von Alfons Markuske, notiert in Ravenna
Dietrich von Bern, Kampfgefährte des Hunnenkönigs Attila (Etzel), ist eine der bekanntesten Sagenfiguren des deutschen Mittelalters. (Dabei von Bedeutung: Welschbern lautet der deutsche Name für Verona.) Schriftliche Überlieferungen, darunter das sogenannte Hildebrandslied, lassen sich bis ins 9. Jahrhundert zurückverfolgen. Da war das mögliche historische Vorbild dieser Figur schon ein paar Jahrhunderte tot – gestorben 526 in seiner Residenzstadt Ravenna: Theoderich der Große, König von ostgotischer, ergo germanischer (!), Herkunft. Der hatte, noch im Auftrag des Kaisers von Byzanz, 489 bei Verona eine entscheidende Schlacht gegen den Usurpator von Italien, Odoaker, gewonnen, den er kurz darauf in dessen Hauptstadt, ebenfalls Ravenna, zwei Jahre lang belagerte und wenige Tage nach dem Sieg und dem feierlichen Friedensschluss im Jahre 493 dort eigenhändig ermordete.
Über die anschließende Rechtsstellung Theoderichs ist die Wissenschaft sich bis heute nicht völlig einig: Herrschte er im Namen des Kaisers von Byzanz über das Weströmische Reich oder war er eher ein Herrscher von eigenen Gnaden über ein ostgotisches Königreich?
Uns heutigen hat er sein Mausoleum hinterlassen, das zwar keine pyramidalen Dimensionen aufweist, aber durchaus zu beeindrucken weiß: Der zweigeschossige monochrome Rundbau – aus behauenen Steinblöcken zusammengequadert – gilt als eines der originellsten architektonischen Zeugnisse der Spätantike und ist von einer für Germanen eher untypischen Eleganz. Die Dachkuppel, quasi der „Deckel“ auf diesem Gefäß für des Königs Sarkophag, wurde aus einem einzigen Riesenstein gemeißelt. Elf Meter im Durchmesser, 2,5 Meter hoch und einen Meter dick , wiegt die Kuppel etwa 230 Tonnen. Sie ist mit zwölf Kragsteinen versehen, Henkeln nicht unähnlich, mit denen der Trumm angehoben und auf das Gebäude gesetzt werden konnte. Diese Steine sind zugleich architektonische Gestaltungselemente und lassen die Kuppel von Ferne fast wie eine Krone wirken; in ihre Frontseiten sind die Namen der vier Evangelisten und von acht Aposteln eingraviert. Das Mausoleum ist im Übrigen leer, denn Theoderich war Arianer, folgte also jener christlichen Glaubensrichtung, die die Trinitätslehre ablehnte und der auch Kaiser Konstantin der Große im 4. Jahrhundert angehangen hatte. Für die Arianer war nur der Vater allein Gott. Als Ravenna 540 von byzantinischen Truppen erobert wurde, galt Theoderich daher als fluchwürdiger Häretiker, was die Entfernung seines Sarkophages zur Folge hatte.
Leerstand seit fast 1.500 Jahren! In Berlin-Hellersdorf wäre da womöglich schon nach wenigen Jahren Abriss angesagt gewesen.
Wirkt Theoderichs Grabmal vor allem durch seine monumentale Schlichtheit, sind es bei anderen Sehenswürdigkeiten Ravennas die Pracht und die Üppigkeit der Farben, die staunen machen – bei den weltberühmten Wandmosaiken, die in verschiedenen byzantinischen Sakral- und Sepulkralbauten zu finden sind:
- in der Basilika Sant’Apollinare in Classe: Um zur größten und besterhaltenen Kirche der Stadt zu gelangen, muss man diese allerdings verlassen. Sant’Apollinare befindet sich – weithin sichtbar – fünf Kilometer südlich. Als Ravenna – heute neun Kilometer landeinwärts – noch direkt an der Adria lag, war Classe eine stark befestigte Hafenstadt.
Die dreischiffige Basilika, deren Innenraum (immerhin 55 Meter lang und 30 Meter breit) von zwei Reihen von je zwölf Marmorsäulen gegliedert wird und die, wie in der Spätantike üblich, nicht gewölbt, sondern mit einem hölzernen Dachstuhl versehen ist, wurde über dem Grabmal des Heilige Apollinaris errichtet. Dessen Darstellung als Hirte kann man in Gestalt eines Mosaiks in der Apsis bewundern. An den Innenwänden der Seitenschiffe – zehn Sarkophage aus griechischem Marmor, allesamt leer. Sie dienten überwiegend der Bestattung von Bischöfen vom 5. bis zum 8. Jahrhundert. Einer von ihnen ist der lebendige Beweis dafür, dass Legasthenie damals auch bei Steinmetzen vorkam: Statt archiepiscopus (Erzbischof) steht auf seiner Abdeckung gut leserlich Dass da hinterher keiner noch mal von vorn beginnen wollte, ist gut zu verstehen – zumal die meisten Gläubigen zu jener Zeit und auch 1.000 Jahre später des Lesens ja sowieso nicht mächtig waren. - in der Basilika San Vitale in der Innenstadt: Sie ist die große Attraktion Ravennas. Begonnen wurde mit der Errichtung 525, noch unter Theoderich, und beendet wurde das, wie man heute sagen würde, Bauvorhaben unter Kaiser Justinian im Jahre 548. Dessen lebensgroßes Mosaikbild schmückt das Innere ebenso wie das seiner Gemahlin Theodora. Der oströmische Einfluss ist bei diesem Bau unübersehbar: kein Längsschiff, wie in Italien meist üblich, sondern ein achtseitiger Rundbau mit mächtiger Zentralkuppel. Das matte warme Licht, das durch die gelblichen Alabasterscheiben einströmt, verleiht dem Innenraum eine fast mystische Atmosphäre. Die geradezu überirdische Leuchtkraft der Wandmosaike, die durch die Verwendung von farbigen und vergoldeten Glaswürfelchen erreicht wird, und die Vielfalt der Farben lassen das Alter dieser Kunstwerke – sie wurden in den Jahren 520 bis 550 geschaffen – nahezu unwirklich erscheinen.
- im Mausoleum der Galla Placida: Dieses eigentliche Kleinod Ravennas steht als äußerlich gänzlich unscheinbarer, plumper Backsteinbau auf einer Rasenfläche hinter San Vitale. Neben der wuchtigen Basilika wirkt es mit seinen lediglich zwölf Metern Länge und zehn Metern Breite – die Kuppel misst gerade einmal 4,40 Meter im Durchmesser – nachgerade zwergenhaft. Galla Placida, 390 in Konstantinopel geboren, war Enkelin (Valentinian I., Weströmisches Reich), Tochter (Theodosius I., Oströmisches Reich) und Mutter (Valentinian III., Weströmisches Reich) jeweils eines Kaisers und einige Jahre lang selbst die faktische Regentin des Weströmischen Reiches. Das bewahrte sie allerdings nicht davor, zwischenzeitlich in die Hände der Westgoten zu geraten und nicht nur deren König Athaulf ehelichen, sondern diesem auch noch ins spanische Exil folgen zu müssen und nach dessen Ermordung im Jahre 415 von seinem Nachfolger misshandelt zu werden.
Die ihr von ihr selbst zugedachte Grabstätte und deren Mosaike sind 100 Jahre älter als San Vitale und damit die ältesten in Ravenna. Der Innenraum ist vollständig mit Mosaiken auf tiefblau leuchtendem Grund bedeckt. In der Kuppel, die den Himmel symbolisiert – ein goldenes Kreuz inmitten zahlloser goldener Sternchen. Seitlich sind die Apostel dargestellt, das Mosaik in der Eingangslünette zeigt den Guten Hirten umgeben von Schafen. Das Ganze wird eingerahmt von wundervollen Ornamenten und polychromen Mustern.
Nur seiner eigentlichen Funktion hat dieses Mausoleum nicht einen einzigen Tag gedient. Galla Placida starb am 27. November 450 in Rom und wurde dort beigesetzt.
Und dann ist Ravenna noch wenn schon nicht der Geburtsort der größten Dichtung Italiens und einer der größten der Welt, so doch zumindest maßgeblicher Teile davon – der „Göttliche Komödie“. Nachdem Dante wegen politischer Querelen – er bekleidete höchste öffentliche Ämter – und eines gegen ihn verhängten Todesurteils seine Heimatstadt Florenz verlassen musste, verschlug es ihn nach Ravenna, wo er 1521 verstarb. Seine sterblichen Überreste ruhen heute in einem bescheidenen Kuppelhäuschen aus dem 18. Jahrhundert, das man über eine schmale Gasse von der Piazza Garibaldi aus erreicht. An das Gebäude schließt sich ein kleiner Park an. Im Zweiten Weltkrieg hatte man in diesem Dantes Gebeine tief in einem Erdhügel vergraben, um sie vor möglichen Bombardierungsschäden, wie sie andere Teile der Stadt erlitten, zu bewahren. Auf der benachbarten Pizza steht die Backsteinkirche San Francesco, ebenfalls eine dreischiffige Säulenbasilika, deren Bau auf das 5. Jahrhundert zurückgeht. In San Francesco hat die Begräbniszeremonie für Dante stattgefunden.
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