von Lutz Unterseher
Der Kronprinz (der spätere Friedrich II. von Preußen – L.U.) wuchs auf im Konflikt zwischen seinen Neigungen und den Anforderungen des Vaters, im Spannungsfeld elterlichen Streits. Als es nach langer Eskalation zum großen Knall kam, sein Liebster hingerichtet wurde und auch sein eigenes Leben zumindest für einen Augenblick in Gefahr schien, zerbrach er innerlich, verödete er seelisch – so jedenfalls eine gängige Lesart.
Die Unterstellung, dass Friedrich nach solch traumatischer Erfahrung echter Zuneigung nicht mehr fähig sein und von nun an introvertiert seiner Wege gehen würde, ist aber falsch. Während der Jahre in Ruppin und Rheinsberg pflegte er fröhliche Geselligkeit und auch – wohl eher kurzlebige – Freundschaften.
Aber selbst zu stabileren Beziehungen war er durchaus in der Lage. Da gab es etwa die Intellektuellenfreundschaft mit Voltaire, den er 1750 bis 1753 in Sanssouci, seinem neu erbauten Lustschloss, beherbergte.
Und da war das sehr intime, herzliche Verhältnis, das sich zwischen ihm und seinem langjährigen Kammerdiener Michael Gabriel Fredersdorf entwickelte. Fredersdorf, ein kräftiger Kerl, hatte ursprünglich in Küstrin als Heeresmusiker gedient und war dann in des Königs persönlichen Dienst getreten. Nach seinem Ausscheiden hatte er es dann mit Friedrichs Zuwendungen zum wohlhabenden Gutsbesitzer gebracht.
Als Fredersdorf gegen Ende seines Lebens krank darniederliegt, schreibt ihm der König auf Behelfsdeutsch so liebevolle wie anrührende Briefe: „Ich habe gemeinet, du häst mir lieb und wirst mir nicht den chagrin machen, Diehr umbs leben zu bringen glaube, dass ich es recht guht mit diehr meine […].“
Oder: „Es thuet mihr recht leit, daß das Fiber Dihr noch nicht verlassen wil. ich wolte es Dihr gerne abnehmen […] Wohr heute Mittag die Sonne Scheint, So werde ich ausreiten. Kome doch am fenster, ich wolte Dihr gerne sehen! Aber das fenster mus feste zu-bleiben; un in der Camer mus Stark feüer Seindt! Ich Wünsche von hertzen, das es sich von tagezu-tage mit Dihr besseren Möhge. gestern habe ich Deine Besserung Celebriret mit 2 buteillen ungerschen wein. Carel (ein Page – L.U.) hat vor Kitzelln gequipt […].“
Nein, der Kronprinz war durch den Schock von 1730 nicht seelisch verarmt, ausgebrannt. Wenn er in den späteren Jahren als König immer miesepetriger, eigenbrötlerischer und misstrauischer wurde, hatte das andere Gründe. Gründe, die in seiner spezifischen Art zu regieren lagen – wovon noch die Rede sein wird.
Was dieser Schock allerdings bewirkte, war, dass Friedrich es unternahm, beides unter einen Hut zu bringen: seine Neigungen und die Anforderungen des Vaters, was zunächst wohl eher nur äußerlich geschah. Als aber dann aus diesen Anforderungen mit dem Tode des Alten, im Jahre 1740, seine eigenen Pflichten als König geworden waren, wurde es plötzlich ernst.
Er bieb bei dem Spagat zwischen diesem und jenem, was dann immer mehr zu einer titanischen Anstrengung, zur Überlastung, ausarten sollte. In den „normalen“ Jahren als noch relativ junger König, zwischen dem Zweiten Schlesischen und dem Siebenjährigen Krieg, versuchte er typischerweise folgende Aktivitäten in einem Tagesablauf unterzubringen:
Kurzes Frühstück, kleine Toilette, knappes Privatissimum mit ausgesucht hübschen Pagen, die dabei mitunter ihre culottes herunterzulassen hatten (es wurde dabei aber wohl nur gekitzelt), kurzer Spaziergang oder Ausritt, mehrstündige Erledigung von Regierungspost (Briefe mit Anweisungen, Randnotizen zur Kommentierung von Bittschriften und Verwaltungsberichten), Anhören von Berichten seiner Räte, zwei ausgiebige Hauptmahlzeiten in geselliger Runde, musizieren und komponieren, spielen mit den Windhunden, Lektüre von schöner, aber auch von Sachliteratur, Arbeit an staatsphilosophischen oder auch militärischen Traktaten sowie an schöngeistigen Texten.
Besonders wichtig waren für Friedrich II. die Tafelfreuden. Sein Hofstaat war zwar größer als der väterliche, aber sicherlich immer noch viel bescheidener als etwa der sächsische. Doch am Essen sollte möglichst nicht gespart werden. Hatte es bei Friedrich Wilhelm drei bis vier Schüsseln zu Mittag gegeben, waren es bei seinem Sohn meist acht – manchmal auch mehr.
Die meist zwölfköpfige Kochmannschaft war international: mit französischer Mehrheit, aber auch deutschen, italienischen, russischen Mitgliedern. Wenn sich bei Friedrichs morgendlichem Tun besonders viel Kohldampf aufgestaut hatte, ließ er den Lunch gelegentlich vorverlegen.
Die Speisekarte hatte er nach dem Frühstück selbst redigiert. Man aß viel Fisch und Fleisch, in oft aufwendiger Zubereitung, aber wenig Salat und Gemüse. Als Sättigungsbeilage bevorzugte Friedrich in Butter geschwenkte Polenta mit Parmesan: richtig schön fett. Hinterher gab es meist frisches Obst aus den eigenen Gärten und Gewächshäusern. Der Wein musste unbedingt fremdländisch sein, in erster Linie französisch.
Friedrich war sowohl Gourmet als auch Gourmand. Er fraß wie ein Scheunendrescher mit den Manieren eines Schweins (verzeiht, liebste aller Mitsäuger!). Wo er saß, verwandelte sich das Tischtuch in ein Schlachtfeld, markiert durch Weinflecken und Essensreste jeglicher Art.
Solcherlei Esssitten behielt Friedrich bis ans Ende seines Lebens bei. Die Warnungen der Ärzte, dass die Völlerei seine Gicht verschlimmere, schlug er in den Wind.
Trotz der Völlerei magerte der König immer mehr ab. Am Ende seiner Zeit war er zu einer Art Klappergestell geworden. Dies wirft Fragen auf, hatten doch beide Elternteile zu Körperfülle geneigt.
Zur Abmagerung kam körperliche Vernachlässigung. Er hat sich, wie viele seiner Zeitgenossen, nie gern gewaschen, und er trug wie schon sein Vater fast nur Uniform. Friedrich nutzte diese Bekleidung und die dazugehörigen Hüte bis sie dreckig und speckig waren: normalerweise nur zur Bekleidung von Vogelscheuchen zu gebrauchen.
Wer heute eine enge Korrelation zwischen Schwulsein und exzessiver Körperpflege sieht, mag sich irritiert zeigen: doch Friedrich war homosexuell. Es gibt immer noch homophobe Apologeten, die eine solche „sexuelle Verirrung“ für unmöglich und die Rede davon für die Beleidigung eines ganz Großen halten.
In diesem Kontext sind Erklärungen dafür gesucht worden, dass Friedrich mit seiner Frau keine Kinder gezeugt hat. (Seine loyale Gemahlin behauptete zwar mehrmals, sie hätte Fehlgeburten gehabt. Doch ihre Zofen lachten nur darüber, und auch sonst wurde dies nicht ernst genommen.) So spekulierte man über einen missglückten chirurgischen Eingriff im Intimbereich oder etwa die Folgen einer venerischen Erkrankung, die sich der Kronprinz bei galanten Abenteuern mit Damen in Dresden respektive Wien zugezogen hätte. Schnickschnack.
Derartige „Erklärungen“ konnten nur deswegen auf eine gewisse Resonanz hoffen, weil Friedrich selbst sich in Sachen Sexualität eher bedeckt hielt. Der Eindruck ist der einer verschwiemelten Verklemmtheit. Zunächst wohl dadurch zu erklären, dass der Kronprinz in den Ruppiner und Rheinsberger Jahren seinem Vater nicht unangenehm auffallen durfte. Später, auf dem Thron, könnte unser Kandidat gemeint haben, dass der allzu offene Umgang mit ungewöhnlichen Sexualpartnern sich für einen Herrscher nicht zieme.
Dass die Neigung zumindest gelegentlich in eine wie auch immer geartete Praxis mündete, war bei Hofe allgemein bekannt. Es wurde nur nicht an die große Glocke gehängt. Praxis ist für die Feststellung homosexueller Orientierung aber auch gar nicht relevant. So machen wir uns die vornehme Formulierung des Grafen Krockow zu eigen: „Wenn Friedrich für die Frauenliebe nicht geschaffen (war), dann umso mehr für die Männerfreundschaft.“
Prinz Heinrich, 14 Jahre nach Friedrich geboren, hatte eine glücklichere Kindheit als dieser. Auch er stand unter dem rigiden Erziehungsregime des Vaters. Da er aber nicht der Kronprinz war, galt ihm weniger kritische Aufmerksamkeit, gab es für ihn größere Spielräume.
Auch er hatte, wie sein großer Bruder, ein Faible für die französische Kultur und die schönen Künste. Doch fand er das, was er in Bezug auf Staatskunst oder das Militärische zu lernen hatte, zunehmend interessant. Sein schon früh erwachender Intellekt half ihm, selbst disparates zu verdauen.
Dem Herrn Papa fiel die schnelle Auffassungsgabe des Kleinen angenehm auf. Auf die Idee, in seinem Drittältesten einen möglichen Nachfolger zu sehen, wäre er aber wohl nicht gekommen.
Auch Heinrich war ein besonderer Liebling der Mama. Doch waren die Besuche bei ihr weniger eine Flucht aus der Pflicht als eine zusätzliche Bereicherung, eine Anregung seiner musischen Seite.
Bruder Friedrich hatte zwar einen französischen Hauslehrer, einen Hugenotten, der ihm neue Wissenswelten eröffnete und zu dem er ein freundschaftliches Verhältnis entwickelte. Doch sonst war er mit seinen pubertären Nöten allein.
Heinrich hingegen gehörte einer kleinen Gang an. Diese bestand aus dem Bruder August Wilhelm, der vier Jahre älter war und dem entsprechend jüngeren kleinen Ferdinand. Wir sehen eine fröhliche Rasselbande, die durch allerlei lustige Streiche auffiel. Man nannte sich das „göttliche Trio“.
Zunächst war August Wilhelm als der Älteste und Kräftigste ihr Anführer. Auwi war ein großzügiger, gutmütiger Bursche mit offenem Gesicht. Seine literarischen und musischen Interessen hielten sich in recht engen Grenzen. Schon früh strebte er eine militärische Laufbahn an.
Bald aber gab der kluge, kleine Heinrich den Ton an. Er hatte die besten Ideen. Auwi fühlte sich nicht verdrängt. Er und Ferdinand erkannten in Heinrich ihren natürlichen Führer, ja sie liebten ihn inniglich. Diese Liebe sollte die Jahre überdauern.
Und der Kronprinz? Den machte diese vollkommen erscheinende Brüderlichkeit eifersüchtig. Seine Eifersucht sollte ebenfalls die Jahre überdauern.
Heinrich machte früher engere Bekanntschaft mit dem Militär als Friedrich. Während Letzterer mit 20 Jahren sein Regiment bekam, war Ersterer erst vierzehn, als ihm der frischgebackene König ein entsprechendes Kommando zuwies – allerdings nicht, ohne einen erfahrenen Obristen zwecks Beratung und militärischer Ausbildung des Bruders abzustellen.
Friedrich hatte, nachdem er König geworden war, Heinrich zu schülerischen Leistungen angespornt und kontrollierte diesen laufend, allerdings ohne Androhung von Prügel.
Bald erkannte er die militärische Eignung des Prinzen, ließ diesen als seinen Adjutanten und dann als eher nominellen Befehlshaber eines militärischen Großverbandes in die Führung des Ersten Schlesischen Krieges hineinschnuppern sowie sich im Zweiten bereits praktisch bewähren (der Prinz entging dabei knapp dem Tode), was mit Beförderungen auf den unteren Stufen der Generalsränge einherging.
Das militärische Talent trat dann im Siebenjährigen Krieg vollends zu Tage. Wie noch zu demonstrieren sein wird, etablierte sich der Prinz als der bedeutendste Feldherr Preußens, wenn nicht gar Europas. Der König zollte zwar Anerkennung, war zugleich aber von Neid zerfressen. Er sah sich in beunruhigender Konkurrenz mit seinem begabten Bruder.
Die Irritation des Königs wuchs noch, als er bemerkte, wie Prinz Heinrich nicht nur große militärische, sondern auch außenpolitische Analysekraft und diplomatische Fähigkeiten entwickelte. Der Prinz, der sich als loyaler Berater seines Bruders sah, fand sich immer wieder übergangen, zurückgewiesen und gekränkt. Der König wusste eben alles besser. Es ergab sich ein – allerdings von längeren Phasen der Verständigung unterbrochener – brüderlicher Dauerzwist, der bis zum Lebensende Friedrichs dauern sollte. Gleichwohl standen beide in fortwährendem brieflichen Kontakt.
Besonders in der Zeit vor dem Siebenjährigen Krieg, als Prinz Heinrich noch nicht in der obersten Liga von Politik und Heerführung spielte, unternahm es der König immer wieder, den kleinen Bruder zu gängeln und zu provozieren. Zum Beispiel: Einerseits machte er üppige Geschenke, andererseits untersagte er bestimmte Reisen.
Auch nach dem Siebenjährigen Krieg musste Prinz Heinrich bei Reiseplänen mit diplomatischen Implikationen die Erlaubnis des Königs einholen. Das mag legitim erscheinen. Wohl aber nicht, dass Heinrich mitunter demütigend lange darauf warten musste.
Der König schenkte dem Bruder 1744 das Schloss Rheinsberg und später einträgliche Landgüter. Bereits 1748 bestimmte er den Bauplatz für das „Palais Heinrich“ unter den Linden in Berlin (das allerdings erst 1766 bezugsfertig wurde und übrigens heute der Humboldt-Universität als Hauptgebäude dient).
Prinz Heinrich durfte zunächst aber nicht in Rheinsberg residieren, wollte der König ihn doch in seiner Nähe, in Potsdam, wissen, um bessere Kontrolle ausüben zu können. Nur einmal vor dem Ende des Siebenjährigen Krieges konnte Heinrich sich etwas länger in Rheinsberg aufhalten. 1753 verbrachte er dort nämlich in Gesellschaft seiner Frau den Sommer. Sonst gab es nur einige wenige Stippvisiten.
Auch er hatte geheiratet, und zwar 1752 auf Geheiß des Königs. Mit seiner Gemahlin, der Prinzessin Wilhelmine von Hessen-Kassel, wohnte er eine Zeit lang unter einem Dach, aber nie zusammen. 1766 kam dann, nach dem Muster Friedrichs, die klare räumliche Trennung.
Ab 1763 war Rheinsberg die Hauptresidenz des Prinzen. Theodor Fontane irrt, wenn er meint, Heinrich habe dort bereits seit 1753 residiert.
Es wurde eingangs bereits angedeutet: Prinz Heinrich erweiterte und entwickelte Schloss Rheinsberg und den dazugehörigen Park zu einem ästhetisch höchst befriedigenden Ensemble. Zu seinen Neuerungen gehörte der Bau eines kleinen Operntheaters, das er durch Gewinnung talentierter Künstler und mit seinen schriftstellerischen Fähigkeiten als Librettist zu einer der ersten Bühnen Europas machte – so jedenfalls ein gewichtiges französisches Urteil.
Während Friedrich sich hauptsächlich dem Komponieren und Musizieren zugewandt hatte, bezogen sich die musischen Interessen des kleinen Bruders eher auf die Performance, das Umsetzen von Ton und Text in „Theater“. Konkret: Wenn einmal ein Schauspieler oder eine Schauspielerin ausfiel, übernahm er gerne selbst deren jeweilige Rolle. Ein Exhibitionist?
In Rheinsberg entwickelte sich ein prinzlicher Hofstaat mit bis zu 110 Bediensteten, fest engagierte Künstler mitgerechnet. Heinrich konnte all dies, die Hofhaltung und seine Baumaßnahmen, normalerweise aus den Einnahmen seiner prosperierenden Güter bezahlen. Nur einmal war er knapp bei Kasse, aber das war, wie wir noch sehen werden, auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen.
Am prinzlichen Hof ging es fröhlich, oft ausgelassen und doch gesittet zu. Feste, zu denen immer wieder auch Bürgerinnen und Bürger aus der Umgebung eingeladen waren, wechselten sich ab mit Opern- oder Theateraufführungen vor anspruchsvollstem Publikum.
Heinrich war ein kleiner Mann – noch kleiner als sein Bruder Friedrich, dessen Körpergröße unter dem damaligen Durchschnitt für Männer lag. Anders als Friedrich jedoch, der mit zunehmendem Alter von Gicht gebeugt war, hielt sich Heinrich gerade (was wohl typisch ist für relativ kleingewachsene Menschen).
Heinrich war zwar schmächtig, magerte aber nicht so sehr ab wie Friedrich. Er ernährte sich anspruchsvoll, aber nicht üppig – bevorzugt aus dem eigenen Gemüsegarten. Die Esssitten des königlichen Bruders waren ihm ein Graus.
Prinz Heinrichs Äußere wirkte auf Menschen, die ihn zum ersten Mal sahen, nicht sonderlich einnehmend. Wie das der Mutter war sein Gesicht pockennarbig. Er hatte eine ziemlich lange Nase, die in einer Art Knubbel endete. Seine großen blauen Augen waren zwar eindrucksvoll, doch trat eines davon mit zunehmendem Alter auf irritierende Weise hervor. So zeigte sich in der Tendenz ein physiognomischer Vorgriff auf Marty Feldman, den beliebten britischen Komödianten der 1970er Jahre.
Der Prinz war eitel. Er hielt sehr auf sich. Im Rheinsberger Alltag trug er keine Uniform, sondern elegante höfische Gewänder. Auch von seinen Gästen wurde dies erwartet. Bei offiziellen Anlässen zeigte er sich aber doch oft in Uniform. Die war freilich nie abgewetzt oder speckig. Auf Porträts, die ihn im Waffenrock zeigen, erscheint dieser verziert: mit einem Futter aus Leopardenfell oder einem herrscherlich wirkenden Überwurf. Auch lassen diese Porträts erkennen, dass seine Perücken toupiert wurden, um ihn größer aussehen zu lassen. Und wir dürfen vermuten, dass die Absätze seiner Stiefel noch höher waren als damals ohnehin üblich.
Auch Heinrich war schwul. Seine Homosexualität nahm jedoch eine völlig andere Gestalt an als die Friedrichs. Da gab es keine Verklemmung. Für ihn war das etwas Normales, Alltägliches. Jeder konnte davon wissen, aber es wurde auch kein Kult daraus gemacht.
Einer seiner frühen Liebhaber, der dann den Lebensweg des Prinzen über eine lange Strecke hinweg mit Sympathie begleiten sollte, hat 50 Affären gezählt. Gleichwohl hatte Prinz Heinrich nichts für das übrig, was der postmoderne Deutsche als „Wonneitstänt“ bezeichnet.
Den prinzlichen Popo zu präsentieren, war für ihn keineswegs eine Sache flüchtigster Gelegenheit. Nein, seine Affären hatten Stil, sie waren ganzheitlich, kommunikativ – eingebettet in gesellige, höfische Kultur. Prinz Heinrich musste sich nicht „outen“. Das wäre seiner barocken Umgebung völlig unangemessen gewesen.
Die freie Art der Sexualität Heinrichs, die dem König nicht vergönnt war, vertiefte dessen Eifersucht gegenüber dem Bruder um ein Übriges. Ohne Kenntnis dieser Dimension ist die spannungsreiche Beziehung beider letztlich nicht zu verstehen.
Doch gab es eine Ausnahme vom leichten und kultivierten Verkehr mit Vertretern des eigenen Geschlechts, den Prinz Heinrich so schön entwickelt hatte: eine große und bedrückende zumal.
1767 begann Heinrich eine Affäre mit dem jungen, athletischen und hübschen Offizier Christian Ludwig von Kaphengst. Ein kurioser Name: Honi soit qui mal y pense!
Dieser war ein Hallodri, ein Hansdampf in allen Gassen: das, was man heute als Partylöwen bezeichnen würde (Adjutant des Prinzen, letzter Dienstgrad: Major). Die Beziehung war sehr obsessiv, von Eifersucht, Streit und – zumeist nur kurzen – Trennungen geprägt. Erst 1785 konnte sich Prinz Heinrich unter Schmerzen und Zahlung einer beträchtlichen Abfindung von Kaphengst weitgehend befreien. Theodor Fontane meint allerdings, dass dieses Verhältnis damit noch nicht vollends vorüber war, und datiert dessen endgültiges Ende auf 1798.
Während ihrer engen Beziehung hatte von Kaphengst den Prinzen ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Gegen Ende war Heinrich praktisch pleite, musste beim Personal einsparen, Geld leihen und Gemälde niederländischer Meister an Katharina II. von Russland verkaufen (die heute noch in der Eremitage zu Sankt Petersburg hängen).
Die großartige Biographin des Prinzen findet dies alles so seltsam, dass sie die Frage riskiert, ob denn da etwa Erpressung im Spiel war. Aber bei wem hätte man Heinrich verpetzen können? Und womit? Vom König hatte er doch ohnehin nicht viel zu erwarten. Belassen wir es also bei der Obsession!
Als diese vorüber war, erholte sich der Prinz recht schnell, nicht nur seelisch, sondern insbesondere auch finanziell. Seine Kompetenz in der Bewirtschaftung der Güter machte es möglich.
Im Übrigen ist zu betonen, dass Heinrich in der Zeit der Affäre Kaphengst, trotz aller psychischen Beeinträchtigung, als Politiker und Diplomat in Sachverstand und Initiative nicht beeinträchtigt war.
Aus: Lutz Unterseher: ANTIFRITZ. Hommage an Prinz Heinrich von Preußen, LIT VERLAG Dr. W. Hopf, Berlin 2015.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Auf die Übernahme von Zwischenüberschriften und Quellenhinweisen wurde verzichtet.
Schlagwörter: Friedrich II., Lebensstil, Lutz Unterseher, Prinz Heinrich, Sexualität