar mit der österreichischen Schauspielerin Barbara Valentin zusammen. In den Liner Notes seines Solo-Albums „Mr. Bad Guy“ dankte Mercury Valentin „for big tits and misconduct“ („für große Titten und schlechtes Benehmen“). Ab 1985 wurde es ruhiger um Mercurys Privatleben, zumal er mit seinem festen Lebenspartner inzwischen in London lebte.
Seine HIV-Erkrankung, von der er selbst wohl ab 1984 wusste, hielt er über viele Jahre geheim. Am 23. November 1991 ließ Mercury die Öffentlichkeit schriftlich informieren, dass er an AIDS erkrankt sei. Am nächsten Abend starb er an den Folgen einer Lungenentzündung.
Wie würden wir Freddie Mercury heute mit 70 erleben? Ich bin sicher, dass er mit den „Queen“-Kollegen nicht nur die alten Songs verwaltet hätte. Vielleicht hätte er sich wie in seinem Kunststudium wieder verstärkt der Malerei gewidmet oder hätte – wie Johnny Cash in seinen American Recordings – Aufnahmen mit dem Produzenten Rick Rubin gemacht, die das Wesentliche seiner musikalischen Begabung wieder zum Vorschein gebracht hätten. Da uns dieses Glück leider nicht zuteilwird, können wir – müde von den immer gleichen „Queen“-Songs – zum 70. Geburtstag noch einmal zu den Liedern zurückkehren, in denen Freddies Seele spürbar wird. Ich schlage vor:
„Lily Of The Valley“ von „Sheer Heart Attack“, weil niemand außer Freddie in 1:45 Minuten so viel verschrobenen Text mit solcher Inbrunst vortragen kann.
„Lazing On A Sunday Afternoon“ von „A Night At The Opera“, mit 1:07 Minuten sogar noch kürzer, weil der Song eher Operette denn Rock ist.
„Love Of My Life” von „A Night At The Opera”, weil Brian Mays Gitarre selten schöner und Freddie selten gefühlvoller war.
„Somebody To Love” von „A Day At The Races”, weil man sich wünscht, Freddie hätte mehr von solch heimlichen Gospelstücken gesungen.
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