von Stephan Wohanka
Und es ist zwar unredlich, Lügen zu verbreiten
– als politische Strategie aber erfolgreich.
Jacob Augstein
Kommunikation ist laut Wikipedia der Austausch oder die Übertragung von Informationen. „Information“ sei in diesem Kontext die zusammenfassende Bezeichnung für Wissen, Erkenntnis oder Erfahrung.
Neuerdings übernehmen dank der Trumps, Farages und Johnsons, aber auch anderer die Emotion und der Affekt den Platz der Information. Erzeugt werden selbige durch wissentliche Halb- oder Fehlinformationen, ja Lügen. Zu erkennen ist ein neues, nicht nur, aber vor allem digital getriebenes Muster öffentlicher Kommunikation.
Führende Politiker (besser: Politclowns und -spieler) der „Leave“-Kampagne in Großbritannien führten es geradezu mustergültig vor, indem sie Lügen über die EU und Versprechen über eine glorreiche Zukunft nach dem Brexit unters Volk streuten, um letztere nicht einmal eine Woche später in wichtigen Punkten wieder zu kassieren. „Wir schicken 350 Millionen Pfund pro Woche nach Brüssel. Lasst uns das Geld lieber für unser Gesundheitssystem nutzen“. Das war ein zentraler Slogan der Brexiteers, in Riesenlettern auf die Wahlkampfbusse von Johnson & Co. gepinselt. Kurz vor dem Referendum hatten 78 Prozent der Briten von der Summe gehört, beinahe die Hälfte davon glaubte an den Wahrheitsgehalt der „Botschaft“. Es geht dabei nicht allein darum, dass die Zahl falsch ist, realiter sind es weniger als ein Drittel; nein – „Information“ und Versprechen waren von vornherein Lügen, einzig und allein in die Welt gesetzt, um Emotionen gegen die EU zu schüren. Denn jetzt heißt es: „Diese Aussage war ein Fehler der ‚Leave‘-Kampagne“, so der Ukip-Chef Nigel Farage himself.
Vor dem Referendum hieß es auch: „Wir brauchen den europäischen Binnenmarkt nicht. Wir können endlich unseren Platz in der freien Welt einnehmen.“ Quasi über Nacht räumte Boris Johnson diesen kommoden Weltort wieder, um sich der EU anzubiedern: „Es wird weiterhin freien Handel und Zugang zum europäischen Binnenmarkt geben“.
Und noch so ein drawback: „Vote leave – take back control“ – mit diesem Slogan appellierten die Brexit-Befürworter an das Souveränitätsgefühl der Briten, unterstellend, dass das Königreich in der EU die Kontrolle über seine Grenzen verloren habe; das Reizthema schlechthin. Nun gibt sich Daniel Hannan, Europaabgeordneter der Konservativen, kleinlaut: „Wir haben nie versprochen, dass wir die Einwanderung radikal reduzieren“; nein, aber die Hoffnung geschürt, dass es so käme, oder? Die EU besteht auf dem Prinzip der vollen Freizügigkeit, also auch der Menschen, wenn Großbritannien weiterhin Zugang zum Binnenmarkt haben will.
Wussten diese „Politiker“ das alles nicht schon vorher? Das Ziel dieser Lügen und ungedeckten Versprechen ist klar: Teile einer tatsächlich abgehängten, sich ängstigenden und verunsicherten Gesellschaft politisch zu manipulieren – was ja auch glückte.
Donald Trumps simple „Andere-blöd-ich-super“-Rhetorik ist oft völlig bar jedweder Argumente. Sie wirkt impulsiv und spontan, dabei ist sie wohl kalkulierte Provokation. Scheinbar wahllos attackiert der Wahlkämpfer Einwanderer und Flüchtlinge, Afroamerikaner und Juden; sein letztes Opfer: Muslime. Nach den Terroranschlägen von Paris und in den USA fordert der Milliardär die „komplette Schließung der Grenzen für Muslime“. Desgleichen sei es „Zeit für das amerikanische Volk, seine ökonomische Unabhängigkeit zu erklären“ – durch Schutzzölle gegen China und eine Mauer an der US-mexikanischen Grenze, die nota bene Mexiko auch noch bezahlen sollte.
Trump weiß, dass seine Forderungen verfassungswidrig sind, respektive keine Chance haben, je Realität zu werden. Doch darum geht es dem Möchtegern-Präsidenten auch gar nicht. Er will aufhetzen und manipulieren – und hat stürmischen Erfolg bei den angry white men. Die wütende weiße Minderheit fürchtet Globalisierung wie Einwanderung, lehnt die Frauenquote und die Schwulenbewegung ab und sieht die USA im Niedergang. Es sind verunsicherte, um ihre Existenz bangende Arbeiter und Farmer, die Trump zujubeln und ihn zur Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Republikaner trugen.
Wiederum heiligt der böse Zweck die kommunikativen Mittel – ein Manipulationssprech ohne Bezug zu den politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, aber mit enormem öffentlichen Widerhall.
Aber man muss nicht in die Ferne schweifen … Das Leben des Mirko Möbius, einst Inhaber einer Beratungsfirma – „IT goes successful“ – verlief, so ist zu vermuten, in ruhigen Bahnen, bis – ja bis er sich in die Ostukraine aufmachte und dort zum wahlweise neurechten Journalistendarsteller mutierte. Er selbst freilich nennt sich wahlweise „Infokrieger“ oder „unabhängiger Journalist“. Er tourt unter dem nom de guerre „Mark Bartalmai“ durch das Kriegsgebiet und bietet sein Material in Foren, Blogs, auf Mahnwachen und in Zeitungen wie der jungen Welt feil. Er „berichtete“ darüber „[…] wie Frauen und Mädchen vergewaltigt werden, danach werden sie an Panzer gebunden und über öffentliche Plätze geschleift, aber nicht, bevor man ihnen gezeigt hat, wie ihre drei bis fünfjährigen Kinder auf diesen öffentlichen Plätzen gekreuzigt wurden“. Von Ukrainern. Später musste Möbius alias Bartalmi zugeben, dass es diese Verbrechen nachweislich nicht gegeben hat und er diese „Informationen“ ungeprüft verbreitete.
Wieder geht es nicht vordergründig um die faustdicke Lüge, sondern darum, dass auch in diesem Falle ein Volksverführer mit Affekten – gekreuzigte Kinder: geht mehr im christlichen Abendland? – spielt, die sitzen, die prägen; völlig unabhängig davon, ob etwas wahr ist oder nicht.
Weil soziale Medien, das Internet und auch einschlägige Printmedien so funktionieren, wie sie funktionieren – emotional und situativ –, haben sie eine enorme Wirkung auf ihre Konsumenten. Sie bilden so zunehmend auch einen sozialen Echoraum für Angst, Ressentiment, Neid, Wut, Hass, was es politischen Hetzern leicht macht, auf diese Gemütswallungen für ihre antidemokratischen Zwecke zuzugreifen. Zwar tragen nicht die Medien die originäre Schuld am entgleisten Diskurs, aber sie machen den Teil der Öffentlichkeit sichtbar, der bislang nur zu erahnen war und der ein tiefes Demokratiemisstrauen offenbart.
Und wenn es noch eines Beweises bedurfte: Brexit-Farage wählt den „Fexit“; er kneift, er will „sein Leben zurückhaben“, nachdem er in das anderer massiv eingegriffen hat. Das entlarvt diese „Politiker“ als das, was sie sind – wortgewandte Narzisse, gemeingefährliche Schwadroneure, Zündler am Gemeinwesen.
Es macht schon das Bonmot von der „postfaktischen Gesellschaft“ die Runde …
Schlagwörter: Brexit, Donald Trump, Emotion, Information, Mark Bartalmai, Mirko Möbius, Stephan Wohanka